Schwarz-Weiß-Foto des Reichs Bruckner Chores unter Günther Ramin
Reichs Bruckner Chor unter Günther Ramin 1944, letztes Konzert in Leipzig. Bildrechte: Steffen Lieberwirth

1933–1945: Die Zeit des Nationalsozialismus Reichs-Bruckner-Orchester & Reichs-Bruckner-Chor

Das Reichs-Bruckner-Orchester und der Reichs-Bruckner-Chor sollten die Elite-Klangkörper des Großdeutschen Reichs-Rundfunks im Stift St. Florian bei Linz werden. Sie waren Ausdruck der nationalsozialistischen Gigantomanie, die sich in alle Lebensbereiche erstreckte – auch in die Musik.

Hitler verstand Linz als seine Heimatstadt und wollte sie mit großem Aufwand zu einer europäischen Kulturmetropole umgestalten. Dazu gehörten auch ein aktives und hochkarätiges Musikleben sowie ein ideologisch untermauerter Standort für den Großdeutschen Reichs-Rundfunk.

Bruckner-Kult

Hitler verehrte die klanggewaltige Musik seiner Lieblingskomponisten Richard Wagner und Anton Bruckner sehr. Bruckner wuchs unweit von Linz auf. Im Augustiner Chorherren-Stift St. Florian bei Linz durchlief er als 13-Jähriger eine intensive Entwicklung vom Chorknaben zum Lehrer und schließlich zum professionellen Musiker. In Linz war Bruckner Stiftsorganist, hier entstanden seine ersten Sinfonien, hier starb er. Linz war also prädestiniert, als die Bruckner-Weihestätte schlechthin aufgebaut zu werden.

Die Biografie des tief religiösen und heimatverbundenen Bruckners wurde dazu nach Vorstellungen der Nationalsozialisten für ihre Zwecke umgedeutet, seine Herkunft von Goebbels als "Spross eines alten Bauernstammes" bezeichnet und seine Musik als "urdeutsch" in die NS-Ideologie eingebunden. Ziel war es, einen Bruckner-Kult entstehen zu lassen, den man propagandistisch nutzen konnte und der den Standort des Großdeutschen Reichs-Rundfunks in St. Florian ideologisch legitimierte.

Glasmeier prescht vor

Es war Dr. Heinrich Glasmeier, der Hitlers gigantomanische Visionen um Linz und seine Bruckner-Verehrung aufgriff. Glasmeier war nach dem Ersten Weltkrieg als Archivar für diverse Adelshäuser in Westfalen tätig, wurde 1932 Mitglied der NSDAP und ein Jahr später Mitglied bei der SS. Am 24. April 1933 wurde er von Goebbels als Intendant des Kölner Senders eingeführt und schließlich 19. März 1937 zum Reichsintendanten des deutschen Rundfunks ernannt.

Der Rundfunk wurde jedoch Propagandaminister Goebbels als zentrales Propagandainstrument der Nationalsozialisten unterstellt. Damit schwanden Glasmeiers Einfluss und Befugnisse. Er flüchtete sich in den Plan, Linz zu einer europäischen Kulturmetropole umzuformen, St. Florian als Musikzentrum nach Bayreuther Vorbild aufzubauen, und ging dabei, von Hitler protegiert, zielstrebig und energisch vor.

Das Gesamtvermögen des Stifts wurde am 21. Januar 1941 auf Hitlers Weisung einfach beschlagnahmt und die Chorherren vertrieben. Mit Gauleiter August Eigruber wurde am 25. November 1942 vereinbart, dass St. Florian auf 99 Jahre an den Reichs-Rundfunk vermietet wird.

Glasmeier löste weiterhin alle deutschen Rundfunkchöre auf. An den Oberbürgermeister in Linz schrieb er am 18. September 1942: "Ich habe mit Wirkung vom 15. September alle Chöre des Rundfunks aufgelöst und bilde zur Zeit aus den besten und frischesten Kräften den neuen Bruckner-Chor von etwa 48 Stimmen. Nach Möglichkeit möchte ich diesen Chor zum 1. April 1943 nach Linz verlegen, damit er dort sowohl selbstständig als auch als Grundstock eines von Linzer Einwohnern zu bildenden Chores von rund 200 Stimmen wirken kann."

Elite-Klangkörper

Aber was wäre der Großdeutsche Reichs-Rundfunk ohne eigene Klangkörper? Hitlers Visionen entsprechend mussten es die größten und besten des Landes sein. Dazu wurden für das Reichs-Bruckner-Orchester auf Weisung Goebbels' am 1. April 1943 insgesamt 69 Spitzenmusiker aus sechs großen Rundfunkorchestern nach Linz abkommandiert.

Zielgröße war, ein Orchester aufzubauen, das sich in Größe und Qualität mit den Berliner und Wiener Philharmonikern messen konnte. Darunter waren etliche Musiker des 1941 aufgelösten Leipziger Sinfonieorchesters, die zum Teil zum Reichsender München entsandt und von da aus teils nach Linz weiter befehligt wurden.

Zunächst nannte es sich "Bruckner-Orchester St. Florian des Großdeutschen Rundfunks" und trat nach einer ersten Einspiel- und Probezeit erstmalig am 20. April 1943, Hitlers 54. Geburtstag, auf. Es spielte noch bis kurz vor Kriegsende, letztmalig am 1. April 1945, und trat vorwiegend in St. Florian, Linz, Salzburg und Wien auf.

