Das Altpapier am 13. Dezember 2019 Versteckspiel mit TikTok
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13. Dezember 2019, 12:28 Uhr
China-kritische Videos von zwei deutschen Anbietern sind bei TikTok teilweise schwer auffindbar. Ist eine Präsenz dort für Redaktionen wirklich sinnvoll? Und welche Verantwortung liegt bei (öffentlich-rechtlichen) Angeboten, die viele User auf die Plattform ziehen? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Hat TikTok mit Ihnen auch schön mal Verstecken gespielt? Angestoßen von den Veröffentlichungen von Netzpolitik zu den Moderationsrichtlinien und dem Drosseln verschiedener Inhalte auf der Plattform des chinesischen Unternehmens Bytedance (siehe Altpapier) haben jetzt zwei deutsche Redaktionen ihr Glück bzw. ihr Pech mit China-kritischen Inhalten auf TikTok versucht: Vice und funk.
Vice hat seit dem 26. November sieben Videos auf einer Art Test-Account hochgeladen. Die Massen habe man nicht erreichen können, schreibt Sebastian Meineck. Die Gründe seien nicht ganz klar, so ganz koscher kommt ihm das alles aber nicht vor:
"Es lässt sich nicht überprüfen, ob TikTok-Moderatoren unsere Videos gezielt herabgestuft haben – oder ob schlicht wenige Menschen sie interessant fanden. Eine seltsame Beobachtung haben wir aber gemacht: Unsere Videos sind in mindestens neun Fällen aus den Hashtag-Suchergebnissen der App verschwunden. Die Pressestelle von TikTok erklärt das auf Anfrage von VICE mit einem 'Bug'".
Ziemlich ähnlich sieht‘s auch bei funk, dem jungen öffentlich-rechtlichen Online-Angebot, aus. Bei der Tagesschau berichtet Jan-Henrik Wiebe über die Erfahrungen mit der Kurzvideo-Plattform:
"In einem Experiment lud funk verschiedene kritische Videos in einem Test-Account hoch, um zu sehen, wie der Algorithmus die Videos ausspielt. Das erste Video zeigt, wie ein Polizist in Hongkong eine schwangere Passantin mit Pfefferspray attackiert und sie anschließend brutal zu Boden gezogen wird. Bereits nach 16 Minuten wurde das Video ohne Angaben von Gründen gelöscht. Zwei weitere Videos von den Protesten erreichten zusammen mehr als 800 Views. Ein weiteres Video, in dem Trump für Sanktionen gegen China gedankt wird, sowie ein Video von Protesten in der chinesischen Region Guangdong sahen hingegen nur zwei beziehungsweise sechs Menschen."
Beide Redaktionen habe natürlich bei TikTok nachgefragt, was das mit dem Inhalte-Versteckspiel soll bzw. wie es dazu kommen kann. Wiebe schreibt:
"Woran das liegt, wollte TikTok nicht genau sagen. Das Unternehmen verwies auf eine Stellungnahme, wonach die App positive, lustige Erfahrungen bieten will. 'TikTok moderiert keine politischen Stellungnahmen außerhalb lokaler Gesetze noch sind die Entscheidungen unserer Moderation beeinflusst durch eine Regierung, einschließlich der Chinesischen Regierung.'"
Gegenüber Vice sprach TikTok von einem "Bug" der in Deutschland und anderen Ländern dazu führe, dass in der App nicht die gleichen Inhalte angezeigt werden, wie in der Browser-Version. Meineck zeigt sich allerdings skeptisch, weil die sieben Vice-Videos gleich zu neun (kritischen) Hashtags aus der App verschwunden seien.
"Ob Bug oder nicht – die verschwundenen Suchergebnisse haben reale Auswirkungen auf die Auffindbarkeit kritischer Videos. Das erinnert an sogenanntes Shadowbanning. So nennt man es, wenn eine Plattform unliebsame Beiträge nicht etwa löscht, sondern einfach schwerer auffindbar macht, sozusagen in den Schatten rückt."
Laut Vice war das Video der "Tagesschau" zu den #chinacables – den geleakten Informationen über die Uiguren und andere Minderheiten, die in Camps in der Provinz Xinjiang festgehalten werden – unter dem Hashtag weiter abrufbar, ebenso wie ein Video der Axel Springer Akademie. Zwei große Medien-Tanker, die wohl viel Aufmerksamkeit erregen würden, wenn sie von einer Drosselung ihrer Inhalte berichten würden.
