Das Altpapier am 26. Juni 2019 Düsternis und Demut
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Wieviel Optimismus ist angebracht in der Krisenregion namens Lokaljournalismus? Welche Art von Entwicklungszusammenarbeit wäre dort sinnvoll? Produktionsdruck führt zum Fehler-Domino und Innenminister lesen gerne Orwell. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Wenn es eine Krisenregion in der deutschen Medienlandschaft gäbe, dann wäre das wohl der Lokaljournalismus: wegbrechende Auflagen, Dürre im Anzeigengeschäft, von der untergehenden Insel des Printgeschäfts hin zu neuen digitalen Geschäftsmodellen zu schippern klappt häufig nur bedingt, der wirtschaftliche Druck wächst seit Jahren, die Vielfalt dagegen sinkt.
Gestern aber wurde ein ungewöhnlich sonniger Blick auf die Branche geworfen:
Da wäre zu allererst diese Befragung, über die "Rolle der Zeitung für die Region". Dabei vergewissert sich der BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger) über die ZMG (Zeitungsmarktforschung Gesellschaft), dass Zeitungen, wenn es um regionale News geht, "nach wie vor das wichtigste Medium" (Tagesspiegel) sind. Das wird daran festgemacht, dass knapp zwei Drittel der Befragten sich digital oder analog mit einer Tageszeitung über das Geschehen vor Ort informieren.
Bei Horizont (via dpa) heißt es außerdem, dass 91 Prozent der Aussage zustimmen, "die regionale Tageszeitung berichte über alle wichtigen lokalen Akteure und sei eine vertraute Institution (90 Prozent) und damit ein Sprachrohr für die Menschen vor Ort (85 Prozent)". Vergleichszahlen von vor zehn/zwanzig Jahren stehen allerdings nicht dabei und auch nicht, ob die Befragten für’s Lesen zahlen. Insofern ist das Ganze bei genauerem Hinschauen wohl eher ein Aufbäumen, ein Reviermarkieren als eine substanzielle Erfolgsmeldung.
Entwicklungshilfe für Zeitungsverlage
Etwas mehr Butter bei die Fische, äh, Zeitungen tut Heike Hampl bei Meedia. Die Leiterin des Regio-Desks Zwickau bei der Chemnitzer Freien Presse hat dort fünf positive, aber dennoch selbstkritische Punkte zusammengeschrieben, weshalb die Lokaljournalismus aus ihrer Sicht besser wird.
"Wir alle verkaufen von Jahr zu Jahr weniger gedruckte Zeitungen – und schaffen es noch nicht, im Digitalen genauso viel Geld zu verdienen wie mit dem gedruckten Produkt. Wir sehen, dass viele Menschen uns mittlerweile für verzichtbar halten. Politiker, Unternehmen und Behörden kommunizieren im Netz an uns vorbei direkt mit ihrer Zielgruppe",
schreibt Hampl unter Punkt 3. Ähm ja, hört sich erstmal nicht unbedingt nach Verbesserung an, aber deutlich ehrlicher als beim BDZV. Dann kommt die Journalistin aber zum positiven Teil, dem Umgang mit der bitteren Erkenntnis:
"Düstere Jahre waren das – in den gesunden Redaktionen mündete die Düsternis in Demut. Uns ist heute – vielleicht mehr denn je – bewusst, dass wir Journalismus für die Nutzerinnen machen. Nicht für Bürgermeister, Unternehmerinnen, Abgeordnete oder die Redaktionsleitung. Diese Bescheidenheit paart sich mit neuem Selbstbewusstsein, das sich auch durch Bezahlschranken im Netz in den Redaktionen ausgebreitet hat. Guter Journalismus kostet Geld."
Und die digitalen Erlöse stiegen langsam an. Mit dieser Erkenntnis kommen wir also endgültig wieder auf dem Boden der Tatsachen an und hier unten fragt Christoph Sterz bei Deutschlandfunks "@mediasres", inwiefern die Krisenregion entwicklungshilfebedürftig ist, bzw. ob Verlage eine "Finanzspritze" bräuchten und wie die aussehen könnte.
