Das Altpapier am 29. Oktober 2019 Wenn das high ist, was ist low?
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29. Oktober 2019, 11:40 Uhr
Facebook setzt jetzt auf hochwertigen Journalismus – aber was hat das bloß mit Breitbart zu tun? Werden Auslandskorrespondenten von Redaktionen erst ernst genommen, wenn es knallt? Und hat Ingo Zamperoni Björn Höcke eine der berühmten Bühnen bereitet? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Facebook, ey. Dieser Tage hat Konzernchef Mark Zuckerberg mal wieder etwas Neues angekündigt, mit dem er die Welt retten wird. Diesmal ist es nicht weniger als "hochwertiger Journalismus": Der Facebook "News Tab" (zuletzt im August im Altpapier) hat in den USA den Probebetrieb aufgenommen.
Aber während Zuckerberg noch die Welt rettete, vor sich ein Plastikfläschchen Wasser, hatten dummerweise die ersten Medienleute schon wieder die üblichen Fragezeichen im Gesicht. Journalisten, ey. So undankbar.
Dabei klingt das alles ja wirklich erstmal verhältnismäßig okay. Vor allem klingt es nach einem "Friedensangebot" an die Verlage, wie es @mediasres vom Deutschlandfunk nannte (wo es auch um denkbare kommende Entwicklungen in Deutschland ging und um Geld aus Facebooks Portokasse):
"Letztes Jahr hatte Zuckerberg angekündigt, privaten Inhalten auf der Timeline mehr Platz einzuräumen als professionellen" (was viele Redaktionen nun nicht sooo nett von ihm fanden). "So gesehen scheint 'Facebook News' ein Friedensangebot zu sein. Einzelne US-Medienhäuser bekommen von Facebook sogar mehrere Millionen Dollar, damit sie ihre Inhalte bereitstellen, zum Beispiel die 'Washington Post'".
Worum geht es bei "Facebook News" bzw. dem "News Tab"? Die taz schreibt, es handle sich um einen Newsfeed,
"der diesen Namen auf den ersten Blick tatsächlich verdient. Ausgewählte Medien sollen in einem sowohl personalisierbaren als auch algorithmisch gesteuerten Angebot vertrauenswürdigen Nachrichtenquellen einen Zugang zu den Nutzer*innen ermöglichen".
Entscheidend ist das Wort "vertrauenswürdig". Hier soll nicht jeder Hanswurst jeden Blödsinn verzapfen können. "Anders als sonst auf Facebook gehe es dort nicht um den Austausch von Meinungen", heißt es bei heise.de. Und die FAZ schreibt: "Zu den Standards sagte Zuckerberg einer Reporterin der 'Washington Post', Facebook habe 'vor allem die Aufgabe, Leuten eine Stimme zu geben und sicherzustellen, dass jeder seine Meinung teilen kann. Aber nicht hier. Hier haben wir uns ganz hochwertigen und kuratierten Nachrichten verschrieben.'"
Nun kommen diese Nachrichten aber nicht nur von ausgewählten Medienhäusern von New York Times bis Buzzfeed. Sondern auch von Breitbart. Die FAZ ordnet’s so ein: "Breitbart indes hat in der Vergangenheit Verschwörungstheorien und Falschmeldungen verbreitet. Wikipedia hat die Website als ungeeignete Quelle markiert. Der 'Buzzfeed'-Journalist Joe Bernstein dokumentierte 2017, wie 'Breitbart' Nationalisten und Neonazis umwarb. Die Organisation 'Media Matters' kritisiert, Zuckerberg zeige, dass ihm die Einbindung von Rechtsextremisten wichtiger sei als Journalismus."
Breitbart werde, heißt es, im Gegensatz zu diversen anderen Medien nicht für die Bereitstellung von Inhalten bezahlt. Und doch ist halt die Frage, wie so ein Medium in die Liste der Kooperationspartner gelangt. Zuckerberg spricht laut New York Times davon, dass Vielfalt geboten sei. Nur – eine große Vielfalt an ultrarechtsdrehendem Verschwörungskram gibt es ja eigentlich auch außerhalb der "News"-Sparte im herkömmlichen Facebook.
Oder wie "experts" bei CNN paraphrasierend zitiert werden: "If Breitbart is 'high quality' news, what’s low?"
