Das Altpapier am 17. Oktober 2019 Die Zerstörung des Bayernkuriers

17. Oktober 2019, 10:38 Uhr

Was Youtuber Rezo nun auch noch mit der CSU-Parteizeitung zu tun hat. Die Bundeskanzlerin hat der Welt mal wieder ein Interview gewährt, allerdings ist etwas faul. Peter Handke sorgt mit ein klein wenig Herumgekauze für zu viel Aufwallung. Und Tanit Koch konkurriert mit Julian Reichelt. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Sitzt die Bundeskanzlerin vor einer gewaltigen Bücherwand und gibt ein Interview. Toll. Schade nur, dass man sich irgendwie veräppelt vorkommt, weil der Interviewer Ralph Brinkhaus ist, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. “Mit unserer Bundeskanzlerin habe ich über ihre Erinnerungen an den Herbst 1989 gesprochen. Wie hat sie die Friedliche Revolution und die ersten Jahre im wiedervereinigten Deutschland erlebt? Hier geht's zum ausführlichen Gespräch: https://youtu.be/VU7wVtcbr5A #mauerfall30“, twitterte er gestern.

Man ist geneigt, die Bundeskanzlerin und den Fraktionsvorsitzenden an die Worte des Herrn Staatsoberhaupts zu erinnern, der beim Geburtstagsempfang der Deutschen Presse-Agentur im Juli (Altpapier) sagte:

“Berichterstattung und Politik müssen je eigene Sphären bleiben – mit unterschiedlichen Spielregeln. Journalisten sollten keine Politiker sein wollen und umgekehrt. Nur so bewahrt der Journalismus seine Unabhängigkeit, und die Demokratie profitiert von einer kritischen Öffentlichkeit.“

Was soll das mit diesem sogenannten Interview? Müssen Parteien sich nach dem “Newsroom“ nun wirklich auch noch das “Interview“ aneignen? Eine “absurde Entwicklung“, findet Martin Kaul, und er ist nicht der einzige.

Andererseits hat diese Entwicklung natürlich nicht mit diesem Gespräch begonnen. Ein solches PR-Format, das sich als Interview tarnt und unsaubererweise auch noch so nennt, ist nur der nächste Baustein in einer langen Reihe von Sphären vermischenden medialen Aktivitäten politischer Akteure.

Der Bayerische Rundfunk hat sich mit dieser Entwicklung im Juli einmal in einem Podcast befasst, in dem es etwa um die schon vor Jahren gestarteten Podcast-Aktivitäten der Kanzlerin geht. In Minute 45 geht es dort zum Beispiel aber auch um eine Frage, die auch in diesem Fall von Belang ist: die nach der Medienkompetenz vieler Nutzer.

Medienprofis werden zwar sofort erkennen, dass das Merkel-Brinkhaus-Gespräch kein Journalismus ist. Aber was ist mit den anderen, die den lieben langen Tag etwas anderes machen, als bei Twitter durch ihre Journalistenbubble zu scrollen? Das Video steht bei Youtube, Ralph Brinkhaus werden viele vielleicht nicht kennen und am Ende noch für einen mit der Kanzlerin duz-befreundeten Journalisten halten… Insofern hat dieses “Interview“ womöglich doch eine neue Qualität. Gut finde auch ich es jedenfalls nicht, wenn eine Regierungschefin, die sich ohnehin nicht zu oft erklärt, an der Vermischung der Sphären von Politik und Journalismus mitarbeitet.

Rezo und die Zerstörung des Gedruckten

Gut, man muss aber natürlich auch die CDU verstehen. Die will ja auch nur auf der Höhe der veränderten Medienlandschaft bleiben. Was nicht so einfach ist. Wir erinnern uns an die hilflosen Versuche, auf Rezo zu reagieren. Rezo? Genau:

“Kurz vor der Europawahl veröffentlichte Rezo, ein blauhaariger Youtuber, der im alten Bayernkurier gewiss als 'Gammler‘ geführt worden wäre, ein Video mit dem programmatischen Titel 'Die Zerstörung der CDU‘. (…) Das eher schlichte Video wurde mehr als 16 Millionen Mal aufgerufen.“

Heißt es heute auf Seite 3 der Süddeutschen Zeitung (0,79 € bei Blendle). Und wenn irgendso ein mächtiger blauhaariger Typi solche gemeinen Videos machen darf (siehe zum Beispiel dieses Altpapier), dann wird man ja wohl wenigstens ein PR-Gespräch unter Parteifreunden als Journalismus verkaufen dürfen.

