Das Altpapier am 18. Dezember 2019 Hans-Georg Maaßens bisher vielleicht abstoßendstes Zitat
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18. Dezember 2019, 13:10 Uhr
Ein Gast und ein Nicht-Gast sorgen für Gesprächsstoff rund um die Talkshows des ZDF. Zudem: Ist der unabhängige Journalismus durch juristische Maßnahmen derart bedroht, dass wir einen "Solidaritätsfonds" brauchen? Ein Altpapier von René Martens.
Inhalt des Artikels:
- Was Hans-Georg Maaßen 2015 "festgestellt" haben will
- Die materielle Bedrohung des unabhängigen Journalismus
- Die Moralvorstellungen in Herbert-Reinecker-Krimis
- Altpapierkorb (Die Vision einer "Plattform für öffentlich-rechtliche Hauptabendnachrichten aus allen 28 EU-Mitgliedsländern", die "seltsame Kooperation" zwischen der Weltwoche und China, ein versoffener Gratiszeitungsjournalist als Protagonist eines ARD-Weihnachtsfilms)
ZDF-Chefredakteur Peter Frey hat in einem Streitgespräch, das in der neuen Ausgabe der Zeit (€) erschienen und in zahlreichen Texten auf Agenturbasis verwertet worden ist (im ND, beim RND, und in der WAZ etwa), einige bemerkenswerte Dinge gesagt. Die meiste Aufmerksamkeit hat allerdings ein eher weniger bemerkenswerter Satz auf sich gezogen.
Dröseln wir das mal im Detail auf:
"Wir sind nicht divers genug. Darunter leiden wir",
sagt Frey zum Beispiel. Ein Eingeständnis, dass man von Menschen in seiner Position in dieser Deutlichkeit selten hört.
Eine seiner Streitpartnereinnen - Sheila Mysorekar, die Vorsitzende der Neuen Deutschen MedienmacherInnen - kritisiert ihn wie folgt:
"Migranten kommen in Talkshows nur als Probleme vor."
Eine Argumentation, die man spätesten seit der diesjährigen Vergabe des Negativpreises Goldene Kartoffel (siehe auch Altpapier) kennt. Frey formuliert an dieser Stelle nun den "vielleicht traurigsten Satz" (Samira El Ouassil) des Gesprächs:
"Leider kriegen wir nicht alle Gäste mit Migrationshintergrund, die wir gern hätten. Manche schlagen unsere Einladung aus, weil sie nach Auftritten schon viele Anfeindungen erlebt haben."
Er finde das "besorgniserregend", ergänzt Frey.
Die schlagzeilenträchtige Information, dass Björn Höcke künftig nicht mehr bei Illner und Lanz zu sehen sein werden, weil "wir zeigen müssen, wo die Grenzen demokratischer Gesinnung verlaufen", finde zumindest ich jetzt weniger spektakulär.
Farhad Dilmaghani verbucht diese Entscheidung Freys zumindest implizit als einen Erfolg für sich und Georg Diez. Sie hätten sich "vor und hinter den Kulissen dafür eingesetzt", dass "Faschisten" bei den Öffentlich-Rechtlichen "keine Bühne geboten wird und es ausführlich mit den Satzungen begründet". Er bezieht sich dabei vor allem auf folgenden, im Altpapier bereits ausführlich zitierten Krautreporter-Text. Darin schreiben Diez/Dilmaghani:
"In seiner Satzung übernimmt das ZDF (...) die Argumentation des Grundgesetzes, das die Achtung der Menschenwürde zum obersten Verfassungsgrundsatz erhebt. Der Artikel ist bekanntermaßen eine direkte Reaktion auf die nationalsozialistische Diktatur (...). Wir interpretieren daher den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dahingehend, dass er Befürwortern von nationalsozialistischen Ideologieelementen oder denjenigen, die den Nationalsozialismus unmissverständlich relativieren, keine 'Bühne zu bieten' hat. Der oberste Grundsatz, der in diesem Verfassungsprinzip deutlich wird, lautet: Nie wieder Faschismus. Dem ist auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet."
