Das Altpapier am 5. November 2019 Duale Systeme
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05. November 2019, 12:16 Uhr
Der zweite große deutsche Verlegerverband und die älteste deutsche Journalistengewerkschaft haben in Berlin getagt – und durchaus Gemeinsamkeiten. Außerdem: Was macht eigentlich 8chan, das hoch umstrittene Imageboard? Ein Altpapier von Christian Bartels.
Duale Systeme gibt's eine Menge in Deutschland, außer in der Entsorgungswirtschaft etwa auch in der Medienlandschaft. Da wäre als erstes natürlich das Duale Rundfunksystem (für jüngere und mittelalte Leser: Einst wurden Bewegtbilder und Audio-Inhalte nur von einerseits öffentlich-rechtlichen und andererseits privaten Sendern gesendet ...) zu nennen.
Und auch in vielen einzelnen Gewerken besteht solch eine vor allem historisch zu erklärende, zumindest etwas überholt anmutende Zweiteilung. Zum Beispiel bei Verlegern von gedruckten Medien. Seit jeher sind zwei große Verbände organisiert, der BDZV der Zeitungsverleger und der VDZ der Zeitschriftenverleger, die im Wesentlichen dieselben Interessen verfolgen und dieselben Forderungen erheben. Vielleicht hilft es während der in Mediendingen stets besonders langen Gesetzgebungsprozesse, wenn bei den halbwegs interessierten Politikern statt nur eines Präsidenten zwei unterschiedliche Verlegerverbands-Präsidenten vorsprechen. Sonst gibt es nicht mehr sehr viele einleuchtende Argumente für die Zweiteilung. Was nicht heißen soll, dass die Verbände eine Fusion in Erwägung ziehen. Vielmehr arbeitet der VDZ an der "radikalen" internen Strukturreform, die eigenen Landesverbände "auf den Bundesverband" zu verschmelzen, wie sein Hauptgeschäftsführer im meedia.de-Interview erläuterte.
Was ging auf dem Verlegergipfel?
Gestern fand – sechs Wochen nach dem BDZV-Zeitungskongress – ebenfalls in Berlin der "Publishers' Summit" des VDZ statt. Ich war dort (Bericht ebenfalls bei meedia.de), und es war durchaus interessant, sogar allgemein politisch: Als Stargäste zum Halten der obligatorischen Politiker-Reden waren mit Armin Laschet und Annalena Baerbock potenzielle Kanzlerkandidierende von CDU und Grünen eingeladen. Das dürfte eines der stärksten Indizien dafür sein, dass sich das alte Duopol zweier ziemlich großer Volksparteien erledigt hat. Schließlich laden die Verleger stets solche Redner ein, denen Forderungen vorzutragen am relativ sinnvollsten sein dürfte.
An Forderungen an die Politik herrscht bei Verbandstreffen traditionell kein Mangel. So hatte der "alerte" Burda-Vorstand und VDZ-Vizepräsident Philipp Welte am Montag "in mehreren deutschen Zeitungen eine geheimnisvolle Anzeigenserie lanciert" (Thomas Tuma im Handelsblatt, in dem auch lanciert wurde). In seiner Rede vom "epischen Kampf", den die Verleger bzw. der Journalismus führen müsste, zielte er auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.
Urheberrechterechtlich setzt der VDZ trotz allem aufs nicht mehr sehr spritzige Pferd des Leistungsschutzrechts in der EU-Version, die in Deutschland ja auch erst noch umgesetzt werden muss (und ahnt schon, dass es dann hierzulande genau so kommen wird wie gerade in Frankreich). Und an völlig anderen Ecken fordern die Zeitschriftenverleger auch etwas: "vom Bund Hilfestellung bei der Postzustellung ihrer Magazine", wie der Tagesspiegel ausführt. Hintergrund: Die Deutsche Post, die ja ein weltweit agierender Logistikkonzern ist, Chancen und Risiken vor allem im Zustellen von Amazon-Paketen sieht, kündigte an, dass 2020 "die Versandpreise für Tages- und Wochentitel um 3,9 bis 6,9 Prozent erhöht werden" sollen. In den Vorjahren hatte sie diese Preise auch schon erhöht. Da setzte die sehr linke Tageszeitung Junge Welt dasselbe Problem auf die Tagesordnungen (Altpapier), auf denen es freilich nicht sehr hoch schnellte. Sexy ist es eher nicht, sich über die Post zu beklagen (außer vielleicht, wenn Amazon-Pakete nicht ankommen). Das wäre schon wieder ein Punkt, bei dem alle Verleger von Gedrucktem gemeinsame Interessen haben – und zwar berechtigte. Schließlich dürfte die postalische Zustellung von gedruckten Medien wichtiger werden.
