Das Altpapier am 25. Oktober 2019 Täglich grüßt das Leistungsschutzrecht
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25. Oktober 2019, 13:26 Uhr
Was für eine Überraschung. Das Leistungsschutzrecht funktioniert auch in Frankreich nicht. Was kommt jetzt? Ein Leistungsschutzrecht für die ganze Welt? In jedem Fall kommt ein neuer Medienstaatsvertrag. Allerdings doch noch nicht heute. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
In Deutschland wusste man es bereits. In Spanien ebenfalls. Und nun haben auch die Verleger in Frankreich überraschend festgestellt, dass das sogenannte Leistungsschutzrecht, das noch nirgendwo funktioniert hat, auch in Frankreich nicht funktioniert. Und vielleicht muss dieses Gesetz nun, nachdem es für die gesamte EU beschlossen wurde, auch in jedem einzelnen EU-Land krachend scheitern, bevor es in die nächste Runde geht und die Verlage beschließen: "Wir brauchen eine weltweite Regelung. Dann kann Google sich nicht mehr entziehen." Aber – so viel kann man sicher schon sagen – natürlich wird auch das nicht der Fall sein.
In einer Erklärung der französischen Verlage heißt es: "Wir finden es total gemein von Google, dass die uns von ihrem vielen Geld nichts abgeben." Moment. Entschuldigung. Das war das falsche Zitat. Tatsächlich kritisierten die Verleger laut dpa (hier in der Welt).
"Google verletze mit seiner Vorgehensweise nationales und europäisches Recht. Sie argumentierten, der Internet-Konzern sei in einer ’Quasi-Monopolposition’, da sie bei der Verbreitung ihrer Inhalte nicht auf die Plattform verzichten könnten."
Dem ganzen Gesetz – das haben wir hier schon ausufernd erörtert (zuletzt ging es im Altpapier vor einer Woche darum) – liegt das Missverständnis zugrunde, dass gut verdienende Medienunternehmen wie Google für den Niedergang der Verlage mitverantwortlich sind, weil sie ihnen das Anzeigengeschäft aus der Hand genommen haben. Das Gesetz soll das alles etwas abfedern, ohne dass es dafür eine wirkliche Handhabe gäbe.
Daher ist die Konstruktion so absurd. Das Gesetz soll Google dazu zwingen, den Verlagen eine Leistung zu erbringen, die diese für unverzichtbar halten – und dafür auch noch zu zahlen. Aber das will Google partout nicht mit sich machen lassen.
Ich rufe das alles noch einmal in Erinnerung, weil es darum in einem offenen Brief geht, den europäische Medienhäuser dazu gestern veröffentlicht haben – und die Erzählung dort eine ganz andere ist.
"On the one hand, the media are asked to sign a blank cheque to Google renouncing any payment for the use of their news. This would mean accepting the slow death that is emptying newsrooms in Europe as it has already done in the United States.
On the other hand, media may refuse to do so, holding out for fair payment. But Google promises them a formidable form of retaliation: reducing the visibility of their news content to a bare minimum. No photos or text would appear when users search for their news. Just a snippet of a headline, no more. That would be suicide for the press."
Die Verlage mögen den digitalen Wandel verschlafen haben, aber beim Thema Framing sind sie voll auf der Höhe der Zeit. Google treibe die Verlage in den Tod – entweder durch langsames Ausbluten oder erzwungenen Selbstmord. Das ist das Narrativ.
Der Chef der Mediengruppe "Les Echos-Le Parisien", Pierre Louette, nennt es laut Standard einen "Gewaltakt". Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger sprechen von "modernem Raubrittertum".
Für viele Verlage mag sich das auch so anfühlen, aber richtig wird es dadurch nicht. Richtig ist: Die Verlage befinden sich in einer schwierigen Situation, weil sie zu lange auf ihr altes Geschäftsmodell vertraut haben, während andere schneller geschaltet haben. Richtig ist auch: Wenn diese Entwicklung dazu führt, dass massenhaft Verlage sterben und wie in den USA ganze Regionen ohne Lokalmedien dastehen, fehlt der Demokratie an diesen Stellen ein ganz entscheidendes Bauteil – und man muss sich Gedanken darüber machen, wie man das verhindert.
