Schwarz-Weiß-Foto von Gerhart Wiesenhütter mit dem Leipziger Sinfonieorchester im großen "S1".
Der große "S1" mit dem Leipziger Sinfonieorchester im Mai 1948 bei einer Aufnahme mit Gerhart Wiesenhütter am Pult. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

1945–1958: Neuanfang und Wiederaufbau in der DDR Neubeginn nach dem Krieg

Leipzig war nach dem Krieg durch insgesamt zwei Dutzend Luftangriffe etwa zu 40 bis 60 Prozent zerstört. Im Mai 1945 waren alle Theater und Konzertsäle, einschließlich ihrer Instrumenten-Depots und Noten-Archive, vernichtet oder so stark beschädigt, dass sie unbrauchbar wurden. Nur einige Kirchen und der große Saal des CAPITOL-Kinos standen noch und waren die ersten Orte, an denen in Leipzig wieder öffentlich musiziert wurde.

Mit den Dirigenten Fritz Schröder, Heinrich Schachtebeck, Gerhart Wiesenhütter und schließlich mit Hermann Abendroth wurde die Wiederaufbauphase nach dem Krieg erfolgreich eingeleitet.

Schwierige Startbedingungen

Die Rahmenbedingungen nach dem Krieg waren für die Orchesterproben mehr als dürftig. Fast alle orchestereigenen Instrumente wie z. B. Harfen oder Pauken waren in den Kriegswirren verlorengegangen. Bei einem schweren Bombenangriff am 20. Februar 1944 gingen die zwischengelagerten Kontrabässe und Notenpulte im Gewandhaus in Flammen auf. Der Notenfundus der MIRAG, der sich noch im Sendehaus "Markt 8" befand, wies riesige Lücken und Beschädigungen auf und an Ersatz war nicht zu denken. Doch die im Frühjahr 1941 durch Goebbels aufgelösten Rundfunk-Klangkörper sollten wieder fester Bestandteil in einem vielfältigen öffentlichen Leipziger Kulturleben werden.

Was mit zwölf Musikern im Juli 1945 in Leipzig angefangen hatte, sollte sich in weniger als fünf Jahren auf insgesamt 245 Musiker und sieben rundfunkeigene Ensembles steigern.

Zum Rundfunk-Sinfonieorchester (90 Planstellen) kamen weitere Ensembles hinzu:
Großes Rundfunkorchester (50 Planstellen)
Rundfunkblasorchester (30 Planstellen)
Rundfunk-Tanzorchester (17 Planstellen)
Rundfunk-Unterhaltungsorchester (18 Planstellen)
Rundfunkchor (40 Planstellen)
Rundfunk-Kinderchor

Zum Vergleich: In Berlin leistete sich der Rundfunk der DDR 406 Musiker. In Leipzig hatte Musik einen hohen Stellenwert, etwa 40 Prozent der gesamten Musikproduktion der DDR stammten aus Leipzig.

Erste Proben des LSO

Fritz Schröder, Kapellmeister und Orchestersekretär, stellte sich der Mammutaufgabe und schrieb mit großer Beharrlichkeit und detektivischem Spürsinn an die Rückkehrer aus Krieg und Gefangenschaft. Es gelang ihm, beim amerikanischen Kommandanten eine Genehmigung zu einer ersten Orchesterprobe mit anfänglich zwölf Personen zu erwirken. Nach Bekanntwerden des Termins fanden sich noch weitere, orchesterfremde Musiker ein, sodass die Probe mit 19 Musikern unter Schröders Leitung abgehalten wurde.

Fritz Schröder war als neuer Orchestegeschäftsführer nicht nur rührig, sondern auch sehr hartnäckig. Es gelang ihm, als Kapellmeister insgesamt zehn Proben selbst zu leiten. Ende Juli konnte er bereits 35 Orchestermusiker vereinen, wie Anwesenheitslisten belegen, und er konnte die Probenzahl im August auf insgesamt siebzehn erhöhen.

Erstes Konzert

Am 18. August 1945 war es dann soweit: Der erste öffentliche Auftritt des Sinfonieorchesters fand im Schützenhaus in Taucha statt. Fritz Schröder stand am Pult. Auf dem Programm: Mozarts "Kleine Nachtmusik", Josef Haydns "Oxford-Sinfonie", Mendelssohns "Sommernachtstraum" und Tschaikowskis "Capricco italien". Für diese Werke gab es noch die kompletten Notensätze. Weitere Konzerte folgten bis Oktober.

