Das Altpapier am 22. Oktober 2019 Geschwärzt, verwirrt, nicht blöd
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22. Oktober 2019, 13:30 Uhr
Australische Schlagzeilen wirken auch in Deutschland. Der Australier Julian Assange wurde in England auf beschämende Weise mal wieder der Öffentlichkeit vorgeführt. Und auch wenn die neue Joyn-Serie mit Klaas Heufer-Umlauf nicht vom Hocker reißt: ProSiebenSat.1 gibt sich erfolgreich Mühe. Hilft das im "Streaming-Overload"? Ein Altpapier von Christian Bartels.
Australien gerät selten in den Blickpunkt deutscher Medien, seine Medien tun es schon gar nicht. Nun aber gelang seinen Zeitungen ein, nun ja: Medienressort-Coup auf der anderen Seite der Erdkugel (also hier). Die FAZ mit einem Bericht ihres in Singapur ansässigen Südostasien-Korrespondenten und die Süddeutsche, die taz mit einem Bericht aus Canberra und Deutschlandfunks "@mediasres" mit (szenisch in Neusüdwales einsteigendem) Audio-Bericht sowie Kommentar von Stefan Fries, der die Hörer und Leser vor der Haustür abholt ("Stellen Sie sich vor: Eines Tages steht beim WDR in Köln die Polizei vor der Tür", um nämlich die "Monitor"-Redaktion zu durchsuchen ...): Sie alle und die Agenturen sowieso berichten über die gemeinsame Aktion gedruckter australischer Zeitungen, "mit weitgehend geschwärzten Titelseiten" zu erscheinen. Wenn Sie sich im englischsprachigen Original über die Aktion "Your Right to Know" informieren wollen: yourrighttoknow.com.au lautet die Internetadresse.
Print wirkt eben, zumindest wenn es mal ganz anders aussieht als gewohnt. Geschwärzte (oder weiß bleibende) Bildschirme oder Displays veranlassen Nutzer zu Neustarts, zum Schütteln der Geräte oder zu so was. In gedruckter Form ist es ein Hingucker.
Was ein bisschen in vielen Berichten mitschwingt: Australien ist "keine Ausnahme, sondern vielmehr Vorreiter ... Denn auch in anderen liberalen Demokratien werden die Gesetze zur Geheimhaltung strenger" (Fries). Und es ist, wie das westliche Nachkriegsdeutschland ganz besonders in seinem Mediensystem ja auch, ein angelsächsisch geprägter Staat. Und in diesem angelsächsischen Staats- und Mediensystem erodiert so einiges, scheint es nicht nur in den uferlosen Brexit-Berichten, die die deutsche Auslandsberichterstattung in allererster Linie bestimmen.
"Es ist beschämend für Europa"
Wie ein böser Zufall könnte wirken, dass einer der global bekanntesten Australier, der inzwischen ja nicht mehr auch Ecuadorianer ist, just am selben Tag auch mal wieder der Öffentlichkeit vorgeführt wurde. Der Medien-Öffentlichkeit wurde Julian Assange nicht unmittelbar vorgeführt, wie die Zeichnungen aus dem Gerichtssaal im APA/Standard-, AFP/SPON- oder dpa/DLF-Bericht illustrieren. Assange nicht direkt zu zeigen, könnte auch durchaus im Sinne seiner Gefängniswärter sein: Der Wikileaks-Gründer habe "einen sehr angeschlagenen", ja "trotz seines gepflegten Äußeren – Assange erschien frisch rasiert und mit blauem Jackett – ... einen verwirrten Eindruck" gemacht, heißt es bei der APA.
Vor allem zitiert dieser Agenturbericht "die deutsche Linken-Politikerin Heike Hänsel", die sich online wiederum direkt zitieren lässt. Die Bundestagsabgeordnete schreibt ausführlich in ihrem eigenen Internetauftritt:
"Assange hat in der Haft keinen Zugang zu einem Computer und bisher noch keinen Kontakt zu seinen US-Anwälten aufnehmen können. Das Gericht verweigerte zudem eine Überprüfung, ob das Auslieferungsersuchen der USA grundsätzlich zulässig ist ... Die offensichtlichen Absprachen über einen Antrag für eine Verlängerung des Verfahrens zwischen Rechtsvertretern der britischen Regierung und der US-Botschaft am Rande der heutigen Verhandlung lassen vermuten, dass der Zeitplan an den US-Wahlkampf angepasst und instrumentalisiert werden soll. Es ist beschämend für Europa, diesen mutigen Investigativ-Journalisten in einem Gerichtssaal in London erleben zu müssen. ... Heute ist es Julian Assange, morgen kann es jeden anderen Journalisten, jede andere Journalistin treffen, der/die wahrheitsgetreue Informationen in öffentlichem Interesse publiziert hat, die dem Narrativ der US-Regierung entgegenlaufen."