Klar, man kann das ein bisschen so sehen, dass Frey in Sachen Höcke jetzt entsprechend handelt. Andererseits: Es geht hier um eine Person - auch wenn’s der derzeit prominenteste deutsche Faschist ist - und zwei Sendungen. Der Effekt so einer Entscheidung ist überschaubar. Fazit: Ein halbwegs großer Schritt für das ZDF, ein Mäuseschritt für den Antifaschismus.
Was Hans-Georg Maaßen 2015 "festgestellt" haben will
In einer der beiden Talkshows, in denen Björn Höcke künftig nicht zu sehen sein wird, war gestern Hans-Georg Maaßen zu Gast, der nicht der Partei angehört, der Björn Höcke angehört, sondern einer anderen - und dennoch "AfD-Sprech" beherrscht. Der Meinung war gestern jedenfalls Markus Lanz, der Gastgeber besagter Sendung, in der Maaßen, so formuliert es wiederum D.J. Frederiksson in seiner Nachkritik für die FR, einige "abstoßende Zitate" performt habe.
In dem Sendungs-Protokoll, das die WAZ veröffentlicht hat, fehlt die entscheidende, meinethalben abstoßendste Passage, in dem der Welt steht sie am Ende arg verkürzt, und in der FR kommt sie ausführlich vor. Wer in der Mediathek-Aufzeichnung zwischen 42:00 und 43:30 reinschaut, findet die entsprechenden Sätze. Hier sagt Maaßen, was er 2015 "festgestellt" habe:
"Die Leute, die Anschläge auf Asylunterkünfte machen, waren überwiegend, jedenfalls die festgestellten Tatverdächtigen, keine Rechtsextremisten, waren keine Nazis. Das waren Leute gewesen, die gehörten eigentlich zur bürgerlichen Mitte, die haben sich radikalisiert."
D.J. Frederiksson dazu:
"So kann man sich die Welt natürlich auch schönreden: Es gibt hierzulande keine Nazis, es gibt nur verwirrte Kleinbürger. Nein: Wer rechtsextrem handelt, ist ein Rechtsextremer; und wer dem rechten Rand nach dem Mund redet, gehört zum rechten Rand – egal, wie tief er jemals in der bürgerlichen Mitte gewesen sein mag."
Nachdem ich die zitierte Maaßen-Passage gehört hatte, hatte ich kurz einen JBK-vs.-Eva-Herman-Flashback, aber die entsprechende Option hat Markus Lanz dann doch nicht genutzt. Ob’s gut gewesen wäre, wenn er es getan hätte, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Die materielle Bedrohung des unabhängigen Journalismus
Hauptberuflich arbeitet Hans-Georg Maaßen heute für eine Rechtsanwaltskanzlei, die viele Journalisten als Bedrohung wahrnehmen - und der sich Stephan Hebel in der aktuellen Ausgabe von Kontext widmet. Es ist in gewisser Hinsicht ein Text in eigener Sache, auch wenn Hebel kein Kontext-Redakteur ist. Die Wochenzeitung ist allerdings ein Zielobjekt der besagten Kölner Kanzlei Höcker (Altpapier) - siehe dazu unter anderem einen Mitte November erschienenen Kontext-Beitrag ("30 000 Euro will er von der Kontext-Redaktion, und dazu je 15 000 Euro von den Kontext-RedakteurInnen Anna Hunger und Minh Schredle").
Hebel schreibt nun:
"Höcker macht (…) keinen Hehl daraus, dass er es für absolut legitim hält, Journalistinnen und Journalisten zu 'drohen': mit absurden Antworten auf Interview-Anfragen, in denen zum Beispiel der vollständige Abdruck bestimmter Zitate verlangt wird. Mit Zwangsgeldforderungen, die einen Angriff auf die Existenz vor allem kleiner Medienprojekte darstellen (aber auch größerer, gespart wird bekanntlich in allen Redaktionen). Insgesamt mit einer Strategie, die Ressourcen aller Art so sehr bindet, dass Zeit und Geld für anständigen Journalismus immer knapper zu werden drohen."
