Das Altpapier am 03. Juni 2019 Was macht eigentlich Leo Kirch?

Berlusconi steigt bei ProSiebenSat.1 ein. KKR – einst bei ProSieben aktiv – steigt eventuell bei Axel Springer ein. Steigt Springer dann ebenfalls bei ProSieben ein? Aber es geht natürlich auch um die Medienmacht eines Youtubers. Ein Altpapier von Klaus Raab.

“Was in der Welt passiert, erfährt er auf Twitter oder Instagram“, schreibt Der Spiegel über den Youtuber der Woche, Rezo, dessen Name auch zum titelfähigen Wortspiel taugt: “Rezoluzzer“. Es kann also sein, dass er gelesen hat, was der ARD gerade von Henning Sußebach vorgeschlagen wurde, nachdem Joko und Klaas für ihre 15 Minuten politisches Fernsehen “jede Menge Lob und Begeisterung“ (Altpapier vom Freitag) bekommen hatten:

“Fänd super, wenn das, was @jokoundklaas auf Pro7 gemacht haben, künftig statt ‚Börse vor 8‘ täglich im Ersten liefe: Ein Mensch - jung oder alt, arm oder reich, links oder rechts - erzählt einige Minuten von seinem Leben, seinen Hoffnungen und Sorgen.“

Begeistert aufgenommen wurde die Idee bei Twitter, wo Systemkritik ganz einfach sein kann. Nicht leicht zu erklären ist aber tatsächlich, warum aufgebauschte Kontoinformationen für eine hochspezialisierte Informationselite zwischen Wetter und Blasenschwächemedizinwerbung im allerersten Programm laufen müssen. Wenn man etwas in die Mediatheken verschieben könnte, dann doch das. Andererseits darf nicht ausgeschlossen werden, dass es bei dieser Programmierung der Börsensendung weniger um publizistische Fragen geht. Als darum, den Fernsehvorabend, an dem die ARD Werbung senden darf, in mundgerechten Häppchen für Kaufkräftige zu gestalten.

Die ARD-Pressetwitterstelle gibt Zeit-Redakteur Sußebachs Änderungsvorschlag jedenfalls “gern an die Verantwortlichen weiter“, will aber zugleich “Missverständnissen aus dem Weg“ gehen: “Es ist selbstverständlich nicht vorgesehen, die ‚Börse vor 8‘ aus dem Programm zu nehmen.“ Selbstverständlich nicht!

Denn es könnte sein, dass “Börse vor acht“ irgendwann in nächster Zeit etwas Wichtiges zu vermelden hat, was die hochspezialisierte Informationselite der Börsianer zwar ohnehin mitkriegen würde, was aber die Tiefspezialisierten auch wissen dürfen sollen… Nämlich:

Döpfners riskanter Plan

Vielleicht geht Axel Springer von der Börse: “Megadeal“ heißt das im Handelsblatt-Jargon usw. usf. Die Nachricht selbst stand schon am Freitag kurz an dieser Stelle; am Wochenende aber folgten mehr Hintergrundartikel: “Der US-Finanzinvestor KKR soll dem Verlagshaus helfen, den Rückzug von der Börse anzutreten. Gemeinsam mit KKR, so die Idee, wollen Friede Springer und Döpfner ein Konsortium gründen, das den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreiten soll.“ So steht es zum Beispiel im Spiegel (€)

Frage 1: Was heißt das für Springer? Frage 2: Was heißt das für den verbliebenen Journalismusbereich des Hauses?

Für das Haus Springer hieße das – so wird das gedeutet –, dass die Börse nicht mehr herumnerven würde (wiederum Der Spiegel):

“Kein Medienhaus in Europa hat die Digitalisierung so konsequent angepackt wie Springer – 84 Prozent der Gewinne kommen aus digitalen Geschäften, von der Jobbörse Stepstone bis zur Wohnungsplattform Immowelt. An der Börse wird der Konzern trotzdem abgestraft, weil ihm das darbende Printgeschäft von 'Bild‘ bis 'Welt‘ wie ein Mühlstein um den Hals hängt.“

Tja. Wie bitter es für so ein armes Verlagsgroßunternehmern sein muss, ausgerechnet im Zeitungsgeschäft tätig sein zu müssen, muss sich der geneigte Mindestlöhner vielleicht einfach immer wieder mal klar machen.

