Das Altpapier am 12. Dezember 2019 Holger, der Kampf geht weiter!

12. Dezember 2019, 13:20 Uhr

Angesichts der fundamentalen Bedrohung, der sich Journalist*innen durch Doxxing und Trolling ausgesetzt sehen, fordert Sibel Schick besseren Schutz. Die Expertise zur Stasi-Tätigkeit des Zeitungsverlegers Holger Friedrich fällt anders aus, als wohl viele vermutet hatten. Ein Altpapier von René Martens.

Ein großes Thema war vor rund einem Monat an dieser Stelle der Aufruf "Schützt die Pressefreiheit!" - ein Aufruf, der als Reaktion entstand auf eine explizit gegen drei Journalisten gerichtete Demonstration in Hannover (zur Nachberichterstattung siehe dieses Altpapier).

Die Verfasserinnen und Verfasser des Aufrufs forderten damals ein "vereinfachte Verfahren für Auskunftssperren beim Einwohnermeldeamt für Journalist*innen" und eine "Neuregelung der Impressumspflicht, um Privatadressen von Journalist*innen und Blogger*innen besser zu schützen" - und zwar, um Journalistinnen und Journalisten vor sogenanntem Doxxing zu schützen.

Auf der Petitionsplattform von Campact knüpft die Kreuzer-Redakteurin und taz- und Missy-Magazin-Autorin Sibel Schick nun daran an. Sie fordert in ihrer an "Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD)" gerichteten Petition einen "effektiven Opferschutz von Betroffenen der Onlinekriminalität". Zum Hintergrund:

"Im März 2018 schrieb ein rechtsgesinnter Blogger einen Text bei FAZ-Blog über mich. Zuerst begann ein Shitstorm auf Twitter, weil mein Account in seinem Text verlinkt war. Dort hatte er aber nicht nur meinen Twitter-Account verlinkt, sondern auch geschrieben, wo ich arbeite und wie diese Arbeitsstelle finanziert wird. Der Shitstorm auf Twitter verwandelte sich rasch in eine Hasskampagne mit teils unterschwelligen, teils offenen Gewaltandrohungen. Kurz darauf fingen wütende Männer an, meine Arbeitsstelle und ihre Geldgeber*innen anzurufen, um sich über mich zu beschweren."

Einige Monate später wurden Schicks

"damalige Wohnadresse und Telefonnummer gedoxxt - also veröffentlicht (…) Die Bekanntmachung meiner Arbeitsstelle durch den FAZ-Blogger wurde also von seiner teilweise radikalen Fanbase als Anlass genommen, um weitere Informationen über mich herauszufinden und diese zu missbrauchen, um mir finanziell zu schaden. Der Schneeball-Effekt, der dieser Text auslöste, veränderte mein Leben auf eine sehr negative Weise."

Konkret daran an knüpft der vierte Punkt von Schicks neun "Forderungen an die Bundesregierung":

"Finden Sie heraus, welche großen Accounts eine Multiplikator*innenrolle bei Online-Angriffen spielen, damit sich diese nicht ihrer Verantwortung entziehen können. Wie zerstörerisch dessen Folgen sein können, wissen wir seit dem Mord an Walter Lübcke."

Dass der von Schick erwähnte Blogger (der heute nicht mehr auf der Honorarliste der FAZ steht, sondern auf der eines Mischkonzerns, der einen recht geringen Teil seiner Einnahmen mit Journalismus macht) kein Einzelfall ist, hat Schick kürzlich in einem Gespräch mit mir berichtet, das ich in einem Artikel für das Medienmagazin "journalist" verarbeitet habe (Teil-Screenshot hier, der Beitrag ist derzeit nicht frei online):

"Schick hat schon mehrmals erlebt, wie es ist, wenn Journalist*innen 'Troll-Methoden anwenden‘, wie sie es formuliert. 'Die suchen sich irgendeinen Tweet, der auch Monate oder Jahre alt sein kann und versehen ihn mit einem provokanten Drüberkommentar - mit der Absicht, dass ihre Follower die Drecksarbeit erledigen.'"