Alte Verträge, neuer Sendername

Aber anfänglich war alles noch unsicher: Name, Rechtsform, Auftrittsverpflichtungen, Spielorte, Probenräume, Notenmaterial, Instrumente, ja auch die personelle Ausstattung. Viele Musiker, die in der Fremde eine Anstellung fanden, waren sich unsicher, ob sie wieder nach Leipzig kommen sollten. Manche Musiker sahen sich durch eine lähmende Kriegsdepression zur Tatenlosigkeit verurteilt.

Die Verträge der Musiker waren auch nach Auflösung des Senders 1941 noch bis auf Widerruf gültig. Die Ensemblemitglieder, die in der Endphase des Krieges auf andere Sender oder das Reichs-Bruckner-Orchester bzw. den -Chor umverteilt worden waren, waren offiziell immer noch in Leipzig beschäftigt. Erst Ende September 1945 wurden ihre Verträge rückwirkend ab dem 8. Mai 1945 für ungültig erklärt. Gleichzeitig wurde auch der Reichsender Leipzig in "Radio Leipzig" umbenannt.

Wie sorgfältig gepflegte Statistiken belegen, gewann der Probenbetrieb wieder an Kontinuität. Das Vorhaben, wieder an die Leistungen der Vorkriegszeit anzuknüpfen, sprach sich herum. Das Interesse der Musikerszene am wieder aufstrebenden Leipziger Sinfonieorchester war geweckt und es wurde mit Stellenanfragen überhäuft. Im November 1945 wuchs das Orchester auf 46 Musiker an. Viele Positionen wurden nach strengen Probespielen neu besetzt.

Viele Namen für ein Orchester

Die Bezeichnung des Orchesters wechselte 1945 ständig. Innerhalb etwa eines Monats erhielt das Sinfonieorchester fünf verschiedene Namen:

1. Mitglieder des Funkorchesters Radio Leipzig (16.08.)
2. Großes Sinfonieorchester Radio Leipzig – Orchester der antifaschistischen Musikerschaft (07.09.)
3. Großes Leipziger Symphonie-Orchester (16.09.)
4. Funkorchester Radio Leipzig (20.09.)
5. Großes Orchester Radio Leipzig (27.09.)

Am 19. Oktober 1945 tagte erstmals der neue Orchesterbetriebsrat, um in einem Gesellschaftervertrag das zukünftige Zusammenwirken der "Vereinigung selbständiger Musiker" zu regeln, etwa den Umgang mit Auszahlungen, Spesen und Steuerbescheinigungen. Dieses Betreibermodell gab es schon 1923, bot aber wie damals keine Sicherheiten für die Musiker. Überhaupt erinnerte vieles an die einstige Gründungsphase und so lag es nahe, auch am alten Namen "Leipziger Sinfonieorchester" festzuhalten.

Die Anzahl an Konzerten wuchs im Herbst 1945, dennoch stand das Leipziger Sinfonieorchester auf tönernen Füßen. Der Plan für mehr Sicherheit war: mehr Auslastung zu generieren, fördernde Zuwendungen der Stadt Leipzig zu erhalten, einen ständigen Probenraum sicherzustellen und das Leipziger Sinfonieorchester zu einem unverzichtbaren strategischen Partner der Stadt und der Oper auszubauen.

Unruhige Zeiten

Zeichnung des Dirigenten Heinrich Schachtebeck
Prof. Heinrich Schachtebeck (1886-1965). Hier in einer Zeichnung von 1946. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Heinrich Schachtebeck, ein hochverdienter Geiger und Kammermusiker, war im Sommer 1945 über seine Violinprofessur hinaus bereits im Gespräch, zukünftiger Direktor des Leipziger Musikkonservatoriums zu werden. Er wurde im September 1945 für nur kurze Zeit Interimschef des Leipziger Sinfonieorchesters, zuerst mit Fritz Schröder gemeinsam, dann übernahm er ab 1946 für ein halbes Jahr allein das Amt, um Schröder zu entlasten.

Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Gerhart Wiesenhütter
Gerhart Wiesenhütter (1912-1978)  Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Als Schachtebeck als Direktor ans Konservatorium ging, folgte ihm im Sommer 1946 Gerhart Wiesenhütter als musikalischer Oberleiter. Er baute das Leipziger Sinfonieorchester in kürzester Zeit zu einem A-Orchester auf, das mit seinem warmen, vollen Streicherklang Publikum wie Presse bezauberte. Der hochtalentierte junge Dirigent geriet jedoch mit der SED aneinander und wurde letztlich ohne triftigen Grund diffamiert und 1948 entlassen. Auf ihn folgte 1949 Hermann Abendroth, nachdem sich für die Interregnums-Zeit eine große Zahl an Gastdirigenten vorgestellt hatte.

Entnazifizierung

Mit dem Wiederaufbau wurden NSDAP-nahe Musiker auch in Leipzig ersetzt. Der damalige Kulturamtsleiter Hartig verteidigte die umstrittene Idee, dass die unbelasteten Musiker des Leipziger Sinfonieorchesters an das Gewandhaus "abgegeben" werden sollten.

Gemälde von Heinrich Schachtebeck mit dem Leipziger Sinfoninieorchester vor dem Gohliser Schlösschen
Heinrich Schachtebeck mit dem Leipziger Sinfoninieorchester am 12. Juni 1946 vor dem Gohliser Schlösschen in einem Gemälde eines unbekannten Malers. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Die Leipziger Stadträte erkannten nur langsam, dass die Orchesterlandschaft der Stadt neu gestaltet werden musste. Das Leipziger Sinfonieorchester stand immer noch als Einspringer-Orchester zur Debatte. Das Orchester signalisierte seine Bereitschaft, alle städtischen Dienste zu übernehmen: Operndienste, städtische Konzerte und Auftritte bei kommunalen Feiern. Die Zusammenarbeit erfolgte mit den institutionellen Leitern und den jeweiligen Betriebsräten, aber unter dem unbedingten Erhalt der Eigenständigkeit des Leipziger Sinfonieorchesters.

Aufbau stabiler Verhältnisse

Den Anfang machte der Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, am 21. Dezember 1945 Radio Leipzig in das Sendenetzwerk zu integrieren. Für das Leipziger Sinfonieorchester musste nun eine tragfähige finanzielle Basis gefunden werden. Anfänglich wurde es durch die Städtischen Bühnen, also durch Oper und Schauspiel, zu insgesamt 28 Vorstellungen verpflichtet. Angesichts der Erfolgs dieser ersten Zusammenarbeit wurde es von der Stadt bis zum Ende des Jahres für 40 Vorstellungen, dann bis ins Frühjahr 1946 hinein für 69 Vorstellungen engagiert.

Bald wurden die "Volkskonzerte" ins Leben gerufen, so genannte Abstecher-Konzerte, bei denen das Orchester an wechselnden Orten im weiten Leipziger Umland spielte. Durch den Abstecher-Betrieb gelang es, zusätzlich regelmäßige Einnahmen zu erzielen, die die Finanzierung aller Mitglieder, sogar inklusive 14 Tage Urlaub, erlaubte. Dieser erste Schritt zu mehr Sicherheit entband die Musiker von dem Zwang, durch privates Unterrichten oder Auftreten Geld hinzuverdienen zu müssen. Von August 1945 bis Juli 1946 kamen knapp 100 Konzerte zusammen. Die Hauptveranstalter waren städtische bzw. kommunale Kulturämter, Konzertdirektionen, die Volkssolidarität und der Kulturbund. Ein kleiner Teil entfiel auf Kirchenkonzerte (12) und auf geschlossene Veranstaltungen von Partei bzw. Gewerkschaft (12). Das Leipziger Sinfonieorchester spielte u. a. in Kinos (Capitol), in großen Gaststätten, im Volkshaus Markranstädt, im Gotthardsaal Merseburg und im Bürgergarten Wurzen.

Programmkonzeption mit Sparzwang

Das Konzertrepertoire beschränkte sich auf den reduzierten Notenbestand. Neubeschaffungen waren zu dieser Zeit noch nicht möglich. Dennoch enthielt der Fundus einige der großen Sinfonien von Mozart und Beethoven, Werke von Tschaikowski, Schubert, Mendelssohn, Weber, Haydn, Brahms und Bruckner, die zur Aufführung gelangten. 

