Das Altpapier am 11. Oktober 2019 Döpfners Gefühle
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11. Oktober 2019, 13:06 Uhr
Es ist immer das Gleiche. Nach Gewalttaten wollen Menschen Information. Und sie bekommen: Unterhaltung. Außerdem: Mathias Döpfner schlägt in einem Kommentar wild um sich – und trifft dabei vor allem die eigenen Leute. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Der traurige Zyklus, der sich nach einem Attentat auf dem beschwerlichen Weg zurück in die Normalität regelmäßig wieder in Gang setzt, beginnt üblicherweise kurz nach der Tat mit der Suche nach Erklärungen für Dinge, über die noch so gut wie nichts bekannt ist. Der Versuch ist vergeblich. Das wissen im Grunde alle Beteiligten. Aber es scheint ein bisschen so zu sein wie bei einer Zwangsstörung. Da sind die Menschen sich oft auch der Sinnlosigkeit ihrer Handlungen bewusst, wiederholen sie aber trotzdem. Falls Sie sich nun fragen, wovon redet der eigentlich, wird Ihnen dieses absurd anmutende Video weiterhelfen, das Übermedien aus Live-Berichterstattungs-Imitaten bei n-tv zusammengeschnitten hat.
Die kognitive Dissonanz bei den im Bild stehenden Menschen, also die gefühlte Diskrepanz zwischen dem, was sie tun, und dem, was sie eigentlich tun sollten, scheint dabei so groß zu sein, dass sie sich selbst immer wieder vergewissern, das Richtige zu machen, also auf keinen Fall zu spekulieren, um sich sogleich wieder dem Falschen zuzuwenden.
Wenn man daraus nun etwas Positives ableiten möchte, was zugegebenermaßen nicht ganz leicht ist, dann könnte das zum Beispiel die Tatsache sein, dass sich einige Gewissheiten inzwischen offenbar gefestigt haben – zum Beispiel eben die, dass Spekulationen in so einer Situation nicht hilfreich sind. Das wissen zwar anscheinend noch nicht alle Journalisten, wie dieses schon am Mittwoch ebenfalls bei n-tv erschienene Augenzeugen-Interview zeigt, aber da sind ja als Kontrollinstanz zum Glück noch die Augenzeugen selbst, die darauf hinweisen können.
Eine der ersten Fragen der Reporterin ist die danach, ob es sich “um einen Deutschen“ gehandelt habe – als ob sich das am Aussehen oder am Klang der Sprache ablesen lasse, und als ob das zu irgendeiner Erkenntnis führen könnte. Der Augenzeuge antwortet auf die Frage gewissenhaft, indem er darauf hinweist, dass er seinen Erinnerungen an diesen Moment selbst nicht so recht traue und keine falschen Informationen verbreiten wolle. Vielleicht hätte er es dabei dann auch einfach belassen sollen. Aber man muss natürlich bedenken, dass er im Moment des Interviews möglicherweise noch unter Schock stand.
Döpfners Mitarbeiter
Schwierige Sache natürlich für einen Nachrichtensender. Wie geht man um mit so einer Situation, in der Menschen ganz schnell Informationen haben möchten, es aber keine Informationen gibt? Man kann ja nun auch nicht einfach einen Tierfilm zeigen. Wobei. Moment. Wie war das denn noch mal, als in Paris die Kathedrale von Notre-Dame brannte? Ach ja, da hatte die ARD auf eine Sondersendung verzichtet und genau das getan, einen Tierfilm gezeigt.
Später forderte der ehemalige ARD-Chefredakteur Ulrich Deppendorf dann, Deutschland brauche dringend einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal (Altpapier). Der hätte an diesem Abend allerdings auch nicht viel mehr machen können, als den Menschen Bilder von einer abbrennenden Kirche zu zeigen, verbunden mit der Information, dass man über die Ursache des Feuers noch nichts Genaues weiß. Und da müsste man sich dann die Frage stellen: Geht es bei der “Live-Berichterstattung“ nach Katastrophen und Attentaten wirklich darum, dem Informationsbedürfnis der Menschen gerecht zu werden? Oder ist das Ziel vielleicht doch einfach, sie wie bei einem Verkaufskanal durch dramaturgische Tricks möglichst lange vor dem Bildschirm zu halten?
Es braucht nicht so viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Julian Reichelt die Frage beantworten würde. Er würde vermutlich auf das Informationsbedürfnis der Menschen hinweisen und betonen, dass die Aufgabe von Medien schließlich sei, die Dinge so zu zeigen, wie sie sind – nicht so, wie sie sein sollen. Mit dieser Standard-Argumentation aus dem Baukasten lässt sich nämlich praktischerweise so gut wie jeder Beitrag rechtfertigen, der im Grunde nur das voyeuristische Bedürfnis des Publikums befriedigt. Und so lässt sich auch begründen, warum man sich über Persönlichkeitsrechte hinwegsetzt, was ja ein beliebtes Hobby der “Bild“-Medien ist.