KKR – zur Erinnerung: ein Finanzinvestor – könnte Springer helfen, das Unternehmen größer aufzustellen und das Printgeschäft trotzdem zu halten, so die vermittelte Logik. Caspar Busse schreibt in der Süddeutschen Zeitung, es…

“…  soll vertraglich der bestimmende Einfluss von Friede Springer garantiert werden, genauso wie die journalistische Unabhängigkeit des Unternehmens, das unter anderem auch Bild und Welt herausgibt. Springer bleibe ein 'journalistisches Haus‘, heißt es bei Beteiligten. Doch kann dieser Plan aufgehen?“

Die Antwort folgt auf dem Pferdefuß:

“Er ist zumindest riskant. Denn KKR könnten den Druck auf eine Verbesserung der Rendite erhöhen. Weitere Sparmaßnahmen wären die Folge. Axel Springer kommt derzeit mit 16 350 Mitarbeitern auf einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro. Während dem Vorstand unter Döpfner die strategische Weiterentwicklung der Firma am Herzen liegen dürfte, hat KKR wohl eher den späteren gewinnträchtigen Ausstieg im Auge.“

Letzteres dürfte keine allzu gewagte Spekulation sein: Fußballer spielen Fußball. Friseure schneiden Haare. Finanzinvestoren verabschieden sich mit mehr Geld als vorher. Busse kommentiert die Geschichte in einem Aufwasch mit dem Einstieg des Berlusconi-Unternehmens Mediaset bei ProSiebenSat.1 (siehe ebenfalls Altpapier vom Freitag) und sieht in beiden Fällen die journalistische Unabhängigkeit in Gefahr:

“Natürlich unterscheiden sich die beiden Fälle: Berlusconi ist alles andere als willkommen“ – (die taz schreibt dazu: “Ein Machtkampf ist vorprogrammiert“) –, “KKR dagegen hat sich mit der Verlagserbin Friede Springer und Vorstandschef Mathias Döpfner abgesprochen. Bei beiden ist jedoch gefährlich viel Geld im Spiel, der Renditedruck steigt. Wo Finanzinvestoren das Sagen haben und es nur noch auf Gewinn ankommt, kann der Journalismus schnell leiden. Die Unabhängigkeit darf aber nicht beschädigt werden.“

KKR war bekanntlich auch einst bei ProSiebenSat.1 tätig, Springer wollte ProSiebenSat.1 auch schon mal übernehmen… Hätte Leo Kirch sich noch aus dem Grab gemeldet, der zu seiner Zeit auch schon mal Kontakte zu Mediaset hatte (SZ vom Freitag) – Journalisten, die sich vor Jahren mal mit Medienwirtschaft beschäftigt haben, hätten tatsächlich “Bingo“ rufen können.

Den Kreis schließen Martin Hesse und Isabell Hülsen im Spiegel:

“Der potenzielle Einstieg bei Springer belebt deshalb eine alte Fantasie: dass Springer mit KKR einen neuen Anlauf Richtung ProSiebenSat.1 nehmen könnte. Der TV-Konzern ist derzeit an der Börse billig zu haben“.

Die Sache mit dem digitalen Journalismus

Was hat Springer konkret im Sinn? Meedias Analyse: Vorstandschef Mathias Döpfner

“will das Unternehmen zum Weltmarktführer ausbauen. Dazu soll das Unternehmen im Rubrikengeschäft und digitalen Journalismus international weiter expandieren – und dies mit weiteren Zukäufen. So sollen die Berliner ein Auge auf das Kleinanzeigengeschäft von Ebay geworfen haben, doch der Erwerb ist teuer. Zuletzt soll Ebay angeblich rund zehn Milliarden Euro als Kaufpreis aufgerufen haben – eindeutig zu viel für die Springer-Kasse. Mit KKR als Investor im Rücken, wären solche Transaktionen für Döpfner eher zu stemmen. Schlagartig könnten die Berliner so im Rubrikengeschäft in neue Wachstumsregionen vorstoßen.“

Wer einen Google-Alert auf Mathias Döpfner hat, könnte bemerkt haben, dass das Stichwort “digitaler Journalismus“ dieser Tage schon einmal im Zusammenhang mit seinem Namen gefallen ist (Altpapier vom Mittwoch) – es ging um den Youtuber Rezo:

“Döpfner nannte die Videos des Youtubers Rezo über die CDU 'ein gutes Beispiel für digitalen politischen Journalismus’.“

Was die Frage nährt: Wenn der Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner “im Rubrikengeschäft und digitalen Journalismus international weiter expandieren“ will – heißt das dann am Ende verstärktes Mitmischen bei Youtube? Kriegt Rezo bald ein Angebot?