Schrecklicher Verdacht also: Geht es hier gar nicht um die Rettung der Demokratie durch "hochwertigen Journalismus"? Die taz schreibt das frecherweise einfach mal so hin: Der Newsfeed in der mobilen App diene "zur Steigerung der Contentdichte auf Facebook (…). Die Beteiligung von erkennbar gegen journalistische Standards operierende Organisationen wie Breitbart ist dabei kein Versehen, sondern zwangsläufiges Feature der Aufmerksamkeitsökonomie."
Facebook, ey.
Ausflug nach Tansania
Und nun: weg von der Aufmerksamkeitsökonomie. Einfach so, weil es hier geht. Weit weg. Nach Tansania.
"Der tansanische Präsident John Magufuli hat laut Menschenrechtlern die Presse- und Meinungsfreiheit in seinem Land stark eingeschränkt. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2015 habe seine Regierung eine Reihe repressiver Gesetze erlassen, um gegen Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und Oppositionsparteien vorzugehen, erklärten Amnesty International und 'Human Rights Watch' am Montag in Daressalam als Ergebnis zweier unabhängiger Studien."
Meldete am Montag epd. (Hier der Bericht von Human Rights Watch, hier der von Amnesty.) Das Ganze hat in der deutschen Medienlandschaft unter dem Strich nicht viele interessiert. Zumindest nicht heute. Etwas ältere Texte mit ähnlichen Befunden gibt es zwar durchaus. Trotzdem, überinformiert über Entwicklungen in, zum Beispiel, Tansania wird man eher nicht. Oder hat man irgendwo in deutschen Medien einen Text darüber gelesen, dass einer der prominentesten Rapper des Landes, Joseph Mbilinyi alias Sugu, der mittlerweile für die Opposition im Parlament sitzt, vergangenes Jahr für mehrere Monate im Gefängnis saß, weil er den Präsidenten beleidigt haben soll? Riesensache in Tansania, aber…
"Es gibt viele Konflikte, über die wir gar nicht mehr berichten. Da kratzen wir uns am Kopf. Aber so funktioniert zynischerweise die ganze Aufmerksamkeitsökonomie." Sagte Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit Online, am Wochenende bei einer Diskussionsrunde (Download) der Weltreporter, der Vereinigung freier Auslandskorrespondentinnen und -en, die dieser Tage ihren 15. Geburtstag gefeiert hat. Womit wir wieder bei der Aufmerksamkeitsökonomie wären. "Das drohende Verschwinden der Welt" ist der Titel des Blogposts, mit dem die Weltreporter ihre Veranstaltung zusammenfassen:
"Tatsächlich sähen Korrespondenten oftmals Krisen voraus, nur wolle die Berichte darüber kaum jemand drucken, solange es nicht knallt. Christina Schott (Weltreporterin in Indonesien) bestätigte diese Einschätzung: Die schleichende Islamisierung in Südostasien etwa werde weitgehend ignoriert, trotz der drohenden Eskalation."
Auf nach Thüringen
Immerhin wissen wir aber, was in Thüringen passiert (siehe auch Altpapier vom Montag). In Thüringen ist eine Partei, deren Spitzenkandidat laut einem Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden darf, soeben zweitstärkste Kraft geworden. Und das, obwohl ihr und ihren Wählern viele Journalisten so gerne zugehört haben, um sie endlich zu verstehen in ihren Sorgen und Nöten, die sie förmlich zwingen, die AfD zu wählen. Und obwohl "man sich an diese Partei mit einem guten Schuss medialer Geilheit in den Talkshows Woche für Woche herangesesselt hat" (David Hugendick bei Zeit Online):
"Kaum eine Floskel ist in den vergangenen Jahren so hyperinflationär strapaziert worden wie die vom 'Reden' und die vom 'Zuhören'. Sie suggeriert nicht nur, hier gehe es vor allem um fehlgeleitetete Befindlichkeiten und um akutes Emotionsmanagement und weniger um manifeste Gesinnungen. Sie suggeriert auch, der große Zuspruch der AfD sei vor allem das Produkt eines zuvor verfehlten Kommunikationsprozesses der anderen Parteien und nicht etwa der eines geglückten der AfD selbst. Diese autorisiert Ressentiments, sie legitimiert einen Du-darfst-Rassismus, den offenbar viele schon mit sich herumgetragen haben könnten."
Oder… ist die AfD so stark, nicht obwohl, sondern weil Journalisten ihrer Wählerschaft so gerne zuhören? Man weiß es nicht so genau. Das ist das Problem mit diesen Massenmedien: Es gibt keine Formel, um ihre Wirkung oder die Qualität ihrer Performance zu berechnen.
Was uns immerhin die Möglichkeit lässt, darüber zu streiten.