Ein Lösungsvorschlag des früheren stellvertretenden Chefredakteurs der Frankfurter Rundschau lautet:
"Wenn es den Verlegerinnen und Verlegern, den Intendantinnen und Intendanten der großen Medien ernsthaft um Medienfreiheit geht – warum nicht, je nach wirtschaftlicher Stärke, in einen gemeinsamen 'Solidaritätsfonds unabhängiger Journalismus' einzahlen? Einen Fonds, der allerdings nicht von den privaten oder öffentlich-rechtlichen Führungsgremien verwaltet würde, sondern von Journalistinnen und Journalisten, Juristinnen und Juristen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Leserinnen und Zuschauern, die in einem demokratischen Verfahren über Unterstützungsleistungen aus dem Fonds entscheiden. Gelänge so etwas, wäre das einerseits eine gute Nachricht, andererseits eine schlechte: Denn es zeigt sich in solchen Notwendigkeiten, wie real die Bedrohung, auch die materielle, eines unabhängigen Journalismus schon ist."
Zwei Bemerkungen dazu: Hebel spricht die "Intendantinnen und Intendanten" an. Rechtlich wäre es aber auf jeden Fall mindestens nicht unkomplex, wenn in einen solchen "Solidaritätsfonds" Geld flösse, das aus den Rundfunkgebühren stammt - es wären auf jeden Fall umfangreiche juristische Vorarbeiten notwendig, bevor es mit so einem Fonds losgehen könnte.
Außerdem: Wie realistisch ist es, dass zum Beispiel ein halbwegs großer Verlag wie der des Tagesspiegel etwas in so einen Fonds einzahlt, wenn er nicht einmal den "Rücken" hat, eine juristische Auseinandersetzung durchzustehen, während die nicht ganz so große taz den Kampf in einem direkt vergleichbaren Irgendwas-mit-AfD-Fall annimmt und auch gewinnt?
Die Moralvorstellungen in Herbert-Reinecker-Krimis
Auf etwas verschlungenen Pfaden kehren wir nun noch einmal zurück zum ZDF. Für das Neue Deutschland war Tom Wohlfarth auf einer Veranstaltung, auf der die Historikerin Haydée Mareike Haass Thesen aus ihrer Doktorarbeit vorstellte, die sich mit dem Schaffen des für das ZDF tätigen Drehbuchautors Herbert Reinecker ("Der Kommissar", "Derrick") befasst.
Angeregt worden, so Wohlfarth, sei Haass dazu von dem Historiker Raphael Gross, der 2010 "in seinem Buch 'Anständig geblieben' die 'nationalsozialistische Moral' und ihr Fortwirken in der BRD bis heute untersucht hat. Wohlfarth weiter:
"Ihre Thesen präsentierte Haass (…) in den Räumen des Merve-Verlags in Berlin. Haass führte diese 'moralische Perspektive' der Reinecker-Krimis auf die Moralisierung des Strafrechts im Nationalsozialismus zurück: Für die NS-Justiz sei entscheidender als die strafbare Handlung, der ihr zugrunde liegende 'böse' Wille gewesen. Für (die Kommissare) Keller und Derrick komme im Verbrechen immer zugleich eine moralische Krise zum Ausdruck, der gegenüber die Kriminaler als 'moralischer Kompass', aber auch als autoritär erhöhtes Leitbild fungierten."
Wohlfarth betont, dass Reinecker "Stichworte wie 'Ekel' (…) oft schon im Drehbuch vermerkt" habe, damit die Erscheinung eines Täters auch hundertprozentig seinen Vorstellungen entspricht. Worauf will er damit hinaus?
"Der von den Nazis ins Mordstrafrecht eingeführte Begriff der 'Heimtücke' war damals mit bestimmten Personengruppen assoziiert. Auch in 'Der Kommissar' gilt, dass man den 'Tätertypen' diesen Status auch ansieht."
Und da sich mit Blick auf den Erfolg der AfD sagen lässt, dass die eben im beschriebene Sinne "nationalsozialistische Moral" (Gross) gerade besonders hoch im Kurs steht, hat Haass historische Forschung in Sachen Reinecker durchaus auch aktuelle Facetten.