"Wir wissen, wo du wohnst"

Dass Journalisten - oder ihre Angehörigen - auf unterschiedlichste Weise bedroht werden, ist übrigens kein neues Phänomen. Im Störungsmelder-Blog von Zeit Online schildern Jonas Miller, Reporter beim Bayerischen Rundfunk, Jens Eumann von der Freien Presse und Henrik Merker, freier Journalist und Störungsmelder-Autor, Erfahrungen, die teilweise schon länger zurück liegen:

Miller schreibt zum Beispiel:

"Die ersten Drohungen kamen im Jahr 2006. Damals veröffentlichen Rechtsextreme auf einer 'Anti-Antifa'-Seite im Internet Bilder von mir, dazu meine Adresse und meinen Namen. Sie feierten sich in einem Artikel dafür, dass sie nachts unbemerkt in das Mehrfamilienhaus eingedrungen sind, in dem meine Eltern wohnen. Dort sprühten sie rechte und gewaltverherrlichende Symbole an die Wohnungstür. 2011 verübten Neonazis einen Brandanschlag auf mein Auto. Seit wir 2017 beim Bayerischen Rundfunk mit den Kollegen der Nürnberger Nachrichten ein Rechercheteam zum NSU-Komplex und den Verbindungen in die bayerische Szene gegründet haben, häufen sich Schmierereien und Graffitis in der Nähe meiner Wohnung (Linksetzung durch Miller - RM). Mir wird dort mit einem 'Hausbesuch' gedroht."

Auch Jens Eumann blickt einige Jahre zurück:

"Während meiner Berichterstattung über den NSU-Prozess in München machte mir das vor Jahren ein Mann deutlich, der einst Kontaktperson der NSU-Gruppe war und heute für die AfD im Chemnitzer Stadtrat sitzt. 2015 begleitete er einen Zeugen aus der Chemnitzer Neonaziszene zum Verfahren und setzte sich in den Zuschauerraum. Als er ging, beugte er sich zu mir und raunte mir mit dem Zusatz 'Alles klar?' meine Adresse zu. Nicht nur ich, sondern alle umsitzenden Journalisten verstanden den Hinweis gleich: Wir wissen, wo du wohnst, pass auf, was du schreibst! Ich habe den Sachverhalt damals angezeigt, damit er schriftlich festgehalten ist, für den Fall, dass wirklich etwas passiert."

Springer siegt in Leipzig

Von Hans-Georg Maaßen war in dieser Kolumne zuletzt i.d.R. wegen seiner günstigstenfalls enigmatischen Deutungen des Welt- und Journalismusgeschehens die Rede. Dass der Mann ja wirklich mal was zu melden hatte und nicht nur als Stofflieferant für beschäftigungstherapeutisch unterversorgte Journalisten diente - daran erinnerte am Mittwoch eine in vielerlei Hinsicht bedeutsame Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Dazu blenden wir erst einmal kurz rein in einen RND-Beitrag aus dem September 2018:

"Hintergrund ist eine juristische Auseinandersetzung zwischen einem "Bild"-Reporter und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Journalist hatte vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster auf Herausgabe von über 30 Jahre alten Akten zum inzwischen verstorbenen SS-Hauptsturmführer Alois Brunner geklagt. Das Gericht hatte der Klage im Juli stattgegeben. Maaßen will das Urteil nicht anerkennen und legte Anfang September vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Revision ein."

Diese Angelegenheit war 2018 auch Gegenstand einer Kleinen Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag. In der auch zur Sprache kommt, was 2011 bekannt geworden war: Der BND hatte in den 1990er Jahren fast 600 Seiten über den Massenmörder Alois Brunner, der für die Deportation von 128.000 Menschen verantwortlich war und später mutmaßlich für den BND gearbeitet hat, geschreddert oder sonstwie vernichtet - siehe dazu wiederum einen Artikel der Philosophin Bettina Stangneth für die Welt ("Kein Nachrichtendienst hat je eine Akte ohne Grund vernichtet").

Um zum gestrigen Urteil zu kommen: Hans-Wilhelm Saure - so heißt der Mann von der Bild-Zeitung, der das Ganze in Gang gebracht hat vor vielen, vielen Jahren - hat gewonnen. Berichtet darüber haben bisher (Stand: 10 Uhr) offenbar nur dpa (siehe Die Welt) und die Bild-Zeitung selbst. Diese zitiert Christoph Heubner, den Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees mit den Worten, es sei

"jetzt nicht mehr möglich, die Akten (…) über seine Helfershelfer und Verbindungsleute nach 1945 im Dunkel der Verfassungsschutz-Keller zu verbergen".