Der NRW-Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, Thomas Kloß, will z.B. keine direkten Subventionen, weil er ein Glaubwürdigkeitsproblem befürchtet. Steuerbefreiungen oder Entlastungen bei den Sozialabgaben fände er dagegen töfte. Die Dortmunder Journalistik-Professorin Wiebke Möhring wirft allerdings erst einmal ein, sich
"vielleicht nochmal vor Augen führen und unter anderem aber auch klarmachen: Warum hat diese Zeitung, dieses Medienhaus jetzt an dieser Stelle ein wirtschaftliches Problem? Und was hat sie auch schon an Maßnahmen ergriffen? Will sagen: Es kann ja nicht sein, dass dann durch eine öffentliche Förderung Management-Fehler gegenfinanziert werden."
Ein Schelm, wer dabei jetzt direkt an Funke denkt.
Dass Lokalberichterstattung wichtig für die Menschen vor Ort ist (und für die Demokratie sowieso) bezweifelt ja eigentlich niemand. Das Zwanghafte betonen der eigenen Relevanz beim BDZV hält aber leider nicht die Lösung für die aktuellen Probleme parat. Die liegt wohl eher bei Journalistinnen wie Hampl, die Fehler und Learnings offen ansprechen.
Stiftungs- und Genossenschaftsmodelle werden in dem Zusammenhang ja auch immer wieder diskutiert und aus NRW könnte ein Anstoß kommen, Journalismus künftig leichter als gemeinnützig anerkennen zu lassen (siehe Altpapier). Sterz erinnert auch daran, dass der BDZV aktuell mit dem Arbeitsministerium über eine Förderung für die Zeitungszustellung verhandelt. Solange die Verlage noch welche drucken…
Domino Day im News-Geschäft
Gedruckt wurde am Wochenende einiges, auch falsches. Vier Nachrichtenagenturen verbreiteten eine von der Bild am Sonntag falsch zusammengefasste Statistik zum Anstieg rechter Gewalt in Deutschland (wie gestern hier im Altpapier schon kurz angeschnitten). Die BamS hatte vorab Einblick in den Verfassungsschutzbericht bekommen, der erst morgen veröffentlicht werden soll, und zum eigenen Bericht ein Vorab an die Agenturen geschickt. Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten sei um 71,4 Prozent auf 48 gestiegen, hieß es dort.
"Das ist falsch, und es ist nicht ein kleines bisschen falsch, sondern ungefähr um den Faktor 20. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland über 1000 rechtsextreme Gewalttaten registriert. 48 ist die Zahl der antisemitischen rechtsextremen Gewalttaten",
schreibt Stefan Niggemeier bei Übermedien. Die falschen Zahlen der BamS lösten einen sauberen Domino-Effekt aus und purzelten durch eine ganze Reihe von Medien. Niggemeier hat sie online u.a. bei Welt, Deutsche Welle, SWR, WAZ, tagesschau.de, Hannoversche Allgemeine, t-online.de, sueddeutsche.de, Deutschlandfunk, BR24, FAZ, Saarbrücker Zeitung und Rheinpfalz gefunden (teils mittlerweile korrigiert).
Um den einzelnen Fehler geht es aber gar nicht so sehr. Niggemeier hat mit Chefredakteuren und Ressortleitern von AFP, epd, KNA und Reuters über die Abläufe gesprochen, die hinter der Verbreitung des Fehlers stehen. Die meisten verweisen auf die dünne Besetzung und generalistisch angelegten Wochenend- bzw. Nachtdienst und den Produktionsdruck. Dazu komme, dass Ämter und Behörden am Wochenende nicht gut für eine Verifizierung zu erreichen sind oder in diesem Fall einfach wieder auf die BamS verwiesen hätten. Niggemeiers Fazit:
"Die ‚Bild am Sonntag‘ hat es eilig, die Ergebnisse des Verfassungsschutzberichtes zu verbreiten, bevor der öffentlich ist. Die Agenturen haben es eilig, die Aussagen der "Bild am Sonntag" zu verbreiten. Produktionsdruck schlägt Sorgfalt."
Dahinter stünden auch systemische Mängel: Nachrichtenagenturen sehen andere Medienberichte als vertrauenswürdige Quellen an, Agenturkunden wiederum behandelten deren Meldungen als privilegierte Quelle und verbreiten sie in der Regel ohne weitere Prüfung. Das System sei
"darauf angelegt, Falschmeldungen zu verbreiten: Von einem Medium gelangen sie über den Umweg über Agenturen in alle Medien, weil an jeder Stelle in diesem Prozess die Annahme gilt, dass die Quelle vertrauenswürdig ist."
Verstärkt werde das noch weiter durch Zentralredaktionen (in diesem Fall Funke), die den Mantel für verschiedenste Titel liefern.
