Das Altpapier am 10. Dezember 2019 Druck von allen Seiten

10. Dezember 2019, 16:39 Uhr

Die Pressefreiheit ist längst nicht in Sicherheit – in Malta eh nicht, aber auch nicht in Deutschland. Markus Peichl sieht die Journalisten in schwerer Bedrängnis. Aber er kann auch sagen, was fehlt. Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Der 10. Dezember ist der 344. Tag des gregorianischen Kalenders. Wer Eulalia heißt, hat heute Namenstag. Vor allem ist heute aber der Tag der Menschenrechte, und damit wollen wir anfangen. Der Evangelische Pressedienst hat zu diesem Anlass der Organisation "Reporter ohne Grenzen" ein Porträt gewidment, das zum Beispiel beim Tagesspiegel erschienen ist, und das unter anderem daran erinnert, dass im vergangenen Jahr 80 Journalisten "in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit" gestorben sind. "49 davon seien gezielt getötet worden."

Solche Zahlen werden hin und wieder in den Nachrichten erwähnt, aber dort dominieren vor allem spektalkuläre Fälle, was einerseits gut ist, weil jede Form von Aufmerksamkeit für das Problem wichtig ist, andererseits vermittelt es aber den Eindruck, als würde es sich um seltene Einzelfälle handeln. Einer dieser mit Aufmerksamkeit gut versorgten Fälle ist der hier in den vergangenen Tagen mehrfach behandelte Mord an Daphne Caruana Galizia (Altpapier), der Malta weiterhin in Atem hält. Am Montagmorgen sind laut Spiegel Online 30 Demonstranten in den Amtssitz von Premierminister Joseph Muscat eingedrungen. Sie wollen erreichen, dass Muscat sofort zurücktritt und nicht erst wie angekündigt Mitte Januar.

Albrecht Meier berichtet für den Tagesspiegel über die Forderung von EU-Abgeordneten, die Situation am Donnerstag zum Thema beim EU-Gipfel in Brüssel zu machen. "Auch auf europäischer Ebene spielt der Fall längst eine größere Rolle", schreibt Meier. Und am Tag der Menschenrechte erinnern wir einfach noch einmal daran, dass all das mit einer Recherche begonnen hat – also wenn man so will, mit unbequemen Fragen.

Pressefreiheit unter Druck

Die Panorama-Moderatorin und NDR-Innenpolitik-Chefin Anja Reschke hat vor knapp neun Jahren ein Buch mit dem Titel "Die Unbequemen" veröffentlicht, der morgen Abend einer Veranstaltung an der Universität Eichstätt-Ingolstadt ihren Namen gibt. Anja Reschke wird dort "Über Haltung und Mut im Journalismus" sprechen. Elisa Britzelmeier hat ihr dazu für die SZ-Medienseite vorab einige Fragen gestellt, unter anderem die, wer denn das sein soll, die Unbequemen. Es sind – man hätte vielleicht auch drauf kommen können – die Journalisten. In Reschkes Antwort steht ein Satz, der zum Tag der Menschenrechte sehr gut in diese Kolumne passt:

"Sehr schnell vergisst man ja, was Pressefreiheit bedeutet, dass man nämlich als Journalist wirklich jedem Verantwortlichem jede Frage stellen kann, egal wie kritisch."

Auf den ersten Blick klingt das schon fast wie eine Plattitüde. Natürlich darf man jedem Verantwortlichen jede Frage stellen, zumal in Deutschland. Wir befinden uns ja schließlich auf einem leuchtenden 13. Platz in der Rangliste der Pressefreiheit, weit weg von der Abstiegszone. Aber Moment. War da nicht irgendwas in Hamburg, bei den G20-Protesten vor zwei Jahren?

Ach ja. Die Deutsche Journalisten-Union erinnert in der Dezember-Ausgabe ihres Mitgliederbriefs unter der Überschrift "Bedrohung der Pressefreiheit: Der Druck steigt weiter" an ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom 20. November (Altpapier), in dem es zwei Journalisten Recht gab, denen das Bundespresseamt überraschend die Akkreditierungen entzogen hatte. Darin heißt es unter anderem.

