1945–1958: Neuanfang und Wiederaufbau in der DDR Immer jung: Rundfunk-Kinderchor
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Immer jung: Rundfunk-Kinderchor
2023 feierte der MDR-Kinderchor sein 75-jähriges Jubiläum. Das 180-köpfige Ensemble ist der einzige Kinderchor in der Trägerschaft der ARD. Bei der Neugründung des MDR 1992 wurde er übernommen. Einzigartig ist er auf Grund der Anzahl an Sängerinnen und Sängern, seiner stilistischen Vielfalt, und der frühzeitig beginnenden Stimmbildung. Schon Kinder ab drei Jahren werden behutsam an das Singen herangeführt, und sie entwickeln sich im Laufe der Zeit durch die spielerische wie durch nach und nach fordernde Chorarbeit zu eigenen Persönlichkeiten.
Der Kinderchor ist nicht nur ein großer Sympathieträger, sondern ein generationenübergreifender Brückenbauer. Der Rundfunk-Kinderchor war von Anfang an eine unverzichtbare einzigartige musikalische Kraft im Sendebetrieb.
Doppel-Geburtstag
Am 21. Juni 1948 wurde der Chor von Dr. Hans Sandig (1914–1989) gegründet. Das Datum ist tatsächlich auch Sandigs Geburtstag. Dass mit diesem Doppel-Geburtstag aus der anfänglich kleinen Jugendchorgruppe einmal ein so stattliches Ensemble werden würde, hätte damals niemand geahnt.
Hans Sandig leitete die Geschicke des Chores über 40 Jahre lang, bis zu seinem Tod am 23. September 1989. Er hatte viele Ideen, hohe künstlerische Ansprüche und ein Gespür für junge Leute, sodass erste Aufnahmen, Tourneen und die Einbindung des Chores in größere Musik-Produktionen rasch folgen konnten. Hans Sandig prägte das Profil des Rundfunk-Kinderchores nachhaltig. Gunter Berger (1990–2011), Ulrich Kaiser (2012–2017) und aktuell Alexander Schmitt (seit 2018) entwickelten den Chor basierend auf Hans Sandigs Fundament weiter, passten die Chorarbeit an die Zeit an und bauten das Repertoire, neue Formate und spannende Kooperationen weiter aus.
Sandig, der Beständige
Allein in der Zeit unter Sandigs Leitung änderte sich der Name des Kinderchores mehrfach: aus "Rundfunkjugendchor Leipzig" wurde "Jugendchor des Staatlichen Rundfunkkomitees", dann "Radio-DDR-Jugendchor" und schließlich bis kurz vor seiner Übernahme durch den MDR "Rundfunkkinderchor Leipzig". Bei allem Wandel, einer blieb immer beständig: Hans Sandig.
Der gebürtige Leipziger studierte Musikwissenschaft, Psychologie und Komposition und promovierte 1938. Das waren beste Voraussetzungen für seine vielfältigen Aufgabenfelder, die er seit 1948 als Musikreferent und gleichzeitig als Chorleiter beim Rundfunk zu betreuen hatte.
Schon in den Anfangsjahren wuchs das Repertoire des Kinderchores rasch und reichte bald von Kinder- und Volksliedern bis hin zu sakralen wie weltlichen Chorwerken aller Epochen. Mit diesem "musikalischen Schatz" war das junge Ensemble im gesamten mitteldeutschen Sendegebiet in Kirchen, Festsälen, Konzerthallen, Schulen oder open-air unterwegs und teilte ihn mit Jung und Alt.
"Sind die Lichter angezündet"
Der Kinderchor wirkte von Anfang an regelmäßig in Rundfunk-Reihen wie "Sing mit uns" oder in der TV-Sendung "Zwischen Frühstück und Gänsebraten" mit. So startete "Sing mit uns" gleich nach Gründung im Sommer 1948 wöchentlich. Hier konnten die Hörer Lieder lernen und mitsingen.
"Zwischen Frühstück und Gänsebraten" war die DDR-Kult-Sendung zum ersten Weihnachtstag, in der Weihnachtslieder mit dem Kinderchor und viele Showelemente mit Fernseh-Prominenten zu hören und zu sehen waren. Sie wurde von 1957 bis 1991 gesendet.