Ein Novum aus China
Interessant an der ganzen Sache ist auch, dass in dieser Größenordnung noch nie eine chinesische App in Europa und den USA erfolgreich war. Die chinesische Version der App trägt den Namen Douyin – wohl auch, um sich Richtung Europa und den USA so weit wie möglich von China und dessen restriktiverer Informationspolitik abzugrenzen. In China gibt es für die Kurzvideoplattform andere Regeln als z.B. in Europa oder den USA, mit denen das Versteckspiel noch deutlich weiter getrieben werden kann, als bei Vice oder funk. Laut Tagesschau
"dürfen Nutzer unter anderem nicht 'gegen die in der [chinesischen] Verfassung festgelegten Grundprinzipien verstoßen', die nationale Einheit untergraben, das sozialistische System stürzen oder 'Kulturen und feudalen Aberglauben' unterstützen."
Weitere Distanzierungs-Elemente: Das Management von TikTok sitzt in den USA und die Server stehen in ebenfalls dort und in Shanghai.
"Aber unterm Strich bleibt eben der TikTik-Mutterkonzern Bytedance chinesisch. Und Chinas Staats- und Parteiführung kann, das haben wir in den letzten Jahren immer wieder gesehen, sehr rabiat sein, wenn's drum geht auf Privatunternehmen Einfluss zu nehmen und wenn's drum geht Firmenstrategien zu ändern. (…) China ist kein Rechtsstaat und deshalb schwingt da ne Menge Misstrauen mit, nach meiner Ansicht auch zurecht", sagt Steffen Wurzel, ARD-China-Korrespondent bei "Cosmo Tech" im Gespräch mit Dennis Horn und Jörg Schieb.
In Europa ist Deutschland mittlerweile der größte Markt der Plattform: Mit 5,5 Millionen aktiven Nutzer:innen und einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 50 Minuten liegt der TikTok-Konsum der Deutschen über dem in Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien. Jedenfalls wenn man den Zahlen von Digiday glauben will (€, alternativ hier im Wiwo-Blog Kroker‘s Look @ IT). TikTok selbst streut solche Veröffentlichungen eher sparsam.
Damit verschärft sich die Frage weiter, ob deutsche Medienhäuser und vor allem öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten die Plattform nutzen und sie mit Content füttern sollten. Von ÖR-Seite sind vor allem die "Tagesschau", funk und die junge WDR-Welle 1Live regelmäßig aktiv bei TikTok. Man werde die Plattform genau beobachten, teilte die "Tagesschau" dem Social Media Watchblog im November mit:
"Sollten wir feststellen, dass es hier Beeinträchtigungen unserer journalistischen Freiheit gibt, werden wir reagieren."
Allerdings könnte man solch große, journalistische Angebote auf der TikTok auch als Pull-Faktoren für ganz neue Altersgruppen sehen. Waren vorher vor allem 25-Jährige auf der Plattform aktiv, hatte man nach dem Eintritt der "Tagesschau" den Eindruck, dass ein großer Teil von Ü-30-Twitter nun auch Richtung TikTok wandert. Damit würde sich nicht mehr nur die Frage nach der eigenen redaktionellen Freiheit stellen, sondern ein Stück weit auch die nach der Verantwortung für die Plattform und die Methoden, in deren Umfeld andere Redaktionen und Nutzer:innen sich bewegen.
Und inwiefern bei TikTok und seinen Drosselungen der §94 "Diskriminierungsfreiheit" im frisch aus dem Ei geschlüpften Medienstaatsvertrag greift, wäre ein Ansatzpunkt für weitere Diskussionen.
Altpapierkorb (Champions-League-Rechte, letztes "Neo Magazin Royale", offener Social-Media-Standard, Republik-Magazin in Not)
+++ Die Senderechte der Champions League liegen ab Sommer 2021 nicht mehr bei Sky, berichten u.a. der Tagesspiegel und die Süddeutsche. Die Königsklasse wandert ins Netz, zu den Streaming-Anbietern Amazon und Dazn. Das ZDF Geld für Zusammenfassungen und für das Finale hingeblättert. "Welchen Preis die Sender für die Rechte zahlen müssen, ist unklar. Zuletzt nahm der europäische Fußballverband Uefa mit den deutschen TV-Rechten an der Champions League etwa 250 Millionen Euro im Jahr ein", heißt es bei der SZ. Dass die Öffentlich-Rechtlichen säckeweise Geld für Fußballrechte ausgeben, kann man kritisieren. Dieses Mal wütet FAZ-Haudegen Michael Hanfeld auf der Medienseite (nicht frei online aber hier bei Twitter) ziemlich undifferenziert und floskelig, das ZDF werfe "mit dem Speck nach der Schwarte" und greife "in die Vollen". Dort könne man sich die "horrenden Preise offenbar eher leisten als der Abo-Sender Sky, der leer ausgeht und in eine existenzielle Krise rutscht". Dass das ZDF nur ein Spiel überträgt und ein paar Zusammenfassungen, wird nicht erwähnt.