Selbstverständlich kann man über Assange und sein Wirken äußerst unterschiedlicher Meinung sein. Das war vor allem im April Thema hier. Und selbstverständlich hat wie alle Parteien die Linke ihre eigenen Narrative (unabhängig davon, dass andere Parteien ihre besser rüberzubringen verstehen ...). Doch gehören faire Gerichtsprozesse zum Kern der liberalen Demokratien und des Westens, wie er in deutscher Sicht besonders, von Großbritannien und den USA geprägt wurde. Die derzeitigen Regierungschefs beider Staaten sind eher Treiber der laufenden Erosionen als Getriebene. Insofern klingt auch Hänsels Hinweis auf den Zeitplan des US-amerikanischen Wahlkampfs plausibel.
Und in der deutschen Berichterstattung, die seit Monaten unverdrossen aufgeregt jede neue Äußerung von Boris Johnson oder irgendeinem gerade verfügbaren Gegenspieler in near-by-Echtzeit kommentiert, spielt das beschämende Assange-Verfahren jenseits der Agenturberichte keine große Rolle. Nur im heterodoxen Telepolis (heise.de) gibt's einen ausführlichen Bericht – da auch mit aktuellem Assange-Foto (bzw. Screenshot aus einem RT-Video) sowie Link zu Amnesty International.
Kontinentaleuropäisches Medien-Konglomerat?
Harter Schnitt zu was völlig anderem. Gestern hatte ich im Altpapierkorb das flotte Tagesspiegel-Interview mit Klaas Heufer-Umlauf empfohlen. Anlass war die neue, frisch auf joyn.de freigeschaltete Serie "Check-Check", in der der umtriebige Entertainer und Celebrity Aktivist als Schauspieler zu sehen ist. Nun liegen erste Kritiken vor. Bei dwdl.de zeigt Rezensent Peer Schader viel guten Willen ("Das ganz große Storytelling gehört – vorsichtig formuliert – eher nicht zu den Stärken ..."), in der SZ zeigt Rezensentin Maresa Sedlmeir keinen:
"Die Serie dreht sich also im Kreis und folgt immer demselben Schema: Jan Rothe ist ein überhebliches Arschloch, das einen ganz weichen Kern hat und alle heulenden Frauen (auch das passiert sehr häufig) und alle wütenden Männer zur Raison bringt. Diesen Charakter nimmt man Klaas Heufer-Umlauf nicht ab."
Auch wenn "Check-Check" vorerst nicht vom Hocker reißt, sind die Besprechungen doch Teil einer Zäsur. "Irgendwann soll die Comedyserie auch bei Pro Sieben laufen", heißt es. Besprechungs-Anlass ist aber der Serienstart auf joyn.de. Die neue Plattform, die ProSiebenSat.1 mit dem Partner Discovery (der ja offenbar die Lust verloren bzw. zumindest seinen interessantesten Inhalt, den Bundesliga-Fußball, anderweitig weiterverkauft hat), hat sich zügig etabliert. Sagt natürlich auch der P7S1-Vorstand Conrad Albert im bereits am Freitag hier erwähnten epd medien-Interview, das inzwischen online steht:
"Die App wurde bereits über vier Millionen Mal heruntergeladen, der mobile Anteil an der Nutzung liegt bei rund 60 Prozent. Was ich aber am spannendsten finde: Etwa die Hälfte der Nutzung entfällt auf Livestreaming, also auf lineares Fernsehen. Das zeigt: Wenn das lineare Programm stimmt, wird es nach wie vor geschaut, egal über welches Endgerät. Aktuell arbeiten die Kollegen bei Joyn an dem kostenpflichtigen Premiumprodukt, eine Anbindung der Mediatheken von ARD und ZDF wäre ein weiterer großer Schritt. Das zeigt auch, dass es die klassischen Freund-Feind-Linien nicht mehr gibt ..."
Tatsächlich kann man auf joyn.de ziemlich einfach zwischen allerhand nonlinearen Sendungen und dem linearen Programm von allerhand klassischen Fernsehsendern, auch öffentlich-rechtlichen, sehr flüssig umschalten. Auch wenn nicht alle Serien perfekt sind – auf dem deutschen Markt für mittelmäßige bis gute TV-Fiktion gibt es schließlich zwei riesengroße, Rundfunkbeitrags-finanzierte Platzhirsche – gibt ProSiebenSat.1 sich erfolgreich Mühe. ("Die Bestrebungen..., das eigene Profil mit mehr Eigenproduktionen zu schärfen, können gleichwohl ernst genommen werden", schrieb der Tagesspiegel anlässlich einer neuen Sat.1-Krimireihe "um die Berliner Investigativ-Journalistin Cora Stein").