Hitler wünschte 1944 das Orchester in "Linzer Reichs-Bruckner-Orchester des Deutschen Rundfunks" zu benennen. Es sollte die symphonische Musik des Großdeutschen Rundfunks spielen, bei Bruckner-Festen beteiligt werden, im In- und Ausland gastieren und der Stadt Linz mit einem gewissen Kontingent für regionale Veranstaltungen zu Verfügung stehen.

Aufbauarbeit in Leipzig

In Leipzig sollte Thomaskantor Günther Ramin, als einer der profiliertesten Chorexperten seiner Zeit, den Reichs-Bruckner-Chor aufbauen. Hierzu fanden schon im Dezember 1942 und im Januar 1943 mehrere Vorsingen in Ramins Leipziger Privatwohnung statt. Zusammen mit seinem Assistenten Johannes Rietz und einem zunächst 48-köpfigen Vokalensemble, dem viele Mitglieder des Leipziger Rundfunkchores angehörten, machte sich Ramin ab dem 2. März 1943 für knapp ein Jahr an die Aufbauarbeit.

An Hitlers 54. Geburtstag am 20. April 1943 trat der Chor, wie auch das Reichs-Bruckner-Orchester, erstmals öffentlich auf und siedelte dann später mit insgesamt 77 Sängerinnen und Sängern nach Linz über, wo das Ensembles weiter von Johannes Rietz und von dem Weimarer Organisten Michael Schuster künstlerisch betreut wurde.

Insgesamt sind vier Konzerte des Reichs-Bruckner-Chores unter Ramins Leitung in Leipzig nachweisbar:
1. Konzert am 10. Juni 1943 ausschließlich mit Werken von Bruckner;
2. Konzert am 6. November 1943 mit Werken von Bruckner, Gesualdo und Ernst Pepping;
3. Konzert am 2. Dezember 1943 mit Werken von Hermann Simon, Hans Pfitzner und Max Reger, unterstützt vom Gewandhausorchester;
4. Konzert am 23. Februar 1944 mit dem Verdi-Requiem in der Thomaskirche, mit dem sich Ramin vom Reichs-Bruckner-Chor verabschiedete. Das ursprünglich als Aufführungsort vorgesehene Gewandhaus fiel drei Tage zuvor einem Bombenangriff zum Opfer.

"Plünderung" der Sender

Um die im Aufbau befindlichen zukünftigen Ensembles mit Notenmaterial auszustatten, sollten die Bestände der aufgelösten Sender in Leipzig und Köln nach Linz geschafft werden und als Grundstock für eine beeindruckende Notensammlung dienen.

Ganz gleich, ob Rundfunkchöre oder Orchester noch arbeiteten oder bereits stillgelegt waren, mussten sie die neuen Bruckner-Klangkörper "speisen": Material und Leistungsträger wurden abkommandiert, sodass die noch aktiven Ensembles in kürzester Zeit nicht mehr spielfähig waren.

Goebbels wollte nur drei Rundfunkorchester erhalten. Die gewaltigen Umverteilungen mitten im Krieg ließen selbst Parteiverantwortliche an der Richtigkeit des Vorhabens zweifeln. Auch wuchs der Unmut in den Orchestern selbst. Goebbels lenkte schließlich ein und wollte die Rundfunkorchester durch das Anwerben ausländischer Musiker erhalten und ihre Spielfähigkeit wieder herstellen.

Gastdirigenten

Alles war auf groß, gewaltig und weihevoll angelegt. Die Musiker, Sänger und Sängerinnen der zukünftigen Elite-Ensembles wurden an Bruckners Sarkophag mit religiösem Ernst von Glasmeier im Abtsgewand vereidigt. Doch der erhoffte Ruhm blieb aus, weil kein bedeutender deutscher Dirigent beim Reichs-Bruckner-Orchester bleiben wollten. Es gab eine Reihe renommierte Gastdirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Clemens Krauss, Hans Knappertsbusch, Karl Böhm, Joseph Keilberth, Carl Schuricht. Besondere Hoffnungen setzte man auf den jungen Herbert von Karajan, der damals als einer der besten Bruckner-Interpreten galt. Aber keiner konnte gehalten werden. Stattdessen war Georg Ludwig Jochum von 1940 bis 1945 Generalmusikdirektor und dirigierte zudem das Linzer Sinfonieorchester, das eingebunden werden sollte. Jedoch war sein künstlerisches Profil weniger passend, um Orchester und Chor zu wirklich musikalischer Größe reifen zu lassen.

Strohfeuer

Schließlich wurde das halbe Orchester zu Kriegseinsätzen einberufen. Der verbliebene Rest spielte hauptsächlich bei Lazarett- und Wehrmachtskonzerten. Bezüglich der Lazarett-Konzerte ist erwähnenswert, dass der stillgelegte Leipziger Sender am 25. September 1942 noch einmal kurzzeitig reanimiert wurde. Ein Konzert, dem über 800 Verwundete aus Leipziger Lazaretten beiwohnten, wurde aufgezeichnet und am 13. Oktober 1942 unter dem Titel "Leipzigs Sendung: Aus der Welt der Oper" gesendet. Die Arien von Wagner, Verdi, Mozart und Beethoven spielte jedoch kein Rundfunkorchester, sondern das Gewandhausorchester unter Paul Schmitz mit Solisten der Leipziger Oper. Es blieb die letzte nachweisbare Produktion des Leipziger Senders vor 1945.

Zum Ende des Krieges war das Reichs-Bruckner-Orchester heimatlos geworden. Das amerikanische und englische Hauptquartier vereinbarten untereinander, die verbliebenen Musiker nach Hamburg zu schicken. Ähnlich auch der Reichs-Bruckner-Chor, von dem ein Teil in Linz blieb, ein Teil nach Stuttgart wechselte und manche auch nach Leipzig zurückkehrten.