+++ SWR-Intendant Kai Gniffke gesteht im SZ-Interview mit Claudia Tieschky und Stefan Mayr Versäumnisse bei den jungen Zielgruppen ein – jung gilt hier als unter 50: "Tatsächlich erreichen wir in den jüngeren Altersgruppen deutlich weniger Menschen als in den älteren. Nun sind uns zwar alle Nutzenden gleich lieb, aber wir haben den gesellschaftlichen Auftrag, alle zu informieren und zu unterhalten und zu bilden. Deshalb müssen wir richtig Gas geben bei Inhalten für Menschen, die jünger als 50 Jahre sind. Dafür sind wir auch bereit, im Fernsehen Verluste bei den Marktanteilen hinzunehmen, die sich Fernsehsender vor allem mit älterem Publikum sichern."
+++ Die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) hat ein Verfahren gegen Twitter eingeleitet, berichtet SpOn. Es geht um Verstöße gegen den Jugendschutz und öffentlich zugängliche pornografische Inhalte. Von der Aufsichtsbehörde heißt es: Einige Profile enthalten "unter anderem Fotografien und Videos, die fokussiert und unverfremdet sexuelle Handlungen zeigen. Diese Inhalte haben keine Altersbeschränkung und sind damit auch Kindern und Jugendlichen frei zugänglich. Wer in Deutschland pornografische Inhalte öffentlich zugänglich macht, begeht nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag eine Ordnungswidrigkeit und macht sich zudem strafbar."
+++ Twitter will scheinbar eine Art offenen Social Media Standard entwickeln. T3n berichtet: "Das Projekt trägt den Namen Bluesky und könnte, so Dorsey, eines Tages die Grundlage für Twitter selbst bilden. Twitter wäre dann nur einer von vielen möglichen Clients für den geplanten Standard. Noch ist Bluesky allerdings nicht mehr als eine Absichtserklärung." Bei Netzpolitik.org sieht Alexander Fanta in der Ankündigung eine "politische Kampfansage" an Google und Facebook: "Die Konzerne monopolisieren mit ihren Plattformen praktisch den Markt für Online-Werbung, ein Ausbruch aus ihrem Ökosystem ist für viele Nutzer nicht denkbar. Dezentrale Netzwerke würden eine Rückkehr zum Internet der Protokolle, nicht jenem der Plattformen bringen." Das könne mehr Wettbewerb und Innovation erlauben.
+++ Faktenchecker von Correctiv und dpa machen Details der Zusammenarbeit mit Facebook nicht genug transparent, kritisiert Lorenz Matzat bei Übermedien.
+++ Das zu Beginn so positiv aufgenommene Schweizer Digitalmagazin Republik ist in Finanznot geraten. "Das Hauptproblem sei, dass nicht genügend Leser ihr bestehendes Abonnement verlängerten. Dadurch müssten immer mehr neue Abonnenten gewonnen werden, um die laufenden Kosten zu tragen. Gleichzeitig gestanden die Gründer in ihrem Blogbeitrag ein, das Marketing vernachlässigt zu haben, 'eine der Haupttodesursachen von Start-ups'", heißt es bei der FAZ. Als Fehler sehen man es mittlerweile auch, keine klaren Entscheidungsstrukturen aufgebaut zu haben.
+++ Böhmermann‘s "Neo Magazin Royale" lief gestern Abend zum letzten Mal, bevor die Sendung mit neuem Konzept ins ZDF-Hauptprogramm kommt. Einen Rückblick gibt‘s z.B. von Arno Frank bei SpOn und von Marcel Jarjour bei der Rheinischen Post.
+++ Zweite Staffel "Bad Banks" startet am 6. Februar erst auf Arte und wird am 8. dann auch im ZDF gesendet, berichtet dwdl.de.
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.
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