Das Altpapier am 25. September 2017 Die Medien waren's
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Die AfD sitzt demnächst also im Bundestag. Und prompt – spät, aber doch – steht die Frage nach der Mitverantwortung von Medien im Raum. Speziell der von Talkshows. Ein paar Hinweise hätten wir da aber noch, damit es keine Schwarzer-Peter-Debatte wird. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Das große Woran-hat’s-gelegen- und Wählerwanderkartenspektakel am Wahlabend lief längst – da gab es in der "Berliner Runde" a.k.a. Elefantenrunde bei ARD und ZDF zwei kleine medienkritische Politikereinwürfe wie seinerzeit von Gerhard Schröder: Erst warf Martin Schulz dem ZDF in Gestalt Peter Freys vor, man habe ihn im Wahlkampf nie ausreden lassen – hui, man stelle sich nur mal vor, was die SPD sonst gerissen hätte!
Dann kritisierte Joachim Herrmann, der Vertreter der CSU, die öffentlich-rechtlichen Sender dafür, im Wahlkampf die AfD groß gemacht zu haben. Ein Vorwurf, den der Deutsche Journalisten-Verband bei Twitter prompt als "skandalös" bezeichnete, haha, dort gab es also am Sonntag Clown zum Frühstück.
Rainald Becker vom SWR, der die Elefantenrunde mitmoderierte, bügelte die Herrmann-Behauptung beleidigt ab. Motto: Wo kämen wir denn da hin, unqualifiziert, setzen, Herrmann, nächste Frage.
Nur war die Kritik danach nicht verschwunden. "Sind die Medien schuld?" lautet ihre Verkürzung, und die Frage wurde auch anderweitig gestellt. Etwa in einem Katalog von "Fragen zur Wahl", mit dem das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung aufmachte. Hier die Fragen 24 bis 31 daraus:
"Wäre irgendjemandem geholfen, wenn man weniger über sie (nämlich die sog. Flüchtlingskrise) geredet hätte? Haben also die Medien schuld? Gibt es so etwas wie die Medien überhaupt? Und wenn ja, worin besteht ihr Versagen? Im Verschweigen der Probleme, die wir wirklich haben? Oder im Beschwören von Problemen, die es gar nicht gibt? Können Frank Plasberg und Claus Strunz das eine vom anderen unterscheiden? Wie viele Flüchtlinge und Migranten sind eigentlich angekommen im vergangenen Monat?"
Und es war nicht nur die FAS, die solche Fragen aufwarf. "Wie der Rechtsruck herbeigetalkt wurde", ist etwa auch die jüngste Kolumne von Georg Diez bei Spiegel Online überschrieben:
"Die öffentlich-rechtlichen Medien, […] angefeindet von den Kräften des Anti-Establishments, hätten dagegen halten müssen, hätten einen Weg finden müssen, sich diesem Sog zu entziehen. Stattdessen haben sie, die Plasbergs dieser Welt, den Einzug der AfD ins Parlament mitzuverantworten, weil sie so früh den reaktionären Kräften eine Bühne geboten haben."
Über "Journalistenpopulismus"
Christian Bangel bürstet dann bei Zeit Online unter anderem die lange laufende Debatte über die Verantwortung der liberalen Eliten gegen den Strich und erfindet den Begriff des Journalistenpopulismus:
"Aus Angst vor dem Rechtspopulismus ist in Deutschland inzwischen ein Journalistenpopulismus entstanden. Wo immer er Ressentiments der Bevölkerung gegen ‚den Islam‘ und 'die Flüchtlinge’ vermutet, ist er zur Stelle, um sie hinauszuposaunen und doppelt zu unterstreichen. Darin duldet er keine Widerrede – er verweist dabei immer auf die US-Wahl und die Unfähigkeit dortiger liberaler Eliten, das Lebensgefühl der Bevölkerung zu verstehen."