Werden wir jetzt wirklich alles erfahren über "die zweite und dritten Karriere" von "Eichmanns bestem Mann" als "Folterspezialist in Syrien und als BND-Agent" (wie es HR-Redakteurin Esther Schapira, Co-Autorin eines Films und eines Buchs über Brunner, formuliert) - bzw. über "einen der größten Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte", der darin besteht, "dass die Bundesrepublik Brunner jahrzehntelang geschützt und ihm vielleicht sogar so etwas wie eine Rente gezahlt hat", wie es der Autor des Buchs "Nazi, komm raus! Wie ich dem Massenmörder Alois Brunner in Syrien auf der Spur war" 2017 formuliert hat?

Falls ja, dürfte das vor allem in Ländern, die es nicht in Ordnung finden, dass die Bundesrepublik einen der größten NS-Verbrecher für sich arbeiten ließ, für sehr viel Aufsehen sorgen.

Macht die Akten öffentlich!

Die kurzfristig ausgesetzte Soap um die Friedrichs und ihre Berliner Zeitung (siehe unter anderem dieses Altpapier) geht in eine neue Runde.

Jana Hensel hat für die aktuelle Ausgabe der Zeit (€) einen Artikel über Holger Friedrich geschrieben, an dem für eine Medienkolumne für die unsrige erst einmal die Hintergründe der Entstehung des Textes interessant sind - beziehungsweise die Information, dass statt des nun vorliegenden Artikels eigentlich ein anderer geplant war. Hensel schreibt:

"Friedrich zieht kurz vor Redaktionsschluss der Zeit alle wörtlichen Zitate zurück und bricht damit eine klare Verabredung. Dabei ist dies bereits der zweite Versuch, Friedrich eine Gelegenheit zu einem offenen Gespräch über seine Stasi-Vergangenheit zu geben. Bereits am 18. November hatte er uns ein ausführliches Interview zu dem Thema gewährt, um es am Tag darauf kurz vor Redaktionsschluss ohne nachvollziehbare Begründung zurückzuziehen. So bleiben nur Stasi-Unterlagen und eine Zusammenfassung dessen, was Friedrich in den Gesprächen berichtet hat, um sich dem zu nähern, was damals geschah."

Es stelle sich auch

"die Frage, wieso Friedrich bis heute, einen Monat nach dem Bericht in der Welt am Sonntag (siehe Altpapier, Link vor mir - RM), keinen offensiven Umgang mit seiner Geschichte gefunden hat. Weshalb er auch für diesen Artikel keine Zitate freigegeben hat, trotz mehrfacher vertrauensvoller Absprachen. Holger Friedrich könnte mit dem Versuch, sein öffentliches Bild zu kontrollieren, selbst jene verprellen, die ihm in dieser Sache eine faire Debatte gewünscht hätten."

Wieso der ansonsten nicht durch Defensivtaktik aufgefallene Friedrich in Sachen Stasi-Vergangenheit auf eine solche Taktik setzt - diese Frage wirft in anderer Form eine Expertise zweier Stasi-Unterlagenexperten auf, die diese im Auftrag des Berliner Verlags erstellt haben. Die Berliner Zeitung hat diese Expertise am Mittwoch veröffentlicht. Da die Autorin Marianne Birthler und der Autor Sascha Kowalczuk "angesichts des überregionalen Interesses und im Sinne der Transparenz" die Robert-Havemann-Gesellschaft "gebeten haben, ihre Einschätzung auch auf ihrer Website zu veröffentlichen", steht sie ebendort ebenfalls. In der Expertise schreiben Birthler/Kowalczuk:

"Wir empfehlen dem Berliner Verlag und den Redaktionen der "Berliner Zeitung" und des "Berliner Kuriers", die MfS-Unterlagen über Holger Friedrich, die beim BStU verwahrt werden, vollständig (…) und soweit erforderlich mit Zustimmung von Holger Friedrich in geeigneter Form öffentlich zu machen."

Warum empfehlen sie das?

"Neben dem Umstand, wie Holger Friedrich zum IM gepresst wurde, ist bei der Beurteilung zu berücksichtigen, dass es nur wenige Treffen als IM gab, dass diese unter der besonderen Situation in einer Armeeeinheit zustande kamen (…) und dass Holger Friedrich diese Zusammenarbeit, als ein neuer Führungsoffizier für ihn tätig wurde, beendete und dabei sofort betonte, dass er diese nie freiwillig eingegangen wäre. Die Zusammenarbeit als IM dauerte von Juni bis August 1988. Es kam zu vier Treffen, von denen insgesamt sechs Berichte überliefert sind."

