Das Altpapier am 21. September 2017 Buhrow, du Opfer!
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Die Bild-Zeitung disst Peter Altmaier, weil er das Selbstverständlichste von der Welt gesagt hat. Ein ARD-Intendant verteidigt sein Gehalt. Carsten Maschmeyer darf Erstleser nicht zuletzt in eigener Sache sein. Ein Altpapier von René Martens.
Steigen wir heute mal ein mit einer Art Seufzer:
"Und ja, schon klar: Auch wir haben nun wieder über die AfD berichtet."
Das steht am Ende eines Bildblog-Textes, und damit ist eine Falle benannt, in die Medienkritiker immer wieder gehen müssen, wenn sie die überproportionale Beschäftigung deutscher Journalisten mit der AfD aufgreifen. Im konkreten Fall geht es darum, dass bei welt.de am Montag "ab ungefähr 21 Uhr und bis nach 22" Uhr acht Texte mit AfD-Bezug auf der Startseite standen.
Dass die Bild-Zeitung "schon ein AfD-Blatt war, bevor es die AfD überhaupt gab", habe ich vor einiger Zeit bereits im Altpapier geschrieben. Als "wichtigsten inoffiziellen Wahlhelfer der AfD" kann man sie selbstverständlich auch bezeichnen, und Stefan Niggemeier tut es nun aus aktuellem Anlass bei Übermedien. Der Online-Ableger hat nämlich im Rahmen eines "Blitz-Interviews" für ein dort gesendetes TV-Format Sätze vorgegeben, die Altmaier mit Ja oder Nein kommentieren sollte. Einer davon lautete: "Es ist besser, AfD zu wählen, als nicht zu wählen."
Altmaier hat daraufhin - und zwar "spontan", wie Niggemeier bemerkt - das Einzige gesagt, was man als Nicht-Nazi dazu sagen kann: "Nein". Und er hat dies auch auf Nachfrage noch einmal bekräftigt. Niggemeier weiter:
"Bild skandalisiert das dann, in maximaler Lautstärke: Wie kann er nur? Wie kann ein Regierungsminister sowas sagen!"
Niggemeiers Fazit: Julian Reichelt und Konsorten hätten den CDU-Mann "für ein frivoles Spiel genutzt, bei dem sie Altmaier nur die Chance gab(en), sich auf die ein oder andere Weise als Demokratiefeind darzustellen. (Oder halt, was das beste gewesen wäre, am Spiel gar nicht teilzunehmen, was sie ihm sicher auch vorgeworfen hätte.) Dass Reichelt nun glaubt, er sei in einer Position, die heilige Ehre der Demokratie gegen Altmaier verteidigen zu können oder zu müssen, zeigt eine bestürzend verzerrte Selbstwahrnehmung."
Mit dem Umgang mit der AfD befasst sich auch Sascha Lobo (Spiegel Online). Er meint, zu beachten sei unter anderem Folgendes:
"Wenn ein AfD-Kopf in Massenmedien spricht oder zu diskutieren scheint, richtet er sich fast nie an das gesamte Publikum oder die Diskussionspartner vor Ort. Ziel der Kommunikation sind immer nur eigene Anhänger und mögliche Sympathisanten. Deren Rezeption ist von Argumenten weitgehend abgelöst, sondern funktioniert eher über einzelne Schlagworte und fast ausschließlich emotional."
Ehrenamt und Transparenz
Was ging denn eigentlich so alles bei der Pressekonferenz anlässlich der in Köln stattfindenden Hauptversammlung der ARD? Thomas Buhrow, der Leichtmatrose unter den ARD-Intendanten, hat dort sein Gehalt (399.000 Euro) verteidigt: "Man kann immer sagen 'weniger, weniger, weniger.'" Darauf folgt ein "aber", und was wiederum darauf folgt, wird von den Berichterstattern in leicht voneinander abweichenden Variationen wiedergegeben. Von Spiegel Online, basierend auf einer dpa-Meldung, etwa so:
"Dann lande man am Ende bei Milliardären, die es sich leisten können, den Job ehrenamtlich zu machen. Ob das so gut wäre für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wolle er bezweifeln."
Und vom Kölner Stadt-Anzeiger so:
"Dann lande man irgendwann bei Milliardären, die einen solchen Job ehrenamtlich machen - und wohin das führe, zeige sich in den USA."
Die Botschaft ist zwar klar: Buhrow sieht sich als Opfer, als Opfer eines weit verbreiteten Neids, und man kann dazu zumindest sagen, dass es sympathischere Posen gibt als die, die der WDR-Intendant hier einnimmt. Ansonsten bleibt das Gesagte leicht rätselhaft, unter anderem, weil es in den USA kein vergleichbares öffentlich-rechtliches System gibt.