Die Forderung, die vermeintlich nicht Repräsentierten zu repräsentieren, wurde also instrumentalisiert; die Entdistanzierung zu den vermeintlich Abgehängten überdreht, so Bangels Argument. Vielleicht kann man von einer Nicht-verschweige-Spirale reden. Jedenfalls: Die Medien könne man nicht aus der Gleichung nehmen, wenn es um das Großwerden der AfD gehe, so auch seine These. Auch bei ihm kommt, wie in der FAS, als Beispiel Claus Strunz vor, Frank Plasberg und er sind also die Fernsehfiguren, die in dem Zusammenhang am häufigsten genannt werden.
Und auch Altpapier-Autor René Martens erinnert in einem Zeit-Online-Rückblick auf den Fernsehwahlkampf daran, dass eine "generelle Schwäche der Moderatoren in diesem Wahlkampf" in ihrer Fragestrategie bestanden habe, also in der Themenwahl, deutlich zu sehen beim "TV-Duell" zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Diese Schwäche haben nicht nur Fernsehkritiker bemerkt; Martens zitiert eine Aussage des FDP-Chefs Christian Lindner in der "Schlussrunde" von ARD und ZDF: "Ich halte es für unangemessen, dass hier jede AfD-Äußerung diskutiert wird."
Selbstreferenziell, thematisch zu eng, nicht innovativ sei das Wahlkampffernsehen insgesamt gewesen – auch das kritisiert Martens an Beispielen. Sein Fazit: "Angesichts der rasanten medialen Entwicklung ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen in seiner Wahlberichterstattung vor zwölf Jahren stehen geblieben."
Torsten Körner sieht die Talkshows nach dem Wahlkampf im Tagesspiegel gar "am Scheideweg": "Hier und da gelungene Einzelsendungen, in der Summe schüren sie Politikverdruss", findet er.
Was René Martens im Wahlkampffernsehen an bemerkenswert Gutem fand – auch das gab es –, ist etwa eine "im NDR-Nachtprogramm ausgestrahlte Reportage". Ein Schelm, wer in diesem Lob eine kleine vergiftete Botschaft an die Programmplaner entdeckt.
Die Talkshows haben den Schwarzen Peter
Finden Sie aber langweilig, solche Hinweise auf Dokumentationen und Reportagen, stimmt’s? Okay, Publikum, du bist der Boss. Dann also schnellstens zurück zu den Talkshows. Weil so ein Wahlabend ja auch ein Fernseh-Echtzeit-Ereignis ist, wurde viel Kritik an ihnen gestern auch bei Twitter geäußert. Formate wie "So kotzte das Netz über Talkshows ab" sind leider blöd, aber lesen Sie doch bitte bei Interesse zum Beispiel diesen, diesen oder diesen Tweet sowie diesen Thread, verfasst von medienerfahrenen Leuten. Kurzzusammenfassung: Die Talkshows haben die AfD groß gemacht, werden aber einfach so weitermachen. Wir brauchen also eine Debatte über Talkshows. Und zwar auch bei ARD und ZDF selbst. Denn "Berichterstattung bedingt Prozente".
Das Problem, das ich in dieser Diskussion über die Schuld oder Mitschuld "der Medien“ sehe, ist, dass die Talkshows darüber eine Art Sündenbock werden. Nicht nur ist die Kritik an ihnen – zwar nicht komplett, aber in Teilen – wohlfeil: Manches, wie rassistische Äußerungen eines künftigen Parlamentariers, die gegen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung gerichtet sind, muss in einer liberalen Gesellschaft wohl thematisiert werden, unabhängig von der Frage, wem es nützt. Berichterstattung über eine Partei mag der letztlich Aufmerksamkeit und irgendwann unter Umständen Stimmen bringen, aber a) sollte man sie wirklich lassen?, und b) wer will da eigentlich den ersten Stein werfen?