Es mag viele Gründe geben, die dafür sprechen, dass Holger Friedrich als Verleger einer Zeitung ungeeignet ist, seine "Stasi-Vergangenheit" gehört nach meiner Lesart der Expertise eher nicht dazu. Damit dürfte ich in einem Milieu, das nicht arm an Journalisten ist, die sich längst aus Verzweiflung entleibt hätten, wenn nicht die Aussicht bestünde, irgendwann mal wieder eine prickelnde Irgendwas-mit-Stasi-Geschichte erzählen zu können, aber in der Minderheit sein.

Zusammenfassungen der Birthler/Kowalczuk-Expertise (teilweise einordnender Art) finden sich beispielsweise in der Welt (natürlich mit Verweisen auf die eigenen Recherchen in der Stasi/Friedrich-Sache) und der SZ.

Die wundersame Welt des Regionalfernsehens

Wenn wir an dieser Stelle das öffentlich-rechtliche Informationsfernsehen kritisieren, geht es i.d.R. um die relativ großen Themen, um missratene Interviews mit AfD-Politikern oder auch Politikern anderer Parteien etwa. Der Blick auf die weniger großen Themen kann aber auch manchmal ganz aufschlussreich sein, und aktuell zeigt das ein sehr ausführlicher Beitrag der Wochenzeitung Kontext zum im SWR Fernsehen im Rahmen der Reihe "Marktcheck deckt auf" ausgestrahlten Reportage "Das Geschäft mit LED-Lampen". In diesem Beitrag geht es unter anderem um vermeintliche Forschungen zur vermeintlichen Schädlichkeit solcher Lampen. Kontext-Autor Jürgen Lessat dazu:

"Dr. Uwe Geier, der den Zuschauern als 'Lichtexperte, der zur Wirkung von Licht forscht' vorgestellt wird, (…) (wird ) in einem Informationsportal für Anthroposophen. (…) nicht als Lichtforscher, sondern als Mitarbeiter von 'Forschungsring e.V.' geführt. Der Verein (…) soll laut Satzung 'Fragen zu landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf der Grundlage von Rudolf Steiners erweiterter Natur- und Menschenerkenntnis' erforschen. Geier, studierter Agraringenieur, ist sein Geschäftsführer."

Laut "weiteren Recherchen", so Lessat,  sei der "Lichtexperte" Geier "auch kein objektiver Forscher", sondern Betreiber des Internet-Portals Lichtfragen.info, "das Unterschriften gegen ein 'LED-Monopol' durch die EU-Ökodesign-Richtlinie sammelt." Kontext fragt also:

"Warum verschweigen die 'Marktchecker' das anthroposophische Weltbild der aufgebotenen Lichtexperten? Warum suggerieren sie Wissenschaftlichkeit, wo esoterische Maßstäbe angelegt werden?"

Ich erwähne das hier etwas ausführlicher, weil ich den Eindruck habe, dass es bei den Öffentlich-Rechtlichen öfter mal an der notwendigen Distanz zu Hokuspokus und Scharlatanerie zu mangeln scheint.

Einem Bericht des im NDR Fernsehen ausgestrahlten "Hamburg Journals" über ein Esoterikmesse haben sich kürzlich die Prinzessinnenreporter gewidmet. Trotz launiger Tri-tra-trullala-Präsentation, die Verteidiger des Beitrags vermutlich als Beleg für eine Distanz zu den Angeboten der Messe erwähnen würden, handelt es sich bei dem Film letztlich um "satte NDR-Promotion" (Prinzessinnenreporter) - und damit auch für "das rechtlastige Unternehmen Artha Verlag & Versand", das "mit einem großen Stand höchst fragwürdiger Literatur – darunter eindeutig 'völkischer' Veröffentlichungen – vertreten" war, wie in dem Artikel betont wird.

Über den krassesten Fall von öffentlich-rechtlicher Scharlatanerie-Promotion ist, so weit ich das überblicken kann, bisher nur halb-öffentlich diskutiert worden. Auch hier geht es um einen Film des "Hamburg Journals". Im Zentrum dieses NDR-Beitrags steht eine sog. Tierkommunikatorin, die darin vorgibt, mit einem vor 15 Jahren verstorbenen Hund Kontakt aufgenommen zu haben. In der vergangenen Woche publizierte der Redaktionsausschuss des Senders im NDR-Intranet dazu ein Interview mit der dafür verantwortlichen Sabine Rossbach, Direktorin des Landesfunkhauses Hamburg.