Am angenehmsten ist dann sowohl für die privaten Medienhäuser, die möglichst staatsfern bleiben wollen, wie auch für den Staat, der möglichst wenig Geld ausgeben möchte, wenn reiche Unternehmen wie Google die mediale Infrastruktur subventionieren. Tatsächlich aber wäre diese Subvention dann, auf welche Weise auch immer und so unangenehm es klingen mag, am Ende eine Aufgabe des Staates.
Rettung mit Content-Herz
Dass der Niedergang der Zeitungen weiterhin in vollem Gange ist, zeigen die aktuellen Auflagenzahlen. Jens Schröder sieht in seiner Analyse für Meedia im dritten Quartal unter den deutschen Regionalzeitungen mal wieder "fast nur Verlierer".
Die Hamburger Morgenpost verliert, nachdem sie die Nacht- und Frühausgabe eingestellt hat, sogar fast jeden fünften Abonnenten (18,9 Prozent). Zudem ist dort immer noch nicht klar, wie es im neuen Jahr weitergehen sollen. Aber es gibt immerhin neue Gerüchte.
"So verdichten sich die Spekulationen, dass die 'Mopo‘-Geschäftsführerin Susan Molzow das Boulevardblatt ihrem Arbeitgeber abkauft (…)", schreibt Gregory Lipinski für Meedia. Dazu wolle sie "angeblich Investoren aus dem Hamburger Medienumfeld ins Boot holen, die das Management-Buy-Out finanziell begleiten sollen. Darunter ist ein namhafter Investor, der das Pressegeschäft aus dem Effeff kennt. Denn die Managerin hat sich viel vorgenommen. Sie will angeblich neben der Zeitung und dem Online-Aufritt auch Standbeine im Radio und TV schaffen (…)."
Im November soll es dazu Neuigkeiten geben, die dann keine Gerüchte mehr sind. Auch für seine Zeitungen in Köln (Stadtanzeiger und Express) und Halle (Mitteldeutsche Zeitung) will DuMont laut Lipinski bis Ende des Jahres eine Einigung gefunden haben.
In Stuttgart dagegen ist bereits klar, wie es weitergehen wird, nämlich mit "Einheitsbrei". So nennt jedenfalls Josef-Otto Freudenreich, bis 2009 Redakteur der Stuttgarter Zeitung und Gründer der Wochenzeitung Kontext, das, was die Stuttgarter Leser in Zukunft erwarten wird.
Die Südwestdeutsche Medienholding will, wie wir im Altpapier schon schrieben haben, Stellen streichen. Was das konkret bedeutet, erklärt Thomas Wagner für das Dlf-Magazin @mediasres. Er berichtet in Bezug auf die Stuttgarter Zeitungen und die Stuttgarter Nachrichten von einem
"Stellenabbau in jeweils zweistelliger Höhe (…) Außerdem sollen nach Gewerkschaftsangaben Lokalredaktionen in Esslingen, Böblingen, Waiblingen und Göppingen dicht gemacht werden. Und: Bislang eigenständige Zeitungen, die zur Medienholding gehören, sollen demnächst den Mantelteil des Stuttgarter Mutterhauses erhalten."
Auch bislang servieren beide Titel ihren Lesern viele identische Texte. Vor vier Jahren hat der Verlag die Redaktionen zusammengelegt. Allerdings gab es bislang noch sogenannte "Exklusiv- oder Titelautoren", die den Zeitungen den Anschein der Eigenständigkeit geben. Ob das auch in Zukunft noch so sein wird, Thomas Wagner in Frage.
In Nürnberg kann man indes beobachten, dass viele Entwicklungen auf den deutschen Zeitungsmärkten zwar zeitversetzt, aber in der Folge doch ähnlich verlaufen. Dort verschmelzen die Regionalzeitungen Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung ihre Redaktionen bald in einer Zentralredaktion, berichtet Marc Bartl für Kress. Auch hier soll das Ergebnis möglichst nicht wie Einheitsbrei aussehen.
Marc Bartl:
"Um die 'publizistische Eigenständigkeit und die inhaltliche Unterscheidbarkeit‘ zu gewährleisten, erhalten Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung je zehn profilbildende Autoren sowie eigenständige Blattmacher."