Der DJV wird 70 und will "sexier" werden
Wovon es lange Zeit auch zwei große gab: Journalistengewerkschaften, also DJV und dju/Verdi. Es gibt die beiden natürlich immer noch, bloß erstens daneben weitere (wie die Freischreiber), und zweitens nimmt die Größe ab. Der Deutsche Journalisten-Verband/ Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten, wie er offiziell heißt, ist
"ein Riesentanker mit derzeit 17 Landesverbänden und weit mehr als 30.000 Mitgliedern" und "– wie viele Gewerkschaften – in den vergangenen Jahren deutlich geschrumpft: Rentner scheiden aus, Berufsanfänger rücken nicht im gleichen Umfang nach",
heißt's im Gewerkschaftsmagazin journalist unter der Überschrift "Wie werden wir wieder sexy?" (bei der es sich um ein Zitat des DJV-Hauptgeschäftsführers Kajo Döhring handelt). Eine Antwort auf die Frage soll im Landesverbände-Zusammenschluss liegen. Der DJV kämpft mit ungefähr solchen Föderalismus-Problemen, mit denen der VDZ auch ringt.
Besonders im Blickpunkt steht der DJV, weil er am gestrigen Montag ebenfalls in Berlin ebenfalls seinen Verbandstag abhielt. Sein umtriebiger Vorsitzender Frank Überall, dem niemand vorwerfen kann, sich rar zu machen, bleibt im (Ehren-)Amt. Außerdem laufen die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag an (den der DJV nun zwei Jahre vor der dju feiern kann). Beiden Anlässen widmet der Tagesspiegel viel Raum. Zum einen wird Überall interviewt. In den weiten Bögen zwischen Kindheit, in der Überall dank einer Schülerzeitung "Blut geleckt" hatte am Journalismus, und der "Zukunft, für die ich leider kein Patentrezept habe", bietet es nicht viele Überraschungen, ist aber gerade daher aufschlussreich für den Journalismus der Gegenwart.
Historisch interessant ist der große Gründungsbericht zum DJV.
Zwar fand diese eigentlich erst im Dezember '49 statt (bei einer "getanzten 'Schwarze Messe'" im Theater des Westens, der damals der Ruhm vorausging, in München Ärger erregt zu haben ...). Aber kurz nach der Nazizeit und am Anfang der deutschen Teilung war die Etablierung eines Journalistenverbands eine langwierige und hochpolitische Geschichte. Der Tsp. erinnert auch an eigene Betroffene:
"Am 6. September 1948 ließ die SED die Sitzung der noch Gesamtberliner Stadtverordneten im Neuen Stadthaus in Mitte sprengen. Die Partei wollte geplante Neuwahlen verhindern und schickte Kolonnen demonstrierender 'Werktätiger'. Danach durchsuchten Volkspolizisten und Sowjetsoldaten das Gebäude in der Parochialstraße und verschleppten Dutzende Menschen, darunter den 20-jährigen Tagesspiegel-Reporter Wolfgang Hanßke. Unter fadenscheiniger Anklage wurde er zur Haft in Sibirien verurteilt – wohl als Vergeltung für die kritische Berichterstattung der Zeitung. Erst 1955 kehrte er zurück."
Kann 8chan deplatformt werden?
Blicke zurück in die deutsche Vergangenheit, insbesondere auch die dann mal schöne vor 30 Jahren, und auf beunruhigende Entwicklungen und bestürzende Ereignisse weltweit gehören in sämtliche Reden, von denen auf Verlegergipfeln etc. viele gehalten werden (zumal gestern abend dann noch die Reporter ohne Grenzen in die VDZ-"Hall of Fame" der Goldene Victoria-Preisträger einzogen ...)
Aktuell wird vor allem der rechtsextremistische Terror-Anschlag in Halle erwähnt, der und dessen Nachhall auch die Justizministerien des Bundes und der Bundesländer in Aktion setzen. Zur schierigen Frage, was genau die richtigen Schritte wären, kommt die, welche davon die föderalistischen Strukturen sie ergreifen können. Vor Halle hatten etwa jene Imageboards/ Bilderforen, auf denen mehr oder minder vereinzelte Täter sich radikalisieren konnten, ja offenbar (Altpapier) auch die Verfassungsschützer kaum im Blick.
Wer so etwas ganz gut im Blick hat, ist netzpolitik.org. Gerade gab der Blog einen Überblick über Entwicklungen rund ums Imageboard 8chan (Altpapier), auf dem mehrere Attentäter unterwegs gewesen waren. Unter dem alten Namen ist es derzeit nicht aktiv, aber unter einem neuen? Es ist, natürlich, hoch komplex:
"... Wenig deutet zunächst darauf hin, dass das sogenannte Deplatforming tatsächlich funktionieren kann. Binnen kürzester Zeit zieht das Imageboard um. Wie schon The Daily Stormer kommt 8chan bei dem Unternehmen BitMitigate unter. Dieses wirbt damit, die Meinungsfreiheit schützen zu wollen. Aber Brennan" – der 8chan-Gründer und inzwischen entschiedene Gegner Fredrick Brennan – "und andere schlagen erneut zu: Sie bemerken, dass BitMitigate für seinen DDoS-Schutz auf Technik des amerikanischen Dienstleisters Voxility zurückgreift und benachrichtigen diesen. Darauf schaltet Voxility wesentliche Teile von BitMitigate mitsamt dessen Kunden ab. 8chan verschwindet erneut. 'Die Menschen stellen sich das Internet als etwas vor, das in der Cloud existiert', sagt Brennan. 'Aber in Wahrheit besteht es aus Routern und Leitungen, die relativ wenigen Firmen gehören. Diese können beeinflussen, was online bleibt und was nicht.'"