"Der reine Hohn hingegen war die Bemerkung einer der Rechtsanwälte der Bundesregierung, die für diesen beispiellosen Eingriff in die Pressefreiheit vor Gericht stand. Er mokierte sich darüber, warum die betroffenen Kollegen denn ihre Einträge in die Datenbanken der Sicherheitsbehörden nicht vor dem G20-Gipfel hätten löschen lassen. Dabei wissen alle Beteiligten, dass es für diese Datenbanken keine Rechtsgrundlage gibt, und dass die Sicherheitsbehörden selbst sogar teilweise deren Existenz abstreiten. Aber wer investigativ in bestimmten Milieus recherchiert, kann als Journalist*in schnell als 'gewaltbereit rechts' oder 'links' oder 'Fußballhooligan' in derlei Datenbanken geraten, ohne jemals darüber informiert zu werden."

So ganz eindeutig ist das mit der Pressefreiheit eben doch nicht, auch nicht in Deutschland. Das vergisst man ebenfalls immer wieder.

Fälschungen und Sparzwänge

Dass die Presse sich ihrer Freiheit nie so ganz sicher sein kann, hat natürlich auch mit anderen Problemen zu tun, die nach den Jahren des Durchkauens mittlerweile mitunter etwas plattitüdenhaft daherkommen, was sie natürlich nicht falsch macht – zum Beispiel das Problem mit den "Sparzwängen".

Gregory Lipinski hat Markus Peichl, den Macher der "Lead-Awards", die gestern Abend verliehen wurden, in seinem Meedia-Interview gefragt, ob die immer engeren Budgets mit schuld an den "Fälschungsvorfällen" seien, über die wir praktisch das ganze Jahr geredet haben. In diesem Zusammenhang erscheint die Frage allerdings etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass der prominenteste Fall sich im Spiegel-Gesellschaftsressort abgespielt hat, das aus der Perspektive von Zeitungsredaktionen gewissermaßen im Geld schwimmt. Der zweite gerade noch rechtzeitig entdeckte Fall ereignete sich beim SZ-Magazin, das ebenfalls nicht für seine knappen Budgets bekannt ist. Vor dem Hintergrund hätte man auch fragen können: Können Sparzwänge Fälschungsvorfälle verhindern?

Peichl geht in seiner Antwort nur halb auf die Frage ein. Er sagt: "Sie sprechen eines der größte Probleme der Branche an." Ja, der Druck werde immer größer. Aber nicht nur von einer Seite. Auf der anderen sei da eben auch der Druck, "sich gegen Populismus, Täuschung, Manipulation und die grauenhaften Simplifizierer in allen Bereichen zu stemmen". Druck von allen Seiten also.

"(…) die Krise der Medien, die Krise der Publizistik und die Krise der Demokratie hat nicht nur mit den Kräften zu tun, die uns von außen angreifen – beispielsweise den Rechtspopulisten. Sie sind auch das Resultat der Fehler, die wir selbst machen."

Peichl hat aber auch eine Vorstellung davon, wo man mit dem Umdenken anfangen könnte:

"Alle Markt- und Meinungsforscher zeigen uns, dass die 12- bis 20-Jährigen ihre Identität über Moral, Ernsthaftigkeit, ethisches Verhalten und gesellschaftliches Engagement definieren – und ehrlich gestanden braucht man dafür keine Marktforscher, man muss nur freitags auf die Straße gehen. Wer so tickt, hat das Bedürfnis, nach einer neuen seriösen, tiefgründigen Form von Journalismus. Also könnte es nicht ganz verkehrt sein, sie ihr zu geben und zu ermöglichen – wie gesagt, auch aus ökonomischer Sicht. Man sollte das bei Zukunftsplanungen zumindest im Auge behalten."

Nun noch schnell zu den Ergebnissen der Preisverleihung, die der Anlass für das Interview war. Gregory Lipinski hat für Meedia alle Preisträger zusammengefasst. Und damit rüber zum…


Altpapierkorb (Die Republik, Berlin.de, Big Bird, Nico Hoffmann, Nobelpreise)

+++ Das Schweizer Startup "Die Republik" hat Geldsorgen und könnte, wenn es ganz schlecht läuft, im März aufgelöst werden. In einem Brief an ihre "Verleger" schreiben sie: "Wir müssen bis Ende März zwei grosse Ziele erreichen: wieder 19’000 Verlegerinnen sein und zusätzlich 2,2 Millionen Franken auftreiben (davon haben wir schon 540’000 Franken geschafft) (…) Schaffen wir es nicht, werden wir am Nachmittag des 31. März für sämtliche Mitarbeitenden der Republik die Kündigung aussprechen."