Der nächste Schritt wäre dann, auf diese Kosmetik zu verzichten. Allerdings muss man auch sagen: Es ist zwar nicht schön, wenn Leser sich nicht mehr zwischen zwei oder mehreren lokalen Medien entscheiden können. Auch der Qualität tut es nicht gut, wenn kein Wettbewerb stattfindet. Das weiß jeder Journalist, der schon mal auf einem Monopolmarkt gearbeitet hat – und das wissen auch die Leser, bei denen das Ergebnis dann morgens auf dem Tisch liegt. Aber es ist eben doch besser, wenn eine Zeitung überlebt, als wenn zwei pleite gehen. Und man kann den Verlagen sicher verübeln, dass sie so lange geschlafen haben, aber nicht, dass sie jetzt noch versuchen, zu retten, was zu retten ist.
Nur vielleicht eine Bitte: Das Ergebnis dieser verspäteten Rettungsaktionen, also in dem Fall die neue Zentralredaktion, in so romantische Begriffe wie "Content-Herz" zu verpacken, das muss doch wirklich nicht sein.
Endlich, ein Zwischenbericht
Das alles, der Ärger der Zeitungsverlage mit Google und dem Leistungsschutzrecht wie auch die Umbrüche war natürlich Thema bei den Münchener Medientagen, um die es hier gestern schon ging. Ein anderes wichtiges Thema dort war der – warum nicht mal eine Floskel? – mit Spannung erwartete Medienstaatsvertrag. Allerdings wird der Vertragstext doch noch nicht heute, wie berichtet worden war, es gibt lediglich einen Zwischenbericht.
Torsten Kleinz hat die wesentlichen Punkte für Spiegel Online schon mal zusammengefasst.
Eine der großen Fragen war etwa die, ob Youtuber in Zukunft eine Rundfunklizenz brauchen.
Kleinz:
"Nein. Tatsächlich verbessert sich die Situation für viele Webvideomacher sogar. Im Jahr 2017 hatte der bekannte Streamer Peter Smits mit seiner Gruppe PietSmiet eine sehr öffentliche Auseinandersetzung mit den Medienregulierern, weil diese das Angebot PietSmiet TV als Rundfunk einstuften und daher auf eine Lizenzpflicht bestanden. Mittlerweile haben einige Spiele-Streamer tatsächlich eine solche Lizenz erhalten."
Eine Zulassungspflicht brauchen danach nur Angebote, die im Schnitt mehr als 20.000 Nutzer gleichzeitig haben, und das ist laut Kleinz auch bei Accounts "mit Hunderttausenden oder Millionen Abonnenten eher selten".
Peter Smits scheint über das Ergebnis sehr glücklich zu sein. Auf Twitter schreibt er:
"Ich sag's euch: Gespräch suchen und gemeinsam arbeiten ist hart und kann nervig sein aber es kommen so nahezu immer bessere Lösungen herum als wenn man sich nur zurück lehnt und schimpft."
Das wäre ein schönes Schlusswort. Aber es geht noch weiter, denn auch auf die Frage, um was es sich bei Plattformen wie Youtube, Facebook oder Instagram denn eigentlich handelt, gibt der Vertrag eine Antwort, indem er die Schublade "Medienintermediäre" erfindet, die allerdings auch neue Pflichten mit sich bringt.
"So sollen die Internetplattformen Inhalteanbieter nicht diskriminieren dürfen", vor allem dann nicht, wenn es sich um Angebote handelt, die in "besonderem Maße die Angebots- und Meinungsvielfalt fördern".
Das bedeutet, Facebook oder Youtube darf solche Angebot nicht hinter Heimwerker- und Schminktipps verstecken. Besteht der Verdacht, dass sie es doch tun, sollen die Anbieter erfahren dürfen, warum ihre Inhalte so weit hinten stehen, was etwa Google aber so nicht mit sich machen lassen will, wie Kleinz schreibt.
Freuen dürften sich dagegen die Fernsehsender, vor allem die privaten. Sie sollen "künftig auch im Kinderprogramm werben und ihre Werbezeiten freier über den Tag verteilen dürfen. Zum anderen sollen Sender davor geschützt werden, dass etwa SmartTV-Anbieter das Fernsehsignal überblenden, um beispielsweise Werbung einzublenden".
Bis der neue Medienstaatsvertrag gilt, werden allerdings wohl noch ein paar Monate vergehen. Jedes einzelne Bundesland muss über den Text abstimmen. Das könnte laut Spiegel Online bis Ende März passiert sein, dann könnte der Vertrag im September 2020 in Kraft treten. Aber bis dahin fließen ja noch viele Daten den Stream herunter.