Medienkritik ist in vielen Medien außerdem nur dann erwünscht, wenn sie gut performt und andere betrifft – also Talkshows oder den „Tatort“. Aber von Empörungsthemen profitieren keineswegs nur Talks. Sondern tatsächlich „die Medien“ im Sinn einer Summe vieler einzelner Redaktionen. Über die Bild-Zeitung steht zum Beispiel akut was bei Übermedien.
ARD-Talkshows bis mindestens 2020
Übrigens: Die Abschaffung der ARD-Talkshows (oder auch nur einer davon) steht ohnehin nicht zur Debatte. Zeitlich passend zur AfD-Medien-Mitschuld-Diskussion erreicht die Welt die Nachricht, dass "Anne Will", "Hart aber fair" und "Maischberger" bis Ende 2020 laufen sollen; die sogenannten Gremlins haben das abgenickt. Die Medienkorrespondenz hat die wichtigsten Begriffe:
"finanzielles Volumen […] Schwellenwert […] Produktionsvertrag […] Gremienzustimmung […] Fernsehprogrammkonferenz […] Programmdirektoren der ARD-Landesrundfunkanstalten […] Sitzung des WDR-Rundfunkrats […] Zwischenbericht […] Stellungnahme […] ausführliche Ergebnisse […] Arbeitsgruppe in der nächsten Rundfunkratssitzung am 25. September".
25. September, das ist heute! Stellt die Smartphones kalt und schaltet das Bier ein, Leute! Ach so, und dann steht da im besagten Medienkorrespondenz-Artikel noch, was eine Arbeitsgruppe des WDR-Rundfunkrats schon 2015 über die hauseigenen Talks "Hart aber fair" und "Maischberger" gesagt hat und nun wieder sagt:
"Die […] Hauptkritikpunkte des Rundfunkrats zur Themenvielfalt und zu einer ausgewogenen Gästeauswahl in den Sendungen würden weiterhin fortbestehen, hieß es nun. Die Themen müssten nach gesellschaftlicher Relevanz ausgewählt werden und dürften nicht zu reißerisch sein."
Vielleicht liest man bei den zuständigen ARD-Anstalten auch einfach nochmal diese pro forma erstellten Dokumente, die da intern irgendwo rumliegen. Und jeder Intendant kriegt dann 20 Sekunden, um seine Argumente vorzubringen, warum alles gut ist, wie es ist. Wäre das was?
Altpapierkorb (BDZV, ARD, Sandkasten)
+++ Kommen wir zum hier bereits verhandelten Sandkastenstreit zwischen dem Zeitungsverlegerverband BDZV und den Öffentlich-Rechtlichen. Harald Staun hat sich für die FAS u.a. über den Sound der Streitereien Gedanken gemacht: "Dass Döpfner auf der BDVZ-Tagung so weit ging, vor einer Zukunft mit 'Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz' zu warnen, die eher 'nach dem Geschmack von Nordkorea' wäre, war […] ein Beleg dafür, dass mit der Stärkung des kommerziellen Wettbewerbs allein auch nicht viel gewonnen wäre. Wer braucht schon Journalismus, der den Populismus mit den Mitteln des Populismus verhindern will." Staun schreibt: "Vor ein paar Tagen haben ein paar Wissenschaftler das Thesenpapier 'Zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien' veröffentlicht. Die erste These lautet: 'Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müsste man ihn gerade jetzt erfinden.' Nein. Gerade, weil es ihn gibt, muss man ihn dringend neu erfinden."
+++ Die FAZ berichtete am Samstag vom "Bremer Medienimpuls" zur Strukturreform der ARD: "Alles ist gut bei den Öffentlich-Rechtlichen – und es wird noch besser. So jedenfalls klang es beim 'Bremer Medienimpuls', wo sich am Donnerstag in Berlin Politiker und Vertreter der Rundfunkanstalten auf dem Podium der Landesvertretung Bremen trafen. Gesprochen werden sollte über die ARD-Strukturreform und die Frage, ob diese eine Chance oder ein Risiko für den regionalen Auftrag darstelle. Bei der Zusammensetzung der Diskutanten war freilich schon vorher abzusehen: Die Strukturreform ist eine Chance und zwar nicht nur für den regionalen Auftrag. Auch wenn noch gar nicht klar ist, wie die Reform überhaupt aussehen wird."
