Das Archivbild vom 09.10.1989 zeigt eine Gruppe von Demonstranten mit einem Transparent, auf dem "Wir wollen keine Gewalt! Wir wollen Veränderungen!" zu lesen ist, bei der Montagsdemonstration in Leipzig.
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1958–1991: Die Ära Kegel Umwälzung im Rundfunk

Die Welt schaut auf Leipzig, den Ausgangspunkt der friedlichen Revolution von 1989, das Zentrum der Montagsdemonstrationen, auf denen es mit Macht durch die Straßen schallt: "Wir sind das Volk". Die Leipziger Nikolaikirche mit ihren Friedensgebeten wird zum Symbol für den Willen der Menschen, wieder in Freiheit und Demokratie zu leben.

Umwälzungen beim Rundfunk

Als Günter Schabowski in der denkwürdigen Pressekonferenz vom 9. November 1989 die Grenzen der DDR öffnete, setzte dies rasch eine Kette von Ereignissen in Gang, welche die Wiedervereinigung Deutschlands und die Auflösung der DDR bedeuteten.

Das Staatliche Komitee des Rundfunks und das Staatliche Komitee des Fernsehens, die als verlängerter Arm der SED beide Medien steuerten, wurden im Dezember aufgelöst, ebenso wie die Strukturen des Riesenapparates mit seinen 13.000 festangestellten Mitarbeitern. Ende Dezember wurde eine neue Zentralintendanz eingesetzt, die im Mai 1990 beschloss, das "Sachsen Radio" in Leipzig, Dresden und Chemnitz zu installieren. 

Sachsen Radio

Als die DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beitrat und ab 15. Oktober Rudolf Mühlfenzl, ehemaliger Fernseh-Chefredakteur beim Bayerischen Rundfunk, den aufgelösten DDR-Rundfunk in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in eine Anstalt des öffentlichen Rechts überführen sollte, war klar, dass Sachsen Radio nur eine Interimslösung sein würde.

Am 30. Mai 1991 ratifizierten die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, Gerd Gries und Josef Duchac den Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk, kurz MDR, mit Sitz in Leipzig. Am 7. Juli 1991 wird der 47-jährige Dr. Udo Reiter, vormals Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, vom Rundfunkbeirat zum Gründungsintendanten des MDR gewählt.

MDR nach NDR-Vorbild

Der MDR sollte nach dem Modell des NDR aufgebaut werden. Nach 1924 war es das dritte Mal, dass der Mitteldeutsche Rundfunk ins Leben gerufen wurde. Er ging am 1. Januar 1992 ans Netz. Damit verbunden waren immense strukturelle, personelle, technische und wirtschaftliche Veränderungen, die viele Menschen, natürlich auch die Musikerinnen und Musiker sowie Sängerinnen und Sänger der Rundfunk-Ensembles, stark verunsicherten.

Chefdirigent Pommer geht

Die Sorge vor Massenentlassungen und der Auflösung der Klangkörper war groß. Ein offener Brief der Leipziger Rundfunk-Ensembles warnte davor und setzte eine Sympathiewelle in Gang, auf die auch Star-Tenor Placido Domingo aufsprang und unterstützend an Lothar de Maizière schrieb, den ersten demokratisch gewählten und auch letzten Ministerpräsidenten der DDR, der früher Bratscher beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin war.

In der Saison 1990/91 boten Sinfonieorchester, Rundfunkchor und Radio Philharmonie fünf Konzertreihen im Gewandhaus, Sonderkonzerte und Kammermusik. Durch die neugewonnene Reisefreiheit reiste das Sinfonieorchester zu ersten Gastspielen nach Berlin, Kassel, Frankreich und Spanien.

Schwarz-Weiß-Foto Max Pommer und Karl Ottomar Treibmann mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester
Während der 9. Tage der Neuen Musik in Leipzig dirigierte Max Pommer die Uraufführung der 4. Sinfonie von Karl Ottomar Treibmann mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester im Gewandhaus. Bildrechte: Barbara Stroff

Für zusätzliche Verunsicherung sorgte auch Max Pommers Wechsel nach Saarbrücken. Sein letztes Konzert als Chefdirigent leitete er am 2. Juli 1991 in der Nikolaikirche. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch Daniel Nazareth bereits als Nachfolger gewählt. In den Programmen wurde trotzdem die Position zunächst noch unter N. N. geführt. Es unterzeichneten dafür in einem einmaligen Vorgang zwei Intendanten, nämlich Detlef Kühn für das Sachsen Radio und Udo Reiter für den MDR.

Auflösung der Ensembles?

Mit dem 1. Januar 1992 wurden Rundfunk-Sinfonieorchester, Rundfunkchor, das Große Rundfunkorchester, zuvor umbenannt in Radio Philharmonie Leipzig, wie auch der Rundfunk-Kinderchor vom MDR übernommen. Das Rundfunk-Blasorchester und das Rundfunk-Tanzorchester bzw. Radio Big Band Leipzig übernahm der MDR jedoch nicht. Sie lösten sich auf oder machten in eigener Regie außerhalb des MDR weiter. Das Rundfunk-Unterhaltungsorchester und das Große Rundfunkorchester wurden bereits in der 80er-Jahren fusioniert. Die Auflösung des populären Rundfunk-Blasorchesters löste starke Proteste in der Bevölkerung aus. Es lebt nicht mehr unter dem Dach des Rundfunks, aber als Sächsische Bläserphilharmonie in Bad Lausick weiter.

Damit zählten die MDR-Ensembles im Sommer 1992 insgesamt 174 Musikerinnen und Musiker sowie 75 Mitglieder beim Rundfunkchor, dem damals größten weltweit. Der ebenfalls übernommene Kinderchor ist bis heute der einzige der ARD. 

Schritte zurück zur Normalität

In der Saison 1991/92 wurden 18 Anrechtskonzerte von genau 17 Dirigenten geleitet. Das Europakonzert am 30. April 1992 wartete mit Beethovens 7. Sinfonie und der "Kantate für Europa" von Ennio Morricone in einer deutschen Erstaufführung auf und wurde zu einem internationalen Ereignis.

Die traditionsreichen Rathauskonzerte und die Konzerte für Neue Musik wurden wieder aufgelegt und zwar im S1, dem legendären Sendesaal des Funkhauses in der Springerstraße, während die Radio Philharmonie weiterhin mit der Konzertreihe "Zauber der Musik" das Publikum erfreute.