Altpapierkorb (Seiberts Rekord, Zuckerbergs Aussetzer, Batmans Butler, Herres’ Keynote)
+++ Regierungssprecher Steffen Seibert wird Ende dieser Woche, also ungefähr heute, einen Rekord aufstellen. Er ist seit 2010 im Amt – und damit länger als alle seine Vorgänger. Das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres hat ihm einen Beitrag gewidmet.
+++ Das Männermagazin Esquire kommt zurück, zunächst aber nur digital, schreibt Alexander Krei für DWDL.
+++ Ziemlich eindrucksvoll, wie die demokratische Kongress-Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez Mark Zuckerberg mit ihren Fragen aussehen lässt wie einen miserabel vorbereiteten Studenten in der mündlichen Abschlussprüfung. Erst muss Zuckerberg zugeben, dass man sich bei Facebook im Fall Cambridge Analytica erst nach der Katastrophe mit dem Problem beschäftigt hat. Die Botschaft: Mit der Facebook-Währung sollte es anders laufen. Fridtjof Küchemann fasst das Ganze auf der FAZ-Medienseite zusammen (leider noch nicht online).
+++ Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat seit 15 Jahren Ärger mit seinem verhaltensauffälligen Landesverband Berlin-Brandenburg, der im Netz immer wieder den Eindruck erweckt, er wäre lieber ein AfD-Ortsverein. Der DJV hat sich schon zig Mal distanziert und wird das wohl auch weiterhin machen müssen. Warum, erklärt Kurt Sagatz für den Tagesspiegel.
+++ Stichwort Selbstreferenzialität. Haben wir in dieser beim MDR erscheinenden Kolumne schon mal über einen MDR-Kollegen geschrieben, der über einen MDR-Kollegen schreibt? Nee? Dann holen wir das doch schnell nach. Steffen Grimberg verabschiedet MDR-Pressesprecher Walter Kehr in den Ruhestand. Etwas ärgerlich: Grimbergs Text ist bei der taz erschienen.
+++ Das Weiße Haus hat die Abo der New York Times und der Washington Post abbestellt, berichtet die Nachrichtenagentur AFP (hier bei Spiegel Online verwurstet). Eine Sprecherin gibt an, man spare so sehr viel Geld. Tatsächlich geht es aber wohl darum, dass die Zeitungen nicht so berichten, wie Donald Trump sich das vorstellt.
+++ Schwer im Trend bei Filmproduzenten sind im Moment Spin-offs mit bekannten Figuren aus Kassenschlagern. Besonders gute Chancen haben zurzeit offenbar Figuren, die schon mal irgendwo in einer Einstellung mit Batman gesehen wurden. Nach "Joker" kommt jetzt die Serie "Pennyworth" über Batmans Butler. Claudia Reinhard hat sich die Serie für die FAZ-Medienseite angesehen (55 Cent bei Blendle): "Ähnlich wie in der 'Breaking Bad‘-Vorgeschichte 'Better Call Saul‘ gelingt es hier, eine ganz eigene Erzählung zu entwickeln, die mit ihrer Mutter-Marke nicht viel mehr zu tun hat, als dass deren Fans ihretwegen einschalten." Zu sehen ist "Pennyworth" ab heute Abend bei Starzplay auf Amazon Prime.
+++ ARD-Programmdirektor Volker Herres hat auf seiner sympathisch altmodischen Website die Keynote veröffentlicht, die er bei den Medientagen in München gehalten hat, und in der er fordert: "Politische Differenzen müssen ausgetragen werden können, ohne dass gleich die Moralkeule geschwungen und das Gegenüber diffamiert wird."
+++ Jonas Wahmkow schreibt in der taz über eine Initiative, die Unterschriften für ein Berliner Transparenzgesetz sammelt, das folgendes Problem lösen soll: "Nach dem bislang gültigen Informationsfreiheitsgesetz (IFG) sind Behörden zwar grundsätzlich dazu verpflichtet, Informationen herauszugeben, in der Praxis wird das Gesetz aber selten seinem Namen gerecht."
+++ Auf der SZ-Medienseite (49 Cent bei Blendle) berichtet Alexandra Föderl-Schmid über eine Entscheidung eines Gerichts in Ramallah, nach der "59 Online-Medien und Facebook-Seiten, die sich mit Nachrichten beschäftigen, blockiert werden müssen". Seltsamerweise haben die Medien eine Gemeinsamkeit: "Sie alle stehen der palästinensischen Autonomiebehörde und Präsident Mahmud Abbas kritisch gegenüber."
Neues Altpapier gibt es am Montag.
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