Das Interview, das Ingo Zamperoni mit Björn Höcke führte, ist Gegenstand eines solchen Streits. War’s zu schlaff geführt, wurde da wieder mal die berühmte Bühne bereitet? Die taz meint, ja:
"Wenn Begriffe wie 'Kartell-' oder 'Altparteien' fallen, wenn von einer 'Parteiendemokratie' die Rede ist, dann müssen diese Begriffe eingeordnet werden. Es muss deutlich gemacht werden, dass rechte und rechtsextreme Narrative dahinterstehen. Und es muss eindeutig gemacht werden, welchen Vokabulars man sich hier bedient. Das sollte und muss gerade nach solchen Wahlergebnissen wie in Thüringen in Zukunft verstärkt die Aufgabe von Journalist*innen sein."
"Es ist kein probates Mittel, ein Gespräch nur mit dem Wunsch zu führen, dass das Gegenüber es abbricht. Womit nur wieder das Narrativ der AfD als Medienopfer (…) genährt worden wäre. Gar kein Interview zu führen, ist ebenfalls keine Option. Bleibt nur die Methode, bei jeder angeführten Behauptung nachzufragen, wie diese eigentlich gemeint sei und was die Belege seien. Und wenn das in vier Minuten nicht zu leisten ist, muss man notfalls überziehen. Solche Interviews kann man eben nicht routiniert durchmoderieren. Vielleicht ist das eine Einsicht, die vor allem für Interviews vor der Kamera oder dem Mikrofon beherzigt werden sollten, bei denen das gesprochene Wort gilt: Ein Gespräch ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist. Und nicht, wenn der Sendeleiter sagt, dass der Moderator jetzt zur Abschlussfrage kommen muss."
Altpapierkorb (Julia Bönisch, Berliner Runde, neuer WDR-Fernsehchef, "Tony Marshall der Medizin")
+++ Personalie des Tages: Sie steht in eigener Sache auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung und online – Julia Bönisch, Chefredakteurin von SZ.de und seit Mai 2018 Mitglied der SZ-Chefredaktion, verlässt demnach das Haus. "SZ-Geschäftsführer Stefan Hilscher teilte am Montag mit, die Trennung erfolge in gegenseitigem Einvernehmen. Er dankte Bönisch für ihren 'leidenschaftlichen Einsatz'." usw. usf. (siehe auch Altpapier vom Mai). Was in der SZ nicht steht, ist der Grund für die Trennung. Aber wofür gibt es die anderen, oder weitere andere, die nicht in eigener Sache berichten?
+++ "So ein Fernsehwahlabend wie gestern ist ja in seiner Gesamtheit eine Belastungsprobe, aber kein einzelnes Element weckt so zuverlässig Politik- und Journalismusverdrossenheit in mir wie das Ritual der 'Berliner Runde'": Stefan Niggemeier möchte sie gerne beerdigen. (Bei Übermedien.)
+++ "Es ist im Kern keine Geldfrage, wie es uns gelingt, dass Zuschauer, die vor fünf Jahren noch unsere Mittwochsfilme geschaut haben und inzwischen bei Netflix Kunde sind, wieder bei uns einschalten." Wird Alexander Bickel, der Nachfolger von Gebhard Henke als Fernsehfilmchef des im Bereich Fernsehfilm mächtigen WDR, im Porträt der SZ zitiert. Und damit wird er sicher Recht haben. Ach, aber übrigens, so Autor Stefan Fischer: "(D)rei Frauen haben den Bereich ein knappes Jahr lang interimistisch geleitet, final ging die Stelle dann aber wieder an einen Mann.
+++ Ebenfalls die SZ bespricht das neue Gesichtsprominenten-Magazin – das Gesicht gehört dem Mediziner Dietrich Grönemeyer, dem "Tony Marshall der Medizin": "Das Beste, was man über die neue Zeitschrift Grönemeyer – Medizin mit Herz und Seele (Auflage: 100 000, Preis 6,90 Euro) … sagen kann, ist, dass die invasiven Methoden nur in einem Absatz vorkommen."
+++ Gestern schon als Nachricht im Korb, danach noch etwas hintergründiger bearbeitet von DWDL: "die größte Übernahme im Produzentenmarkt" – die französische Banijay Group kauft Endemol Shine. Thomas Lückerath prophezeit: "Die Auswirkungen werden die Branche noch weit bis ins Jahr 2020 beschäftigen."
Neues Altpapier kommt am Mittwoch.
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