"Zu diesem Beitrag des Hamburg Journals vom 8. Oktober haben den Redaktionsausschuss zahlreiche kritische Mails erreicht",

schreiben die Macher des Interviews.

Kurzer Hintergrund dazu: Der Redakteursausschuss ist die Berufsgruppenvertretung der Programmmitarbeiter beim NDR. Die Landesfunkhausdirektoren - das muss man vielleicht wissen, um das Folgende einordnen zu können - sind in der Hierarchie des NDR auf einer Ebene mit den Programmdirektoren anzusiedeln, jedenfalls legt das Organigramm des Senders diese Interpretation nahe.

Der inkriminierte Beitrag steht zwar nicht mehr in der NDR-Mediathek, ist aber bei YouTube abrufbar, weil die porträtierte Telepathin ihn dort freundlicherweise auf ihrem Kanal veröffentlicht hat.

Berichtet wird in dem Beitrag, wie eine "Kundin" der Kommunikatorin den Auftrag gibt, mit ihrer vor 15 Jahren in die ewigen Jagdgründe eingegangen Hündin Kontakt aufzunehmen. Nachdem die geschäftstüchtige Kommunikatorin angeblich mit der toten Hündin "gesprochen" hat, spricht diese nun mit der Hinterbliebenen über das Gespräch - und das "Hamburg Journal" zeigt uns das. In der zentralen Passage bei 1:35 sagt die Sprecher über die Tierkommunikatorin in ganz neutralem Ton:

"Die 36-Jährige kann (…) nicht nur mit lebenden, sondern auch mit verstorbenen Hunden in Kontakt treten."

Hier wird also eine verrückte Behauptung einfach übernommen, eine ironischen Brechung oder Ähnliches lässt sich beim besten Willen nicht heraushören. Am Ende des Films folgt dann auch noch ein verbraucherfreundlicher Hinweis auf den Preis der telepathischen Dienstleistung. Wie die Direktorin Rossbach diesen allen öffentlich-rechtlichen Standards zuwider laufenden Beitrag im Interview zu verteidigen versucht - das ist schon ziemlich großes Tennis. Schauen wir uns einmal einige Frage-Antwort-Passagen an:

Redaktionsausschuss: "Wurde der Autorin aufgetragen, auch kritische Stimmen zum Thema Telepathie im Allgemeinen und mit Toten (zumal Tieren) einzuholen?"

Rossbach: "Nein, der Autorin wurde dies nicht aufgetragen. Wir berichten im Übrigen auch über die Esoterikmessen in Hamburg (siehe oben - Anm. RM) und stellen einen Rundblick über das Angebot von Geistheilung bis Warzenbesprechung vor, ohne in jedem Fall einen kritischen Ton dazu zu holen."

(…)

Redaktionsausschuss: "Wie bewerten Sie den Vorwurf, dass es sich bei Telepathie mit toten Tieren um Scharlatanerie beziehungsweise Betrug handelt?"

Rossbach: "Wie ich das Thema Telepathie bei Menschen oder Hunden bewerte, ist hier eigentlich unerheblich."

(…)

Redaktionsausschuss: "Wie bewerten Sie den Beitrag (…) im Nachhinein? Hält er Ihrer Meinung nach den im NDR üblicherweise angelegten journalistischen Maßstäben Stand?"

Rossbach: "(…) Der Beitrag sollte keine kritische Betrachtung des Phänomens Telepathie bei Hunden leisten, sondern (…) ein Teil einer Darstellung sein, was Hamburg - auch an skurrilen Dingen - für Hunde zu bieten hat."

Von überbordender Souveränität sind die Aussagen dieser hochrangigen Programmmanagerin also nicht geprägt.