Warum erinnert die SZ heute an das Rezo-Video? Nun, es geht unter dem hübschen Titel “Adios Amigos“ ganzseitig um die Medienaktivitäten der CSU. Kürzestmögliche Zusammenfassung: Rezo hat den Bayernkurier zerstört, die Parteizeitung.

Als CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu Rezos Videos nämlich “nur die Frage einfiel, welche Regeln im Internet gelten, reifte beim CSU-Kollegen Markus Söder der Entschluss, die Digitalisierung seiner Partei noch radikaler voranzutreiben als eh geplant. Ende Mai feierte man im CSU-Vorstand das gute Ergebnis bei der Europawahl, als Söder am Ende noch mal das Wort ergriff: Bei aller Freude, es bleibe noch viel zu tun. Digitaler müsse die CSU werden und dafür 'naloge Mittel umschichten‘. Was das hieß, durfte Generalsekretär Markus Blume aussprechen: das Ende für den Bayernkurier.“

Zumindest für den gedruckten (siehe auch die “Grimberg“-Kolumne, hier gleich nebenan, vom Mai).

Und so geht’s dann wohl weiter dahin mit den Papierzeitungen. Schon gestern war ja hier im Altpapier von der digitalen “Wachstumsstrategie“ bzw., andersherum, Print-“Axt“ die Rede, die bei der Südwestdeutschen Medienholding ausgepackt werden soll. Eine gegenläufige Geschichte gibt es aber auch: bento, des Spiegels junges Angebot, soll auch gedruckt erscheinen, schreibt etwa die taz.

“Reaktion auf Reaktion auf Reaktion“

Was ist sonst so los? Nun ja, wenn Journalisten-Twitter ein Maßstab ist: Dann ist Peter Handke los. Handke, Handke, Handke. Denn was hat er getan? Er hat im Rahmen eines auf den Bildern des ORF übersichtlich aussehenden Empfangs kundgetan, dass ihm Journalisten auf die Kette gingen. “Die Frage einer Journalistin, wie er denn zu den Äußerungen des Schriftstellers Saša Stanišić stehe, der seine Dankrede für den Deutschen Buchpreis mit einer heftigen Kritik an Peter Handke verband, beantwortete er mit dem Abbruch der geselligen Runde“, schreibt Thomas Steinfeld im SZ-Feuilleton. Handke schimpfte laut ORF:

“Ich steh vor meinem Gartentor, und da sind 50 Journalisten – und alle fragen nur wie Sie, und von keinem Menschen, der zu mir kommt, höre ich, dass er sagt, dass er irgendetwas von mir gelesen hat, dass er weiß, was ich geschrieben hab. Es sind nur die Fragen: Wie reagiert die Welt? Reaktion auf Reaktion auf Reaktion. Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, von Homer, von Cervantes, und lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen!“

So sprach er zu den Journalisten, tja, die freilich danach nichts anderes zu tun hatten, als irgendwo in diesem Gekauze größeren Nachrichtenwert zu entdecken. Die Geschichte, dass Handke nicht mehr mit Journalisten spreche bzw. ein Gespräch mit Journalisten abgebrochen habe, das offensichtlich gar nicht geplant gewesen ist, stand danach nämlich quasi überall, von zeit.de bis spiegel.de.

Vielleicht täte Journalisten es doch auch mal ganz gut, ihren Tunnel zu verlassen, in den sie im Zuge laufender Debatten wie der über die Nobelpreiswürdigkeit von Handke einfahren. Und nicht wirklich jede Äußerung, die höchstens noch für eine Meldung im Vermischten taugt, als wichtigen Beitrag zu verstehen. Steinfeld jedenfalls findet falsch, was aus der Situation medial gemacht worden sei: Einige der Journalisten, schreibt er,

“verwandelten eine ländliche Szene mit einem Schriftsteller, den die Auseinandersetzungen der vergangenen Tage offenbar mitgenommen hatten, in einen prinzipiellen Affront gegen die selbstverständlichen Ansprüche des Journalismus. (…) (D)as ist eine Übertreibung: Denn es gibt kein allgemeines Zugriffsrecht des Journalismus auf den einzelnen Menschen. Das gilt auch für Menschen, die berufsbedingt in der Öffentlichkeit stehen.“

Steinfeld liegt in dem Punkt richtig. Die Bundeskanzlerin zeigt es doch. Die gibt auch nur ausgewählten Menschen Interviews.