+++ Ich habe zum Sound des Konflikts zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen – "Staatspresse!", "Fake News!" – am Samstag in der taz auch was geschrieben: "Wenn selbst Medienvertreter für ihre Streitigkeiten nun das Wording der Trumps und Bachmannslutze übernehmen, dann wird jeder, der halbwegs auf dem Boden der Realpolitik über die notwendigen Reformen bei den Öffentlich-Rechtlichen diskutieren möchte, in eine Dafür- oder Dagegen-Position geschubst."
+++ Die Samstags-FAZ beschäftigte sich zudem mit der "Fake News"- Debatte: Die Reichweite von "Fake News" sei überschaubar, es gebe sie aber – auch beim MDR: "(D)er MDR gab dafür in seinem Regionalmagazin "Umschau" gerade ein schönes Beispiel: Eine Bundestagskandidatin der Linkspartei gab sich als vermeintlich unter dem in Leipzig herrschenden Mietwucher leidende Bürgerin aus (zunächst auch noch mit falschem Vornamen). Das war ein propagandistisches Husarenstück."
+++ Mehr über den TV-Wahlkampf: bei DWDL von Hans Hoff.
+++ Und die FAS druckte einen Auszug von Andreas Bernards Buch "Komplizen des Erkennungsdienstes. Das Selbst in der digitalen Kultur". Es geht im Vorabdruck um die Begriffsgeschichte des Profils: "vom Täterprofil des Serienmörders zum freiwillig erstellten Profil in den Sozialen Medien".
+++ Die Süddeutsche Zeitung hatte am Samstag eine Geschichte über den Kriegsfotografen Eduardo Martins, der "weltweit gefragt" sei, aber nicht existiere.
+++ Ronja von Rönne verlässt die Welt, der sie einen Abschiedsbrief spendiert. Steht auch als Promi-News bei Meedia.
+++ Der Spiegel hat keine explizite Mediengeschichte im Blatt, aber eine interessante Abhandlung über einen denkbaren Zusammenhang von Online-Prangern und Rückgang des Liberalismus, beruhend auf einem Buch Ute Freverts: "Je liberaler der Staat und seine Diener in der Geschichte wurden, schreibt Frevert, desto größer wurde die Scheu, Recht und Moral zu vermischen und Bürger öffentlich zu beschämen […]. Öffentliche Beschämungen hingegen waren historisch oft in Gesellschaften wichtig, in denen die Gemeinschaft Vorrang hatte vor den individuellen Bedürfnissen der Bürger."
+++ Um den Deutschen Radiopreis geht es in der Medienkorrespondenz: "Das Wichtigste beim Deutschen Radiopreis ist also, dass das gewürdigt wird, was wohlfeil ist, nämlich das, was man gewöhnlich Tag für Tag wegsendet, und nicht etwa das Außergewöhnliche, in das man Zeit, Geld, Personal und Herzblut investieren muss. Der durchaus beabsichtigte Nebeneffekt dabei ist, dass die Privatfunkanbieter, die den Deutschen Radiopreis mitveranstalten, auch die Chance auf ein Bienchen in ihrem Hausaufgabenheft haben."
+++ Nachtrag in eigener Sache: In diesem Altpapier wurde ein FAZ-Beitrag zitiert, in dem der MDR-Sendung "Umschau" und einer Bundestagskandidatin der Linken, Franziska Riekewald, Vorwürfe gemacht wurden ("propagandistisches Husarenstück"). Die Vorwürfe verdient Riekewald jedoch nicht, wie der MDR auf seiner "Korrekturen"-Seite richtig gestellt hat (Einträge vom 22.8. und 4.9.) und auch dwdl.de berichtete.
Altpapier gibt es wieder am Dienstag.