Und offenkundig sehen europäische Milliardäre das ähnlich. Zumindest ist, wie gestern ebenfalls im Korb erwähnt, bei der deutschen Fernseh-Aktiengesellschaft, die in der Top 50-Liste der weltgrößten Medienkonzerne gerade noch (auf Rang 49) vertreten ist, die tschechisch-slowakische Medien-Holding Czech Media Invest mit mehr als vier Prozent eingestiegen. Wie der Standard meldete, sind die Investoren in Deutschland bislang nur im Toastbrot-Markt groß vertreten und an der Metro AG beteiligt (die sich unter anderem ja beim Verkauf elektronischer Geräte, auf denen man so oder so Fernseh-Inhalte gucken kann, nicht blöd verdient hatte, oder wie das hieß ...) beteiligt. Noch interessanter ist, sich die Konzern-Struktur anzuschauen, wie die tschechische Holding sie in ihrem Internet-Auftritt zeigt: Da tauchen klangvolle französischen Presse-Namen wie Le Monde (an der die Holding 49 Prozent hält) und Elle auf ...
Ist das eher positiv, dass da eine Art kontinentaleuropäisches Medien-Konglomerat entsteht? Ist es eher schlecht, weil ja auch die tschechischen Investoren vermutlich vor allem auf Profit aus sind und sich mit dem Italiener Silvio Berlusconi zusammentun könnten, der bereits fast zehn Prozent an ProSiebenSat.1 hält? Und wie sieht es mit Meldungen aus, dass in Tschechien selbst die "Medienfreiheit ... unter Druck" stehe, und zwar weil Ministerpräsident Babis "de facto Eigentümer von rund 30 Prozent aller privaten Medien" sei (also dem alten Berlusconi-Scham zu folgen scheint)? Das meldete wiederum der österreichische Standard unter Bezug auf die European Federation of Journalists – während deutsche Medien es nicht meldeten, obwohl Tschechien ja ein deutsches Nachbarland ist. Antworten habe ich gerade auch nicht. Aber gründlichere Blicke in und Berichte über andere europäische Staaten statt immer nur auf Westminster wären schön und sinnvoll.
Altpapierkorb (Streaming-Overload, Brigitte Be Green, "Smartspeaker", Seiberts Nachfolger? Buhrow sang Dylan!)
+++ Auf der FAZ-Medienseite berichtet Nina Rehfeld über Streamingportale in den USA ("Das Fachblatt 'c-net' spricht von einem 'overload', weil 27 Prozent aller Amerikaner inzwischen mehr als hundert Dollar im Monat für Streamingabos ausgeben. Die Zukunft auf einem überladenen Markt könnte den sogenannten 'sometime streamern' gehören – Menschen, die ein Abo nur abschließen, um eine bestimmte Serie zu sehen, und es im nächsten Monat wieder kündigen...").
+++ "Und eine Green-IT-Expertin empfiehlt, mal wieder einen Film aus der Videothek auszuleihen, weil durch Streamen viel zu viel CO2 freigesetzt wird", hat Diemut Roether (epd medien) der neuen Gruner + Jahr-Zeitschrift Brigitte Be Green entnommen, die bei ihr dann dennoch "Fremdschämgefühle" auslöste.
+++ Ein anderer Zeitschriften-Verlag mit nicht ganz so klangvollem Namen schickt Mädchen bzw. Nutzerinnen der gleichnamigen Plattform … auf "den direkten Weg in Online-Casinos und an digitale Roulettetische" (bildblog.de).
+++ Smarte Nutzer sogenannter Smartspeaker sollten, wenn ihr Lautsprecher sagt: "Ein neues Update ist für dein Gerät verfügbar, um es herunterzuladen, sage Start und dein Passwort", besser nicht antworten. Berichtet die SZ-Wirtschaft über die neueste, schon gestern hier erwähnte Abhör-Affäre um Amazon- und Google-Geräte.
+++ Andrej Reisin schreibt bei uebermedien.de gegen "zahlreiche empörte Medienkommentare von 'taz' bis 'Welt'" an, die Ex-AfD-Chef Bernd Lucke "gegen Studenten ... , die angeblich alles und jeden niederbrüllen, was ihnen nicht in den Kram passt", in Schutz nahmen, an.
+++ Und eine Spitzen-Personalie im, ähm, Hauptstadtjournalismus: Nikolaus Blome verlässt Springers Bild! "Der Abgang ... kann ... natürlich auch in Zusammenhang mit der aktuellen Umstrukturierung bei Axel Springer gedeutet werden" (meedia.de). +++ Das "Gerücht ..., Nikolaus Blome sei in Gesprächen mit Annegret Kramp-Karrenbauer" (original bei horizont.net) verdichtet der Tagesspiegel zur Spekulation, dass er ja "die Nachfolge von Merkel-Sprecher Steffen Seibert antreten" könnte.
+++ Ich habe einige Zeit in den umfangreichen ARD-Mediatheken verbracht, um die "WDR 4 Klassik populär"-Ausgabe vom vorigen Sonntag zu suchen, in der der WDR-Intendant und künftige ARD-Vorsitzende Tom Buhrow zu Orchester-Begleitung Lieder von Frank Sinatra und Bob Dylan sang (von Hans Hoff in der SZ bitterböse angekündigt), sie aber nicht gefunden ...
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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