Döpfners Missverständnisse
Stefan Niggemeier hat bei Twitter einen Text verlinkt, in dem der Kriminalpsychologe Jens Hoffmann erklärt, was Medien nach einer schweren Gewalttat auf keinen Fall machen sollten. Und wenn man wissen möchte, was das ist, kann man nun entweder diesen Text lesen oder sich einfach anschauen, wie die “Bild“-Zeitung berichtet hat – nur dass man sich im zweiten Fall eben klarmachen müsste: Genau das Gegenteil wäre richtig.
“Nennen Sie keine Namen. (…) Zeigen Sie keine Gesichter (…) Dämonisieren Sie die Täter nicht.“
Das sind Hoffmanns Kernaussagen. Und eigentlich kann man sich das gut merken. Aber so funktioniert natürlich nicht Unterhaltung.
Das ist eines der großen Missverständnisse, denen Mathias Döpfer in seinem in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Kommentar für Welt.de unterliegt, wenn er schreibt:
“Es wird verschwiegen oder beschwichtigend verharmlost. Und wenn einige wenige Medien die Fakten doch nennen oder grausame Bilder trotzdem zeigen, dann werden vielfach nicht die Tatsachen beklagt, sondern wird derjenige beschimpft oder gar der Aufwiegelung bezichtigt, der die Realität beschreibt. Deutschlands Politik- und Medieneliten schlafen den Schlaf der Selbstgerechten und träumen den Wunschtraum der Political Correctness. Möchten sie nicht, dass diese Ruhe gestört wird?“
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll.
Zuallererst ist daran bemerkenswert, dass Döpfner Präsident der Zeitungsverleger ist, mit seiner pauschalen Medienkritik aber in die gleiche Kerbe schlägt, die auch die AfD schon seit Jahren bearbeitet – mit dem offensichtlichen Ziel, die Glaubwürdigkeit unter anderem der Medien in Zweifel zu ziehen, die Döpfner als Verbandspräsident vertritt. Wie nah beieinander Döpfner und zum Beispiel AfD-Chef Jörg Meuthen dabei stehen, hat Benjamin Beutler mit einem Tweet illustriert, der den Teaser von Döpfners Kommentar neben ein Facebook-Posting von Meuthen stellt.
Döpfner fordert die “Durchsetzung des Rechtsstaats“, Meuthen die “Härte des Rechtsstaats“. Aber was versteht Döpfner darunter? In seinem Kommentar nennt er unter anderem folgendes Beispiel.
“Wenn in der traurig-berühmten Kölner Silvesternacht von 2015, nach der Angela Merkel eine 'harte Antwort des Rechtsstaates' verlangte, 661 weibliche Opfer von sexuellen Übergriffen identifiziert werden, 1304 Anzeigen erstattet und 52 Angeklagte beschuldigt sind, werden am Ende drei Männer wegen Sexualdelikten verurteilt.“
Stefan Niggemeier schreibt dazu bei Twitter:
“Was will Döpfner hier sagen? Er insinuiert, dass die Justiz (ausländische) Täter bewusst nicht verurteilt hat. Dabei ist genau das *Rechtsstaat*: Dass es nicht reicht, dass bis hin zur Kanzlerin Verurteilungen gewünscht werden. Sondern jede Tat nachgewiesen werden muss.“
Döpfners Verschwörung
Die nächste Frage wäre: Was meint Döpfner, wenn er schreibt, dass nur “einige wenige Medien (…) grausame Bilder trotzdem zeigen“?
Ist das der Vorwurf, dass die meisten Medien auch so vermeintlich lästigen Kleinkram wie Persönlichkeitsrechte respektieren, die ja ebenfalls Teil des Rechtsstaats sind, in Döpfners Medien aber sehr regelmäßig erlöschen, sobald es sich um die Persönlichkeitsrechte von mutmaßlichen Tätern handelt.
Döpfner attestiert der offenen Gesellschaft “Systemversagen“ und versucht, das mit Beispielen zu stützen, die belegen sollen, dass Medien aus vermeintlich falscher Rücksichtnahme die Wahrheit verschweigen.
Döpfner kritisiert etwa, dass ein einzelnes öffentlich-rechtliches Medium, der Deutschlandfunk, nicht berichtet hat, als im August ein Mann in Stuttgart einen Menschen auf offener Straße mit einem Schwert erschlug (Altpapier). Andere öffentlich-rechtliche Sender haben den Fall thematisiert, was man bei Correctiv nachlesen kann. Auch der Deutschlandfunk hat begründet, warum der Mord im Programm nicht vorkam. Über die Begründung kann man unterschiedlicher Meinung sein. Aber dass dies in Deutschland möglich ist, ist kein Versagen des Rechtsstaats, es wird erst möglich, weil der Rechtsstaat funktioniert.