+++ Das Portal Berlin.de, der "eigentliche Schatz" im Deal des Ehepaar Friedrichs, sammelt offenbar ganz munter Daten, ohne Nutzern irgendwas davon zu verraten. Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk hat dem Betreiber laut Robert Kiesel, der für den Tagesspiegel berichtet, in Sachen Datenschutz ein "verheerendes Zeugnis" ausgestellt. "Eine bis vor kurzem noch erwogene Fortsetzung der Zusammenarbeit dürfte nach der Kritik Smoltczyks und der nun im Raum stehenden Strafe durch deren Behörde endgültig vom Tisch sein", schreibt Kiesel

+++ Caroll Spinney, der Puppenspieler im Kostüm der Sesamstraßen-Figur "Big Bird" ist gestorben. Holger Gertz hat ihn vor sieben Jahren getroffen. Auf der SZ-Medienseite schreibt er einen liebevollen Nachruf, in dem er auch die Figur erklärt. Um ehrlich zu sein: Ich glaube, ich hatte sie vorher gar nicht richtig verstanden. Gertz: "Irgendwann hat ein Journalist über die Sesamstraße geschrieben, im Text kam der Satz vor: 'Und dann ist da noch dieser große, mitfühlende Vogel.' Caroll Spinney konnte den Satz auswendig aufsagen beim Gespräch damals in New York. 'Dieser Journalist hatte erkannt, um was es mir ging. Irgendwie hatte das Mitgefühl sich ausgedrückt, durch Big Birds Charakter.'"

+++ Auf der FAZ-Medienseite hat Michael Hanfeld sich sehr viel Platz und Zeit genommen, um mit Star-Produzent Nico Hoffmann über die Lage der Filmindustrie und der Welt zu sprechen (noch nicht online). Zur Schnittmenge von beidem sagt Hoffmann: "Die spannendere Frage ist: Wie erzählen wir von Faschismus, Nationalismus und Totalitarismus auf immer neue Weise? Daran denke ich, wenn ich einen Auftritt wie den von Björn Höcke beim Kyffhäusertreffen sehe. Ich finde es erschütternd, dass so etwas heute in der Wortwahl und der Bildästhetik wieder funktioniert. Diese Signale eines neuen Faschismus, auf die Ulrich Matthes bei der Verleihung des "First Steps Awards" als Präsident der Deutschen Filmakademie eindringlich hingewiesen hat, müssen wir als Künstler wahrnehmen."

+++ In Stockholm werden heute die Nobelpreise verliehen. Passend dazu ist in Schweden soeben das Buch "Klubben" (Der Klub) erschienen, das von den "MeToo"-Recherchen der schwedischen Journalistin Matilda Gustavsson handelt, mit deren Veröffentlichung vor zwei Jahren die Krise der Akademie begann. Matthias Hannemann stellt das Buch in der FAZ vor (55 Cent bei Blendle): "Man kann nur hoffen, dass 'Klubben' auch auf Deutsch erscheinen wird. Das Buch hat erhebliche Durchschlagskraft. Die Schwedische Akademie wird man trotz personellen Umbaus und Reformen seit Ende 2018 noch lange mit dieser Geschichte verbinden. Erst vorige Woche trat einer der neuen externen Berater des Literaturnobelpreiskomitees zurück, weil ihm der angekündigte Veränderungsprozess zu langsam vonstattengeht."

+++ Und noch ein Fernsehtipp: Das Erste zeigt morgen (Mittwoch) um 20.15 Uhr die Satire "Der König von Köln", die von einem Korruptionsfall handelt, der ungefähr so, jedenfalls grob, auch stattgefunden hat – was der Film auch gar nicht groß zu verschleiern versucht. Thomas Middelhoff, eines der realen Vorbilder, heißt im Film Thomas Middeldorf und Madeleine Schickedanz tritt auf als Valerie Dickeschanz. Hans Hoff schreibt auf der SZ-Medienseite: "Es ist dem Regisseur Richard Huber zu verdanken, dass die Geschichte (…) eine feine Logik behält, dass man den durchweg exzellenten Darstellern in jede noch so abwegige Wendung folgen mag und oft annimmt, dass es in Wahrheit wohl genau so und nicht anders gewesen sein muss."

Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.

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