1924–1933: Vorgeschichte und Gründung 1928: Konzerte ohne Dirigenten
Hauptinhalt
Die vier Konzerte ohne Dirigenten, die das Leipziger Sinfonieorchester 1928 und 1929 in Leipzig und auch Berlin veranstaltete, waren damals eine absolute Sensation. Sie wurden zum Stadtgespräch. In der Alberthalle, die 3000 Plätze umfasste, waren sie restlos ausverkauft. Die Konzerte ernteten frenetischen Applaus und wurden in der Presse gefeiert.
Sie blieben in der 100-jährigen Geschichte des Orchesters eine kurze, kuriose Episode. Diese Einzelerscheinung löste in der Entwicklung des Orchesters einen starken künstlerischen Schub aus. Dieser zeigte sich im Zusammenspiel, im gemeinschaftlichen Klangempfinden mit seinen dynamischen und agogischen Nuancen und, heute würde man sagen, im achtsamen Umgang miteinander.
Das Wichtigste: Diese Fortschritte wurden auch vom damaligen Publikum wahrgenommen und dankbar anerkannt.
Vorbild aus Moskau
Ganz neu war die Idee nicht. 1922 wurde sie bereits vom sowjetischen PERSIMFANS (russische Abkürzung für "Erstes Sinfonisches Ensemble") geboren und bis 1932 weitergeführt. Hierzu musizierten Top-Solisten aus verschiedenen sowjetischen Orchestern zusammen und sorgten für Furore in den europäischen Konzertsälen. Der beiderseitige Kontakt der Leipziger und Moskauer Musiker war freundschaftlich und sehr anerkennend.
Der Geiger Alfred Malige erinnerte sich, warum man in Leipzig die Idee adaptierte. Er berichtet davon, dass die Musiker damals nur einen Ein-Jahres-Vertrag erhielten. Um diesen zu ergattern, war ein jährliches Probe-Vorspiel ausschlaggebend. Dabei waren die spontanen Entscheidungen des Musikchefs Alfred Szendrei gefürchtet. Die Interessenvertretung der Musiker, ein dreiköpfiges Gremium, dem Malige bis 1932 angehörte, setzte sich für eine Absicherung und möglichst geringe Fluktuation der Musiker ein.
Absicherung der Musiker
Eine Pensionskasse sollte aufgebaut werden, mit der man die Musiker unterstützen und längerfristig an das Orchester binden wollte. Dazu sollte Grundkapital aufgebaut werden, das man über Benefizkonzerte ansammeln wollte. Das war damals allerdings schwierig.
Die gesamtdeutsche Wirtschaftslage war durch die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges, der damit verbundenen Inflation, Rezession und hohen Arbeitslosigkeit stark angespannt. Fast alle damaligen Konzerte waren daher nicht auskömmlich und das Einzahlen monatlicher Beiträge seitens der Musiker wenig aussichtsreich.
Idee mit Anlaufschwierigkeiten
Etwas Einmaliges, Ungewöhnliches und Aufsehenerregendes musste also gefunden werden, um die Alberthalle in Leipzig mehrmals mit Publikum zu füllen: Konzerte ohne Dirigenten!
Bei den Musikern hielt sich die Begeisterung anfänglich in Grenzen und stieß zunächst sogar auf Ablehnung, denn für ein präsentables Klangergebnis war der Probenaufwand hoch und neben den normalen Orchesterdiensten kaum zu leisten. Erst als der Konzertmeister und die Stimmführer vermittelten, kam es zu einer Probe, die hervorragend funktionierte, sodass ein Mehrheitsbeschluss der Musiker zu einem einmütigen "Ja" für dieses neue Konzertformat führte.
Auf dem Programm standen anfänglich nur Beethoven Kompositionen, genauso wie schon beim Moskauer Sinfonieorchester 1922. Die Moskauer gaben den Leipzigern übrigens den Tipp, ihre Sitzformation kreisförmig aufzustellen, um sich mit Blicken besser verständigen und generell differenzierter wahrnehmen zu können.
Öffentliche Debatte & Finale
Die Dirigenten, allen voran Chefdirigent Alfred Szendrei, enthielten sich trotz der enormen Erfolge eines Kommentars, wurden sie doch als Orchestererzieher und Klangbildner in Frage gestellt. Keines der Konzerte wurde daher durch die Dirigenten unterstützt. Das löste wiederum eine öffentliche Debatte aus, die sich gegen das Pultvirtuosentum und Primadonnentum der Orchesterlenker richtete.
Am 29. April 1929 fand das letzte Konzert ohne Dirigent statt. Die Motivation war bei den Musikern etwas gesunken. Ihr Ziel, ein auskömmliches finanzielles Fundament für den Pensionsfond zu schaffen, erreichten sie nicht, stattdessen saßen ihnen die Probe-Vorspiele bei Szendrei im Nacken, die bei den Musikern Priorität vor den gemeinschaftlichen Proben hatten. Es blieb bei insgesamt vier Aufführungen ohne Dirigenten.