Ein Interview!

Aber nicht, dass es gar keine Interviews gäbe. Michael Hanfeld hat für die FAZ eines mit Tanit Koch geführt (0,55 € bei Blendle), die nach ihrer Bild-Zeit nun Chefredakteurin der “Zentralredaktion“ von RTL ist (die Anführungszeichen kommen von der FAZ, womöglich weil für Hanfeld das Wort Zentralredaktion “nach DDR“ klingt, wie er sagt – weiß man das eigentlich auch bei Funke?).

“Wer ist für Sie der Hauptkonkurrent?“, fragt Hanfeld. “Ich würde auf Ihren früheren Arbeitgeber, den Springer-Verlag mit 'Welt‘ und 'Bild’ tippen, wo gerade angekündigt wurde, ARD und ZDF Paroli bieten zu wollen.“

Und Koch: “Unsere Wettbewerber sind alle, die mit Information und Unterhaltung um Aufmerksamkeit ringen. Wir konkurrieren auf dem Boulevard mit 'Bild‘ und 'Bunte‘, an anderen Stellen mit den Öffentlich-Rechtlichen oder 'Spiegel Online‘. Wenn eine starke Marke wie 'Bild‘ jetzt auch ins TV-Geschäft einsteigen möchte, zeigt das nur, wie relevant und zukunftsträchtig Fernsehen ist.“

Oder wie Deutschlandfunks @mediasres-Kolumnist Arno Orzessek sagen würde: “Da kommt zusammen, was zusammen gehört. Freue sich, wer kann.“


Altpapierkorb (“Tagesschau“, “hart aber fair“, Streaming-Besprechungen, Business Punk)

+++ Wo wir gerade beim Emotionsfernsehen waren: Kommen wir nun zu etwas komplett anderem. Imre Grimm widmet sich bei rnd.de nun, da nach Kai Gniffke ein Trio die Verantwortung übernommen hat, in einem längeren bis Longread der “Tagesschau“, einem “Flaggschiff unter Feuer“. Und schließt: “Man kann der 'Tagesschau‘ viel vorwerfen: die manchmal enervierende Fixierung auf Auslandsthemen, die gelegentliche Eitelkeit, das Überangebot an Staatsbesuchen, den Westblick, den digitalen Expansionshunger, die mangelhaften Sparbemühungen des Mutterhauses ARD. Aber dass es überhaupt Redaktionen gibt, deren Kernkompetenz es ist, nicht die Nerven zu verlieren, nützt einer Gesellschaft am Ende mehr, als dass es schadet.“

+++ Michael Hanfeld füllt die FAZ-Medienseite heute mal wieder ganz alleine und verteidigt “hart aber fair“, wo am Montag eine antisemitische Zuschauerin-Mail verlesen wurde, gegen recht heftige Kritik: “Pickt man sich nun die eine Aussage heraus und lässt alles andere, was in 75 Minuten von ‚hart aber fair‘ gesagt wurde, weg, könnte man daraus den Vorwurf konstruieren, Plasberg und seine Redaktion transportierten Antisemitismus ohne Gegenrede. Und genau das wurde konstruiert, und genau in diesem Punkt sind sich Journalisten von 'Spiegel‘, 'Zeit‘, 'Welt‘ und 'Bild‘ einig. Sie sehen nach der Sendung einen Skandal, der keiner ist, aber unbedingt einer sein soll“.

+++ Allerlei Streaming-Themen und -Besprechungen heute mal wieder: Um “Euphoria“ (HBO/Sky) geht es in der SZ, der taz und bei SpOn, um die geplante Netflix-Umsetzung von Daniel Kehlmanns “Tyll“ u.a. bei DWDL und um die “Breaking Bad“-Filmfortsetzung bei zeit.de.

+++ 10 Jahre Business Punk begeht die SZ.

+++ Der Wahlkampf in Thüringen geht auf die Zielgerade. MEDIEN360G hat ein Experiment gewagt, um herauszufinden, welche Rolle Wahlkampfberater spielen und welche Tipps sie geben.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.

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