Es ist längst nicht alles klar, und abgeschlossen ist diese Geschichte erst recht nicht. Lesenswert ist sie aber schon deshalb, weil sich darin vieles anders darstellt als in vielen immer gut gemeinten und oft auch tatsächlich guten Reden über Hasskriminalität und Medienfreiheit, die so oft gehalten werden.
Altpapierkorb (Steingarts Podcast, Sagen-dürfen-Debatte, Maier & Mayer, Telekom & Medienwächter, legendärer Korrespondent)
+++ "Der Exodus der Digitalen aus deutschen Verlagen geht weiter… #sosad", twitterte Thomas Knüwer zur Meldung, dass Daniel Fiene, u.a. wasmitmedien.de-Macher, auf Gabor Steingarts Medienschiff anheuert. +++ Dessen Kapitäns-Podcast namens "Morning Briefing" gerade in der uebermedien.de-Podcast-Kritik gründlich auseinander genommen wurde ("... eher eine Gabor-Steingart-Late-Night-Show ... Eine langatmige Einweisung in die Meinungswelt des Gastgebers und die Meinungswelt seiner Gäste ..."). Zur Verteidigung Steingarts könnte vielleicht erwähnt werden, dass man das, was Steingart mit seiner "Märchenonkel-Stimme" intoniert, sehr viel zeitsparender auch einfach im Text-Newsletter lesen kann ...
+++ Zur aktuell trendenden Sagen-dürfen-Debatte (Altpapier gestern) gab Politikberater Johannes Hillje laut Deutschlandfunks "@mediasres" zu bedenken: "Deutlich mehr Menschen könnten ihre Meinungsfreiheit ausleben. Daher komme man mit mehr unterschiedlichen Meinungen in Kontakt. Dies erfordere eine Toleranz gegenüber anderen demokratisch legitimen Meinungen und eine neue Kritikfähigkeit."
+++ Zum überraschenden Comeback des, was auch immer man sonst von ihm hält, deutschen Internet-Pioniers der Jahrtausendwende, Michael Maier, als Herausgeber der Berliner Zeitung noch aufschlussreich: was der (wie Maier österreichische) Standard dazu, kompliziert ergänzt, schrieb: "... Maier verweist in seiner aktuellen Reaktion auf diesen Standard-Bericht auf einen Artikel von 'Vice' über die 'Deutschen Wirtschaftsnachrichten', den 'Vice' 2019 aber später mit dem Hinweis versehen habe: 'Update vom 9. April 2019, 11.30 Uhr: In der ersten Version dieses Textes vom 26. November 2015 haben wir die DWN indirekt als 'Blog für Verschwörungstheorien' bezeichnet. Wir haben die betreffenden Passagen gelöscht, da sich der Ton der DWN seitdem verändert hat. Nach unserer Einschätzung hat sich das Portal merklich von dem damals vorherrschenden Sensationalismus wegentwickelt, hin zu einer sachlicheren und nüchterneren Berichterstattung.' ...". +++ Beachtung verdient ferner, dass im Berliner Verlag neben Maier auch Margit J. Mayer, die einst als AD- und Harpers Bazaar-Chefredakteurin nicht unlegendär war, neu an Bord ist, um "die Bereiche Style und Zeitschriften, für die unter ihrer Leitung neue Akzente im Berliner Verlag gesetzt werden sollen" zu leiten.
+++ Andrea Dernbach blätterte für den Tagesspiegel die von der Werbeagentur Scholz & Friends umgemodelte "Veteranin der deutschen feministischen Publizistik", also die Zeitschrift Emma, durch. "Erster Eindruck: Wirklich umgekrempelt sieht das Blatt nicht aus".
+++ Seitdem die Deutsche Telekom "sämtliche deutschen Medienrechte für die Fußball-EM 2024" gekauft hat, liegt auch ein Ball bei den Medienwächtern von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Schließlich ist die Telekom immer noch zu 31,9 Prozent staatlich, wirft Michael Ridder bei epd medien ein.
+++ Endlich können auch deutsche Kunden Apple TV+ streamen. Die SZ-Medienseite macht gleich einen großen Test. +++ Sie würdigt aber auch den "legendären Korrespondenten" der Welt und des Standards in China, Johnny Erling, zu seinem Eintritt in den Ruhestand.
+++ Und dass der Standard überdies "neue smarte Lautsprecher" bespricht, gibt mir Gelegenheit, auf meine hier noch nicht erwähnte neue Medienkolumne auf medienkorrespondenz.de hinzuweisen, in deren Startfolge ich dafür plädiere, dass Journalisten solche werblichen Eigenbezeichnungen von Herstellern besser nicht übernehmen sollten.
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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