Aber vielleicht war Buhrow am Mittwoch ja einfach nicht gut in Form. In einem am Rande der Pressekonferenz entstandenen "Zapp"-Interview, wirkt er teilweise zappelig, Zeichen innerer Unruhe sind unverkennbar. Seine Einschätzung, die ARD habe in der Auseinandersetzung mit den Verlegern (siehe Altpapier) "zu lange die Wange hingehalten", funzt immerhin ganz gut.
Was man nach der ARD-Pressekonferenz noch nicht weiß? Zum Beispiel, was einst der Halbzeitpausenunterhalter Mehmet Scholl verdiente. Joachim Huber kritisiert im Tagesspiegel:
"Das Argument, Honorare von Experten, Moderatoren und Schauspielern könnten nicht genannt werden, weil sonst die Senderkonkurrenz in Vorteil käme, verfängt nicht. Siehe BBC: Fußballexperte Gary Lineker erhält zwei Millionen Euro pro Saison. Aus der Veröffentlichung des Honorars sind weder ihm noch der BBC Nachteile erwachsen, abgeworben wurde er auch nicht."
Was hingegen jetzt verfügbar ist: Wie viel die ARD-Programmdirektoren verdienen. Der schon erwähnte Kölner Stadt-Anzeiger schreibt:
"(Die Gehälter) liegen zwischen knapp 14.000 Euro (RB) und 18.500 Euro (NDR) monatlich, beim WDR sind es 18.328 Euro."
Wer wiederum wissen will, wo die ARD generell die Grenzen der Transparenz zieht, kann dazu ein Gutachten des vom Senderverbund beauftragten früheren Bundesverfassungsrichters Paul Kirchhof lesen.
Die "Temperatur" des "Traumschiffs"
Bekannt wurde in Köln auch, dass ab Anfang 2018 der BR-Intendant Ulrich Wilhelm den ARD-Vorsitz übernehmen wird (was inoffiziell aber vorher schon bekannt war, siehe ein Altpapier von Ende Juli). Eine weitere wichtige Personalangelegenheit: Die ARD hat den Vertrag von Programmdirektor Volker Herres, der Ende 2018 ausläuft, um drei Jahre verlängert.
"ARD-Chefin Wille lobte, Volker Herres sei ein 'Qualitätsführer' im deutschen Fernsehen",
schreibt der Tagesspiegel dazu. Bisher hatte man manchmal den Eindruck, das Verhältnis zwischen Herres und Wille ähnele dem von Hund und Katze, aber vielleicht hat sich das mittlerweile ja geändert. Die SZ nimmt die Vertragsverlängerung zum Anlass für ein ausführliches Interview mit Herres. Katharina Riehl und Claudia Tieschky befragen ihn unter anderem zum Quotenrückstand aufs ZDF. Herres dazu:
"Das ZDF hat sein Programm sehr konsequent auf Marktanteilsoptimierung ausgerichtet. Wir sind sehr viel kompromissbereiter, Dinge zu machen, von denen wir wissen, dass sie nicht die ganz hohen Quoten erzielen werden. Nehmen Sie die NSU-Trilogie […] Es war […] klar, dass das kein großer Quotenerfolg wird. Dann hätten wir die NSU-Geschichte als Thriller erzählen müssen. Wäre mit mir nicht zu machen gewesen."
Ha, Herres, der alte Quotenfetischist, gibt plötzlich den TV-Filmkunstförderer!
Riehl/Tieschky wollen auch noch wissen, ob er es "böse" finde, "wenn man sagt, dass der Donnerstagskrimi mit seinen Urlaubskulissen das Pendant zum ZDF-Traumschiff ist, nur dass der Kapitän in der ARD ein Kommissar ist?“ Herres findet’s "nicht vergleichbar", denn:
"Das 'Traumschiff' hat eine andere Temperatur als unsere Krimis."
Puh, daran, dass Sendungen "Farben" haben, hat man sich ja schon gewöhnt, aber dass man ihnen nun auch noch "Temperaturen" zuordnet, war zumindest mir bisher neu. Heute läuft übrigens kein Donnerstagskrimi, aber auch nichts Besseres.
Und was kommt Neues? Dienstags um 22.45 Uhr kann sich Herres "ein unterhaltsames Gesprächsformat" vorstellen, "das sich rund um Entertainment, das ganze bunte Leben drehen würde. Farben wie die 'NDR-Talkshow' oder '3 nach 9', Formate, die in den Dritten gut funktionieren. Talks müssen ja nicht immer nur politisch sein".