Es fehlen gewissermaßen die Sicherheitslücken, wie die, die beim Domino verhindern, dass bei einem Bau-Fehler gleich Tausende Steine umfallen, statt nur ein paar vereinzelte. Das ist ein Punkt, der erstaunlich selten von Presserat und Journalistenorganisationen thematisiert wird. Dabei würden sich hier tatsächlich mal Richtlinien anbieten. Auch für eine medienübergreifende Hinwies-Kultur für Fehler unter Kolleg:innen…
Hinweis: Ich arbeite gelegentlich für den epd.
Altpapierkorb (Überwachung und Blockaden im Netz, Finanzierung der Republik, Banijay übernimmt Good Times)
+++ Die Innenminister haben scheinbar etwas zu viel Orwell und Kling gelesen und wollen laut netzpolitik.org ein "registerübergreifendes Identitätsmanagement" bei Behörden und Ämtern ermöglichen und dafür individuelle Personenkennziffern vergeben. Die von Markus Reuter befragten Experten sehen Missbrauchsprotenziale.
+++ Der Netzaktivist Alp Toker spricht im Interview mit Johannes Kuhn auf der SZ-Medienseite (hier bei Blendle) über zunehmende Blockaden des Internets und sozialer Medien: "Venezuela schaltet Social Media ab, wenn die Opposition auftritt. Dann funktionieren Youtube, Instagram oder Twitter für einige Minuten nicht. Das erinnert eher an klassische Zensur aus Radio- und TV-Zeiten. Benin und Malawi gingen dieses Jahr während der Wahlen offline. Simbabwe blockierte soziale Netzwerke, als Bürger gegen die hohen Benzinpreise demonstrierten. (…) Und Sri Lanka hat dreimal innerhalb kurzer Zeit Social Media abgeschaltet, unter anderem, um nach einem Terroranschlag Übergriffe auf Minderheiten zu verhindern." Einen Blick auf Gegenstrategien wirft er auch.
+++ Die Finanzierung der Republik, des Schweizer Vorzeige-Mediums für leser:innenfinanzierten Journalismus, stockt laut Newsroom. "Unser Januar-Plan ist bisher nicht aufgegangen. Jeden Tag kommen neue Verlegerinnen dazu, aber etwa gleich viele verlassen uns auch wieder. Das bedeutet: Im Moment wächst die Republik nicht", wird das Haus zitiert. Im schlimmsten Fall würden die Mittel nur noch bis November reichen, heißt es. So pessimistisch kann man bei der Republik aber eigentlich nicht sein, denn kürzlich wurden noch neue Stellen ausgeschrieben.
+++ Banijay übernimmt die bisher inhabergeführte Produktionsfirma Good Times (u.a. "Armes Deutschland" bei RTL2 und "Unser Kiosk" bei kabel eins), berichtet dwdl.de. Good Times gehöre damit als weiteres Label neben Banijay Productions, Brainpool und Raab TV unter das Dach der deutschen Banijay Familie.
+++ Facebook ruft erneut nach Regulierung. Warum? Das analysiert Michael Hanfeld heute auf der FAZ-Medienseite (hier bei Blendle).
+++ Chat-Bots galten als innovative Wege der Nachrichtenvermittlung. Nun wird mit Quartz aber wieder einer eingestellt. Woran liegt das und welche Erwartungen haben Nachrichtenkonsumenten heute? Das fragen sich Joshua Benton beim Nieman Lab und Bernd Oswald bei Piqd.
+++ Auf der FAZ-Medienseite beschreibt Bülent Mumay den Umgang Erdogan-treuer Medien mit dem Sieg der Opposition in Instanbul: "Der Verlust der Metropole las sich in den Palast-Medien so: 'Istanbul hat seine Wahl getroffen.' Bei Fußballnachrichten wird statt 'Das Spiel wurde gespielt' gemeldet, wer gewonnen hat. Als es aber um die Niederlage der AKP ging, war weder vom Ergebnis noch von den Akteuren die Rede. Man beschränkte sich auf trockene Schlagzeilen." Warum solche Medienhäuser sich jetzt fürchten müssen, kann man auch bei Blendle nachlesen.
+++ Mit der Diskuthek startet der Stern ein politisches Debattenformat bei Youtube. In dem Projekt stecken Gelder der Google News Initiative und in der ersten Folge diskutiert Philipp Amthor (CDU) mit Kevin Kühnert.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Donnerstag.