Rezo-Befassungen

Die Rezo-Berichterstattung gelangte dieser Tage auf ihren vorläufigen Höhepunkt. Im Spiegel werden “die 19er“ zu einer den 68ern vergleichbaren Kraft. Anderswo werfen sich Journalisten in Schützengräben und führen Rückzugsgefechte, die sie nicht gewinnen werden, und ziehen über die Jugend her wie in musterbeispielhafter Idiotie die Sächsische Zeitung. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung derweil behauptet auf der Seite 1, neben “Pupsvideos und Pannenclips“ gebe es bei YouTube “jetzt auch Politik“ – ja, lol, “jetzt“. Im Feuilleton geht Harald Staun allerdings fundierter zu Werke (Blendle, 0,45€):

“Fakten im Sinne seiner Argumentation zu interpretieren, wie es Rezo sicher auch tat, ist Praxis unzähliger Leitartikel und Politikerstatements, nur dass nicht alle ihre Quellen so akribisch auflisten. Wie bizarr ist es aber, wenn hochrangige Parlamentarier einem politischen Amateur vorwerfen, Lobbyismus zu betreiben und Netzwerke zu knüpfen? Und was für ein Witz, wenn ihm der stellvertretende Chefredakteur der 'Bild‘-Zeitung in einer Talkshow Demagogie vorwirft? In solchen Momenten wird man den Verdacht nicht los, dass es weniger die Angst vor einer neuen, unberechenbaren Dimension politischer Manipulation ist, die Rezos Kritiker umtreibt; sondern eher die vor einer neuen Konkurrenz in dieser Disziplin.“

Das mag sein.

Was Berlusconi mit ProSiebenSat.1 vorhat – und da geht es wirklich um medienpolitische Macht –, wird jedenfalls längst nicht so aufgeregt diskutiert. So kündigte Berlusconi, wie etwa DWDL oder nun auch die Augsburger Allgemeine schreiben, “bereits im April die Bildung einer ‚europäischen Fernsehallianz‘ an, deren Details Ende Juli vorgestellt werden sollen. ‚Europäische Medienunternehmen wie wir müssen die Kräfte bündeln, wenn wir wettbewerbsfähig sein ... wollen, wenn es um die kulturelle Identität in Europa geht‘, sagte er.“

Aber ja Gottchen: Mediaset in Verbindung mit kultureller Identität – das klingt vielleicht ein bisschen unangenehm, urgs. Aber Berlusconi zweifelt wenigstens nicht daran, dass Medienunternehmen alten Schlags alternativlos sind. Anders als so ein brandgefährlicher Youtuber.

Altpapierkorb (Täuschungsfall, Seehofers Gesetz, “Die Stadt ohne Juden“)

+++ Es gibt einen “Fall publizistischer Täuschung, der dem Fall Relotius nahe kommt“, wie Übermedien im Sonntags-Newsletter schrieb: Eine preisgekrönte Bloggerin hat nach Spiegel-Recherchen (€) eine jüdische Familiengeschichte erfunden – und in Yad Vashem auch falsche Opferdokumente eingereicht. Zeit Online (Glashaus-Blog) und Deutschlandfunk Nova tauchen dabei auch auf, weil die Bloggerin dort veröffentlicht hatte. Beim Tagesspiegel ist zu lesen: “Aufmerksam geworden auf die Hochstaplerin war laut Angaben des ‚Spiegel’ die Berliner Historikerin Gabriele Bergner, die sich gemeinsam mit einer Anwältin, einem Genealogen und einem Archivar über die Unstimmigkeiten in Hingsts Blogeinträgen ausgetauscht hatte.“

+++ “Innenminister Horst Seehofer hat nun angekündigt, den Entwurf nachbessern zu wollen.“ Erstmal ist das keine ganz unwichtige Information – hier aus der SZ – für die weitere Diskussion über das “Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“, von dem hier am Freitag ausführlich die Rede gewesen ist. Aber vorbei, schreibt Patrick Beuth bei Spiegel Online, sei “es erst, wenn die Bundesregierung den Entwurf komplett zurückzieht oder wenn sie unmissverständlich klarstellt, dass der Informantenschutz nicht angetastet wird“.

+++ Die SZ bespricht die Netflix-Serie “How to Sell Drugs Online (Fast)“, in der auch Bjarne Mädel mitspielt, der die Serie “meist unterhaltsam“ mache. Großes Interview mit ihm gibt es auch.

+++ Über das mediale “Kaffeesatzlesen“ rund um Nachrichten aus Nordkorea ärgert sich der Korea-Korrespondent der taz: “Natürlich weiß die Journalistenzunft, dass diese Gerüchteküche nicht mit seriöser Berichterstattung zu verwechseln ist. Doch viele Medien sind geradezu besessen von diesem Regime, das regelmäßig für Clickbait sorgt.“

+++ FAZ und Tagessspiegel schreiben über den “kürzlich vollständig wiederhergestellten“ Film “Die Stadt ohne Juden“ von 1924, den Arte zeigt.

+++ Die Süddeutsche Zeitung ruft Birgit Weidinger nach, die sich für die Zeitung unter anderem viele Jahre lang um Volontäre und Praktikanten gekümmert hat.

Frisches Altpapier gibt es am Dienstag.