Erstleser Maschmeyer
Eine kleine Fehde unter Investigativjournalisten löste im August das Buch "Mein Auftrag: Rufmord" aus, verfasst von dem Versicherungskaufmann Stefan Schabirosky und in Auszügen vorab publiziert in Welt am Sonntag und Handelsblatt. Der Autor behauptet hier, er habe in den Nuller Jahren und zu Beginn dieses Jahrzehnts die massive kritische Berichterstattung über den von Carsten Maschmeyer gegründeten Finanzdienst AWD orchestriert. Glaubt man Schabirosky, der bis 2003 selbst für den AWD tätig war, hat er viele renommierte Journalisten auf falsche Fährten geschickt, darunter Kollegen vom NDR und der SZ, die daraufhin beispielsweise von dem Recherchehaudegen Stefan Aust wegen ihrer vermeintlichen Leichtgläubigkeit kritisiert wurden. In der aktuellen Ausgabe des Magazins journalist habe ich darüber geschrieben (der Text steht nicht online), und in einem Altpapier von Mitte August gibt es ebenfalls einen recht guten Überblick über die Angelegenheit.
Nun hat Die Zeit für ihre neue Ausgabe die Entstehungsgeschichte des Buches recherchiert:
"Nachdem ein Verlag und mehrere Medien abgelehnt hatten, diese Geschichte zu veröffentlichen, traf sich der Autor Schabirosky 2016 mit Maschmeyer. Dieser vermittelte das Manuskript persönlich an den Herbig-Verlag […] Außerdem durften Maschmeyer und sein Anwalt das Buch bereits vor Druck lesen. Der Zeit liegen zwei frühere Fassungen des Manuskripts aus den Jahren 2014 und 2015 vor, die sich stark von dem nun publizierten Buch unterschieden."
Das steht in der Pressemitteilung für den kostenpflichtigen Zeit-Text, an dem gleich fünf Autoren beteiligt waren (hier ein Ausriss). Der Maschmeyer ist halt ein Buchliebhaber ganz besonderer Art, davon haben auf andere, jeweils unterschiedliche Weise ja auch schon Christian Wulff und Gerhard Schröder profitiert.
Altpapierkorb (Objektivität, Nachrichtenfernsehen, Antiziganismus)
+++ Über den Begriff der "Objektivität" spricht Sibel Schick für die taz mit der feministischen Schriftstellerin und Journalistin Laurie Penny. Die sagt: "Viele Medien (entsenden) noch ihre eigenen Reporter zum Beispiel in den Nahen Osten, anstatt mit Reportern vor Ort zu kooperieren - weil der Mensch vor Ort angeblich nicht objektiv sei. Aber wie kommt man bloß darauf? Ich finde, wir können über finanzielle Interessen reden und Befangenheiten. Aber das ist nicht dasselbe wie Objektivität." Auf Schicks Frage, ob Penny "prinzipiell für mehr 'Ich' im Journalismus" sei, antwortet diese: "Klar. Das Beste, was Journalist*innen machen können, ist ehrlich zu ihren Leser*innen zu sein. Sie sollten transparent machen, wo sie herkommen und wie sie sich selbst in der Welt positionieren."
+++ dwdl.de hat mit Hans Demmel, dem Geschäftsführer von n-tv, gesprochen. Anlass ist der bevorstehende 25. Geburtstag des Senders. "Die Einführung von Emotionalisierung in einzelne News und über Personen, wie sie FOX News bereits vor einigen Jahren eingeführt hat, halte ich […] für hochproblematisch. Wir reden schließlich über Nachrichten, die von Fakten und Glaubwürdigkeit leben. Ich bin froh, dass wir davon in Deutschland sehr weit entfernt sind", sagt Demmel unter anderen anderem. Einen potenziellen Kalenderspruch hat er auch auf Lager: "Ich glaube auch weiterhin an lineares Fernsehen, denn nichts ist so linear wie Nachrichtenfernsehen."
+++ "Was hat es mit der russischen Einflussnahme auf den Präsidentenwahlkampf in den Vereinigten Staaten und auf die Politik Donald Trumps wirklich auf sich?" fragt Florian Kölsch in der FAZ. Er stellt das "Committee to Investigate Russia" vor, das sich mit diesem Thema befasst und unter investigaterussia.org seit Dienstag online ist.
+++ Antiziganismus für Kinder? Die bereits erwähnte Sibel Schick berichtet für die taz über die Kritik an dem Film "Nellys Abenteuer", der, so Kritiker, "Stereotype über Roma reproduziere". Der Film soll demnächst im Kinderkanal und im SWR Fernsehen zu sehen sein.
+++ Lillian Ross, eine Pionierin des literarischen Journalismus, ist im Alter von 99 Jahren gestorben. Der New Yorker, für den Ross von 1945 an rund 70 Jahre lang tätig war, veröffentlicht einen Nachruf.
Das Altpapier am Freitag schreibt Juliane Wiedemeier.