Altpapierkorb (Der nicht immer erkennbare Unterschied zwischen der türkischen und der österreichischen Justiz; was der Intendant der HR unter "intelligentem Verzicht" versteht; der Lieblingsteufel der Bild-Zeitung)

+++ "Dass in der Türkei Menschen mit absurden und fadenscheinigen Vorwürfen angeklagt werden, ist nichts Neues. Aber dass eine österreichische Staatsanwaltschaft so eine Anklage ernst nimmt und selbst ein Ermittlungsverfahren anstrengt, ist einigermaßen erstaunlich" - mit diesen Worten in eigener Sache kritisiert der österreichische Journalist Max Zirngast, der 2018 drei Monate in der Türkei inhaftiert war (Altpapier), gegenüber dem Neuen Deutschland (für das er gelegentlich schreibt) die Justiz in seinem Heimatland. Die Ermittlungen gegen Zirngast in Österreich "basierten (…) auf haltlosen Spekulationen", schreibt die Zeitung dazu. Der Falter (€) hatte zuerst über das befremdliche Verfahren berichtet. Der ausführlichste Text steht naturgemäß auf der Seite der Max-Zirngast-Solidaritätsaktivisten.

+++ Mehr Rechtliches: In einem Offenen Brief an die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht fordern unter anderem die Open Knowledge Foundation und die Journalistengewerkschaften die Abschaffung des "Zensurheberrechts". Die taz fasst das Anliegen folgendermaßen zusammen: Es sei "nötig, das deutsche Urheberrecht so zu reformieren, dass Behörden mit öffentlichen Geldern erstellte Texte nicht nach tagespolitischem Bedarf unter Verschluss halten können" und "der Zugang zu Dokumenten für Journalist*innen (…) erleichtert" werde.

+++ Noch mehr Rechtliches, und zwar ebenfalls aus der taz: Die erwähnten Journalistengewerkschaften und auch ARD und ZDF sind Teil eines sehr breiten Bündnisses, dessen Parole  "Medienauskunftsgesetz jetzt!" lautet. Christian Rath schreibt dazu: "Die Lücke, die ein derartiges Gesetz schließen soll, besteht seit 2013." Damals habe das heute bereits in einem anderen Kontext erwähnte Bundesverwaltungsgericht in Leipzig "völlig überraschend" festgestellt, dass "für Presseauskünfte gegen Bundesbehörden ein Bundesgesetz erforderlich" sei. Der Aufruf des Bündnisses findet sich hier.

+++ Auf der FAZ-Medienseite greift Jochen Hieber in einem derzeit nicht frei verfügbaren Beitrag noch einmal die drohende "Reform" bei hr2-Kultur auf (siehe zum Beispiel dieses Altpapier). "Vereinfacht gesagt, aber der Wahrheit entsprechend: Es geht darum, bei hr2-Kultur Produktions- und Personalkosten massiv einzusparen, indem das Musikprogramm weitgehend auf Klassikkonserven reduziert und die überaus substantielle Kulturberichterstattung aus Hessen und darüber hinaus zumal in den beiden sechs von achtzehn Sendestunden umfassenden Magazinen 'Kulturfrühstück und 'Kulturcafé'" bis fast zum Totalverzicht skelettiert werden soll. In der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift 'Medium Magazin' spricht der Intendant beschönigend von 'intelligentem Verzicht'." Hieber bemerkt außerdem: Obwohl der HR verlauten lässt, dass in Sachen "künftige Kulturberichterstattung" bereits "im Laufe des ersten Quartals des nächsten Jahres über die weiteren Schritte informiert werden kann", finde sich das Thema nicht "auf der Tagesordnung des hr-Rundfunkrats, der morgen, am Freitag, zum letzten Mal in diesem Jahr zusammentrifft".

+++ Zum Abschluss noch eine Ergänzung zum Thema SPD-Berichterstattung, die Schwerpunkt des Altpapiers von Montag war. Der Lieblingsteufel der Bild-Zeitung ist derzeit Kevin Kühnert, und mit deren Berichterstattung über den neuen Parteivize befasst sich Stephan Anpalagan (Neues Deutschland): "Die Boulevardzeitung hat (…) weder Kosten noch Mühen gescheut und Kühnerts Grundschullehrerin, seinen Geschichtslehrer, einen Kumpel vom Fußballverein und Schulfreunde von ihm ausfindig gemacht, ihm einen Brandbrief geschrieben und 'Post von Franz Josef Wagner' geschickt. Der neueste Artikel über den Juso-Chef ist bei alledem noch unterirdischer als alle vorherigen und spart nicht einmal an spöttischen Kommentaren zu seiner Körpergröße ('knapp 1,70 Meter') und seiner Homosexualität ('Wo andere Familien planten, hatte er Zeit fürs Strippenziehen‘)."

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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