Und so spinnt Döpfner sich aus gefühlsstarken Einzelbeispielen eine These zusammen, die sicher nicht völlig falsch ist, aber in ihrer Einfachheit leider auch nicht richtig. Der Rechtsstaat versagt nicht, er produziert nur nicht immer Ergebnisse nach Döpfners Wünschen. Und so macht der Zeitungsverleger-Präsident im Grunde selbst, was er im Punkt fünf der von ihm identifizierten Ursachen diagnostiziert. Dort schreibt er:
“Eine mediale Elite, die Dinge zu oft eher beschwört und beschreibt, wie sie sein sollten, als zu beschreiben, wie die Lage ist. Die Haltung oft über Fakten stellt. Und so aus Rücksicht auf die gute Absicht ihre wichtigsten Wirkungsgrundlagen schwächt: Glaubwürdigkeit und Vertrauen.“
Anders gesagt: Es gibt an den von Medien produzierten Inhalten viel zu kritisieren. Wir machen das hier jeden Tag. Daher wissen wir, dass es an unterschiedlichen Meinungen nicht mangelt. Es kommt auch vor, dass Journalisten sich zu einig sind und hinterher widerlegt werden. Aber der Mehrheit der Journalisten vorzuwerfen, dass sie Fakten nicht nennen, das hat nichts mit Medienkritik zu tun. Das ist Verschwörungstheorie.
Altpapierkorb (Halle – eine Übersicht, konservative Medien gegen Trump, ARD/ZDR-Online-Studie, Yücels neues Buch)
+++ Sehr viele hervorragende Texte heute zur Analyse der Tat in Halle. Ich hätte gern noch über einige mehr geschrieben, hatte aber leider keine Zeit mehr. Daher hier eine kleine Übersicht: Auf der FAZ-Medienseite analysiert Frank Lübberding die Berichterstattung – vor allem den Umgang mit dem Video und den Gerüchten (55 Cent bei Blendle). Christian Bangel erklärt in seiner Analyse für Zeit Online unter anderem, warum der Antisemitismus der AfD auch ohne Juden auskommt. Lisa Hegemann und Dennis Schmees widmen sich bei Zeit Online der Frage, warum sich das Video ausgerechnet über die Plattform Twitch verbreitet hat. Max Hoppenstedt und Simon Hurtz erklären in der SZ, welche Rolle Online-Foren bei Terror-Anschlägen wie dem in Halle spielen. Julian Staib beschreibt in der FAZ (55 Cent bei Blendle), wie die Gegenöffentlichkeit im Netz unabhängig von der Faktenlage reagiert. Und Constantin von Lijnden erklärt ebenfalls in der FAZ (55 Cent bei Blendle), warum in den dunklen Ecken des Netzes Antisemitismus und Fremdenhass so gut gedeihen.
+++ Auf der FAZ-Medienseite schreibt Nina Rehfeld über die wachsende Zahl konservativer Medien, die sich gegen Donald Trump positionieren (55 Cent bei Blendle).
+++ Die Zeit druckt in ihrer aktuellen Ausgabe einen Auszug aus Ronan Farrows neuem Buch ab. Darin beschreibt Farrow, wie er mit seinen Recherchen den Filmmogul Harvey Weinstein überführte (Text leider noch nicht online). Wie unter anderem die New York Times berichtet, wirft Farrow der NBC-Führung vor, ihn bei seiner Arbeit behindert zu haben.
+++ Benjamin Piel erklärt in einem Beitrag für das DJV-Magazin Journalist, warum Lokaljournalisten nicht überflüssig werden, wenn Öffentlichkeitsarbeiter ihnen einen Großteil der Arbeit abnehmen, die sie bisher gemacht haben.
+++ Heute auf der SZ-Medienseite: Die deutsche Vogue feiert ihren 40. Geburtstag. Tanja Rest gratuliert. Und Maresa Sedlmeir schreibt über die neue ZDF-Serie „Fett und Fett“, die eigentlich nur aus Spaß entstanden sei – und vielleicht gerade deshalb ganz gut geworden ist.
+++ Dennis Horn fasst im WDR-Blog Digitalistan die Ergebnisse der neuen Online-Studie von ARD und ZDF zusammen. Im Schnelldurchlauf: Zahl der Internetnutzer steigt kaum noch. Jeder Zehnte in Deutschland besitzt einen Smartspeaker. Und: Facebook bleibt Nummer eins bei den sozialen Netzwerken. Instagram wächst am stärksten.
+++ Ulrike Simon hat für Horizont in Erfahrung gebracht, wie es mit der Hamburger Morgenpost weitergehen könnte. Danach könnte eine Lösung sein, dass das Management die Zeitung übernimmt.
+++ Der Tagesspiegel gründet ein Story-Ressort, berichtet Meedia.
+++ Emilia Smechowski hat für die Zeit anderthalb Schachteln Zigaretten lang (umgerechnet sieben Stunden) mit Deniz Yücel über seine Zeit im Gefängnis, über die Türkei und über sein neues Buch gesprochen. Wenn ich heute einen Text ganz besonders empfehlen darf, dann wäre das dieser hier. Yücels Buch ist gestern erschienen (Altpapier). Daher gibt es noch einige weitere Interviews, Rezensionen und Berichte. Davon empfehlenswert ist zum Beispiel dieses Gespräch mit Yücel im Deutschlandfunk.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag. Schönes Wochenende.
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