Altpapierkorb (Die Vision einer "Plattform für öffentlich-rechtliche Hauptabendnachrichten aus allen 28 EU-Mitgliedsländern", die "seltsame Kooperation" zwischen der Weltwoche und China, ein versoffener Gratiszeitungsjournalist als Protagonist eines ARD-Weihnachtsfilms)
+++ In der Medienkorrespondenz skizziert die Mediensoziologe Volker Grassmuck mit Verweis auf das virtuelle Kulturarchiv Europeana die Vision einer neuartigen Nachrichtenplattform: "Ein Portal ähnlich europeana.eu zieht die öffentlich-rechtlichen Hauptabendnachrichten aus allen 28 Mitgliedsländern von deren Sites, übersetzt die Untertitel in alle in DeepL verfügbaren Sprachen und präsentiert sie durchsuchbar nebeneinander, ähnlich dem 'TV News Archive' im 'Internet Archive'. Wir könnten in die nationalen Filterblasen der anderen hineinschauen, sehen, wie Spanier, Franzosen, Polen oder Iren Ereignisse in ihren Ländern, im eigenen Land und in Europa sehen. Dem Verständnis der Europäer füreinander wäre damit eine große Chance geöffnet. Urheberrechtlich steht dem seit der neuen europäischen Satelliten- und Kabelrichtlinie (Dokument 32019L078 vom 17.4.2019, siehe euro-lex.europa.eu) nichts mehr im Weg."
+++ Über neue Kapriolen aus Boris Johnsons anti-öffentlich-rechtlichem Kampf berichtet die FAZ: "Die neue Regierung erwägt nun (…), die Verweigerung der Rundfunkgebühr zu entkriminalisieren. Jedes Jahr geht die BBC strafrechtlich gegen rund 180.000 Menschen vor, die den Jahresbetrag von 154,50 Pfund nicht beglichen haben. Davon werden mehr als 150.000 zur Zahlung verurteilt."
+++ "Nein, es ist kein Journalismus, wenn ein Magazin eine regelmäßige Kolumne des Botschafters einer Diktatur druckt. Es ist Propaganda. In diesem Fall offenbar auch noch bezahlte Propaganda" - so ordnet Armin Wolf die von der NZZ enthüllte "seltsame Kooperation" zwischen der Weltwoche und der chinesischen Botschaft ein. "Der NZZ liegen Kopien von Mails vor, die darauf hindeuten, dass Die Weltwoche für ihre chinafreundliche Berichterstattung mit Gegenleistungen belohnt wird", schreiben Simon Hehli und Daniel Gerny in ihrem Text. Die "Seltsamkeit" dieser Kooperation besteht demnach eher in ihrem geschäftlichen Charakter. Dass rechte Medien ein Herz für autokratische Staaten haben, ist dagegen ja eher nicht "seltsam".
+++ Der Antiheld in "Geschenkt", dem ARD-Mittwochsfilm bzw. "wunderbar-humorvollen Weihnachtsfilm" (Süddeutsche) ist ein Journalist - "ein versoffener Zyniker, der in der niederösterreichischen Provinz (…) für eine Gratiszeitung arbeitet und den Abschied von den einstigen journalistischen Ansprüchen allabendlich in seiner Stammkneipe ertränkt" (Stuttgarter Zeitung und RND) bzw. "Texte für die von ihm verachtete Gratiszeitung Tag für Tag schreibt, was seine Ambitionen ganz gut auf den Punkt bringt" (noch einmal Süddeutsche). Ob und was es über unsere Branche aussagt, dass Journalisten jetzt als Protagonisten in Weihnachtsfilmen dienen - darüber bin ich mir aber noch nicht im Klaren.
Reguläre Altpapiere erscheinen in diesem Jahr noch am Donnerstag, Freitag und Montag. Zwischen dem 24.12.2019 und dem 1.1.2020 kommen dann fünf monothematische Altpapier-Jahresrückblicke.
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