Werke des 20. Jahrhunderts spielten zu dieser Zeit keine Rolle – einerseits mangels Noten, andererseits waren diese tantiemenpflichtig und verursachten Kosten, die es zu minimieren galt. Es wurden auch gern Dirigenten und Solisten aus Leipzig verpflichtet, um Reisekosten einzusparen. Gleichzeitig suchte man durch eine konventionelle Programmgestaltung eine möglichst hohe Publikumsauslastung zu erzielen. Kurzum: man vermied Experimente.

Das Orchester erhielt aufgrund seines zunehmend homogeneren Klangbildes immer bessere Kritiken und lobende Kommentare. Im Januar 1946 wurde es von der Mitteldeutschen Rundfunkgesellschaft für zwei Probeaufnahmen verpflichtet und im Juni 1946 kam es in der Kongresshalle zu weiteren Konzertaufzeichnungen.

In der Leipziger Volkszeitung vom 24. Mai 1946 beschreibt Richard Petzold noch einmal die Situation:

"Das Leipziger Sinfonie-Orchester hat mit der Heranführung neuer Hörerschichten an das gewaltige europäische Musikerbe eine herrliche Aufgabe bekommen. Mit Volkssymphoniekonzerten, als deren Träger der FDGB [Freier Deutscher Gewerkschaftsbund] und die Konzertdirektion Jost sich bisher abwechseln, steht es keineswegs im Schatten des Gewandhauses, sondern hat es seine eigene Sendung zu erfüllen. Es ist klar, dass die Vortragsfolgen solcher Veranstaltungen das Experiment vermeiden, um durch einen allgemein gehaltenen Sammelbegriff wie 'Musik im Frühling' oder durch die großen Namen der Komponisten und Solisten das noch immer bestehende Misstrauen vor der Symphonie, vor der ‚Opus-Musik‘, zu zerstreuen. Bei der Auswahl der Konzertstücke spielten auch finanzielle Aspekte eine Rolle: Ein voller Saal, ein begeistertes Publikum – und die Chancen für das Orchester auf ein Folgeengagement standen gut.

Davon abgesehen dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass die Veranstalter den ohnehin schmalen Etat nicht mit zusätzlichen Aufwendungen für tantiemenpflichtige Werke belasten wollten (oder konnten). Solisten und Gastdirigenten kamen im Wesentlichen aus Leipzig und Umgebung. So wurden die Kirchenkonzerte ausschließlich von den jeweiligen Kantoren geleitet. Otto Didam organisierte eine Konzertreihe in Wurzen, deren vier Konzerte er selbst dirigierte.

Als Gäste konnte das Leipziger Sinfonieorchester altbewährte Partner bei chorsinfonischen Werken begrüßen: Es musizierte u. a. gemeinsam mit Günther Ramin und dem Thomanerchor, mit Hans Stieber und der Leipziger Singakademie, mit dem Riedel-Chor unter Heinrich Fleischer sowie Otto Didam (Neue Leipziger Singakademie und Leipziger Männerchor). Die Aufführungen an den Städtischen Bühnen leiteten vor allem GMD Paul Schmitz, Helmut Leo und Gerhard Lenssen. Unter den Solisten finden sich Gewandhauskonzertmeister Kurt Stiehler, die Altistin Lore Fischer, der Tenor Gert Lutze, die Sopranistin Philine Fischer und der Pianist Hugo Steurer."

Mitteldeutsche Rundfunkgesellschaft

Am 20. November 1945 wurde in Dresden die Mitteldeutsche Rundfunkgesellschaft gegründet. Die Frage, ob Leipzig als weiterer Sendestandort zwischen Berlin und Dresden wieder aufgebaut werden sollte, wurde durch einen Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland am 21. Dezember 1945 beantwortet: Leipzig sollte in das Sendenetzwerk integriert werden.

Umbau des Funkhauses

Parallel zu den erfreulichen Entwicklungen bei der künstlerischen Arbeit des Orchesters nahmen die Umgestaltungsarbeiten im Areal des Funkhauses Springerstraße, im Hinterhof der ehemaligen Barmenia-Versicherungen, konkrete Formen an. Dort entstand nach 23 Jahren die neue Heimat des Senders.

Zudem wurde ein neuer Sendesaal, der sogenannte S1, quasi das neue "Wohnzimmer" des Orchesters, eingerichtet. Im Frühsommer bekundete auch der Sender Interesse am Leipziger Sinfonieorchester, was schließlich zur Übernahme und Festanstellung der Musiker sowie zu einer beeindruckenden Verstärkung des Musikerstammes führte.