1933–1945: Die Zeit des Nationalsozialismus Angst herrscht im Sender
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Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde die Einflussnahme der NSDAP auf den Rundfunk und seine Ensembles immer stärker spürbar. Führungspositionen wurden oft unter fadenscheinigen Gründen umbesetzt. Denunziation und Terror durchdrangen allmählich den Sender. Repressalien gegen Orchestermitglieder, interne Machtkämpfe und Rangeleien sowie Zensur waren zunehmend an der Tagesordnung.
Kontrolle durch die NSDAP
Der während der Weimarer Republik zur Kontrolle des Rundfunks vom Reichsinnenministerium installierte Überwachungsausschuss geriet bereits 1930 zunehmend unter den Einfluss der politischen Rechten. Beispiel einer ersten Zensur ist das Sendespiel "Der Minister ist ermordet" von Erich Ebermayer, dessen Ausstrahlung von den Nationalsozialisten in Thüringen bereits am 14. März 1930 verhindert wurde.
Wortgebundene Sendungen waren generell stärker dem politischen Einfluss unterworfen als die Musikprogramme, die jedoch zunehmend zu verflachen drohten. Die Nationalsozialisten hatten schnell erkannt, dass sich das neue Medium in Verbindung mit Musik bestens dazu eignet, Massen zu erreichen und sie zu beeinflussen. Das nutzten sie für ihre Zwecke.
Tod des Intendanten
Der MIRAG-Intendant Prof. Dr. Ludwig Neubeck gehörte nicht der NSDAP an. Er wurde im Sommer 1933 verhaftet und in einem offenen PKW als Gebrandmarkter öffentlich durch Leipzig gefahren: Bereits im April wurden gezielt Gerüchte verbreitet, er hätte zusammen mit Fritz Kohl, dem kaufmännischen Direktor der MIRAG, Gelder des Senders unterschlagen und in die eigene Tasche gewirtschaftet. Hauptgegenstand waren eine Lebensversicherung, in welche die MIRAG für ihn eingezahlt haben sollte, sowie Unstimmigkeiten bei Reisekosten-Abrechnungen. Während sich Neubeck vehement gegen diese Verleumdungen wehrte, erkannte Kohl die Ausweglosigkeit und wollte gleich ins Ausland fliehen, wurde dabei aber gefasst. Beide wurden als "Volksschädlinge" verfemt und inhaftiert. Neubeck überlebte die Haft nicht. Die offizielle Version: Er habe sich am 10. August 1933 im Gefängnis das Leben genommen. Sein Fall wurde nie richtig aufgeklärt.
Als Interims-Intendant stand bereits seit 1. Juli 1933 der frühere Frankfurter Sendeleiter, Musikwissenschaftler, Schauspieler und Journalist beim "Völkischen Beobachter" Carl Stueber der MIRAG vor. Goebbels bestätigt Stueber am 1. Juli 1934 endgültig im Amt. Er war der NSDAP bereits 1932 beigetreten. Unter seiner Leitung wurde den Mitarbeitern der MIRAG untersagt, an Neubecks Begräbnis teilzunehmen.
Fritz Kohl wurde im März 1934 freigesprochen, da ihm nichts nachgewiesen werden konnte. Er verließ noch am gleichen Tag Deutschland mit seiner Frau Elena Gerhardt. Die berühmte Liedsängerin, die am Leipziger Konservatorium unterrichtete, hatte die gemeinsame Flucht nach England gut vorbereitet. Sein Nachfolger wurde der linientreue Werner Schmidt zur Nedden, der als offizielle Funktionsbezeichnung lediglich "Prokurist" führte. Kurt Eggers wurde Sendeleiter und auf Alfred Szendrei folgte 1933 Hans Weisbach, der damals mit 1100 RM mit Abstand das höchste Gehalt in der MIRAG erhielt.
Während die neue, nationalsozialistische Führungsriege durch mehr Posten mit attraktiven Gehältern aufgestockt wurde, wurde die alte Führungsebene beschnitten und zurückgebaut. Die Einflussbereiche des ersten MIRAG-Vorstandsvorsitzenden Dr. Ernst Jaeger wurden ebenso Schritt für Schritt eingeschränkt wie auch die vieler anderer MIRAG-Verantwortlicher.
Alfred Szendrei erinnert sich an dessen Amtsenthebung 1929:
Dr. Jaeger war somit seiner Vorstandsfunktion enthoben. Man ließ ihm lediglich den Nachrichtendienst, eine ziemlich untergeordnete Tätigkeit im Vergleich zu seiner früheren Allmacht. Er muss die Degradierung sicher bitter empfunden haben, hat sich damit aber – unter dem Druck der Verhältnisse – scheinbar abgefunden, oder abfinden müssen. Jedenfalls war es ein trauriger Anblick, wie der ehemalige Allgewaltige sein Amtszimmer dem neuen Intendanten [Anm. gemeint ist Ludwig Neubeck] einräumen musste, selbst in einem kleinen Nebenraum untergebracht wurde, von wo er wegen jeder geringfügigen Entscheidung zu einem der Vorstände rennen musste, um dessen Zustimmung einzuholen.
Stühlerücken beim Sender
Linientreue Personalbesetzungen wurden systematisch vorbereitet und durchgeführt, um den Rundfunk schnellstmöglich zum Jahreswechsel 1933/34 gleichzuschalten. 1931 wurde Alfred Szendrei aufgrund seiner oppositionellen Haltung und im Zuge der Judenverfolgungen aus dem Amt gedrängt. Bis Hans Weisbach 1933 seine Chefdirigenten-Position übernahm, überbrückten die beiden MIRAG-Dirigenten Hilmar Weber und Theodor Blumer die Orchesterdienste.
Theodor Blumer kam vom Dresdner Nebensender und übersiedelte 1931 nach Leipzig. Nach dem der Sender 1928 umzog und seine Möglichkeiten erweiterte, erhoffte er sich bessere Entwicklungschancen in Leipzig. Theodor Blumer und Hilmar Weber dirigierten eine stattliche Zahl von Sende- und Sinfoniekonzerten. Sie traten gleich nach der Machtübernahme der NSDAP bei, so auch Werbeleiter Lothar Schneider, Tonmeister Hermann Ambrosius, Spielleiter Josef Krahé oder Emil Horath, der Chef des Dresdner Senders.
Viele Ängstliche, Mitläufer und Karrieristen taten es ihnen gleich und eine riesige Eintrittswelle stärkte bereits 1933 die NSDAP beträchtlich. Mehr als ein Drittel der Leipziger Sender-Belegschaft gehörte bereits 1934 der Partei an.
Drangsalierungen im Orchester
Orchestermitglieder, die der SPD oder KPD angehörten, waren Repressalien ausgesetzt. So gab es im Orchester eine NS-Betriebsgruppe, der eine siebenköpfige kommunistische Parteigruppe gegenüberstand. Ideologische und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen im Probenalltag und bei Sendeproduktionen machten das Arbeiten im Orchester immer schwieriger. Die Musiker Hans Hagen, Alfred Malige und der Orchesterwart Griebel gehörten zur KPD. Sie wurden am 10. März 1933 während einer Probe mit Carl Schuricht von einer größeren SS-Gruppe bedrängt und durchsucht. Nach heftigen Auseinandersetzungen wurden sie des Hauses verwiesen und fristlos entlassen. Am Folgetag ging es den übrigen kommunistischen Kollegen, die nicht zur Probe eingeteilt waren, nicht anders.