Speziell in Weihnachtskonzerten durfte – und darf bis heute – Hans Sandigs Komposition "Sind die Lichter angezündet" nicht fehlen. Sie entstand 1950 nach einem Gedicht der Kinderbuchautorin Erika Engel und war dem Rundfunk-Kinderchor gewidmet.
Sandigs Vertonung wurde zu einem der populärsten Weihnachtslieder in der DDR und Motto der traditionellen Weihnachtskonzerte in Leipzig. 1957 wurde es erstmals für eine Eterna Schallplatte aufgenommen.
Liedtext "Sind die Lichter angezündet" (Gedicht "Weihnachtsfreude" von Erika Engel)
1. Sind die Lichter angezündet,
Freude zieht in jeden Raum;
Weihnachtsfreude wird verkündet
Unter jedem Lichterbaum.
Leuchte, Licht, mit hellem Schein,
überall, überall soll Freude sein.
2. Süße Dinge, schöne Gaben
gehen nun von Hand zu Hand.
Jedes Kind soll Freude haben,
jedes Kind in jedem Land.
Leuchte, Licht, mit hellem Schein,
überall, überall soll Freude sein.
3. Sind die Lichter angezündet,
rings ist jeder Raum erhellt;
Weinachtsfriede wird verkündet,
zieht hinaus in alle Welt.
Leuchte, Licht, mit hellem Schein,
überall, überall soll Friede sein.
Intensive Chorarbeit
Sandig schrieb für "seinen" Chor zudem zahllose Lieder und Arrangements, auch Kantaten (wie zum Beispiel "Besuch im Zoo"). Oft brachte er diese noch ganz "frisch aus der Komponierstube" zu den Proben mit, um sie für Radio- und TV-Produktionen oder auch für Konzerte mit dem Rundfunkchor und dem Rundfunk-Sinfonieorchester einzustudieren.
Neben den Konzerttätigkeiten im In- und Ausland waren aber auch besonders Schulkonzerte in Leipzig direkt vor Ort wichtig, um junges Publikum live zu begeistern und um eventuell später den einen oder anderen als aktives Mitglied im Kinderchor begrüßen zu können.
Übrigens waren einige prominente Künstler ganz anderer Sparten für einige Zeit Mitglieder des Rundfunk-Kinderchores, etwa der Kabarettist Tom Pauls, die Schriftstellerin, Journalistin und Moderatorin Else Buschheuer oder Liedermacher Norbert Bischoff.
Effektives System
Die Kinder und Jugendlichen werden in einem ausgetüftelten System von verschiedenen Alters- und Leistungsstufen vorsichtig an das Chorsingen herangeführt. In einem im Umfang sorgsam auf die Altersgruppen abgestimmten Mix aus Konzerten vor Ort, von Reisen sowie Proben, die ein- bis zweimal in der Woche stattfinden, werden Lieder, Kanons, erste Beispiele einfacher Mehrstimmigkeit, allgemeine Musiklehre, später dann anspruchsvolle Konzert-Literatur, Stimmbildung, Vom-Blatt-Singen und besondere Projekte – wie aktuell "Grusellieder", "Schlaflieder" oder "Klangfabrik" – erarbeitet.
Eines fällt übrigens gern unter den Tisch: das Engagement der Eltern. Ihre Unterstützung ist unverzichtbar, denn durch sie wird diese vielfältige musikalische Arbeit erst möglich.
Schließlich kommen alle Kinder von 9 bis 18 Jahren im sogenannten Konzertchor zusammen, der regelmäßig bei Radio-, TV-, CD- und Live-Produktionen zum Einsatz kommt. Der Rundfunk-Kinderchor ist neben dem Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor die dritte tragende Säule der MDR-Klangkörper.
Sehenswerte Film-Doku
2023 feierte der Kinderchor sein 75-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass begleitete 2022/23 ein Filmteam den besonderen Klangkörper über vier Monate. Das Ergebnis ist eine sehenswerte vierteilige Dokumentationsserie "Viel mehr als nur singen – Der MDR-Kinderchor". Sie gibt einerseits Einblicke in den Probenbetrieb, die Live-Auftritte und Studioaufnahmen unter der Leitung von Alexander Schmitt und andererseits verdeutlicht sie, dass der Chor auch außerhalb der Musikwelt ein wichtiger "Lebensbegleiter", ja eine zweite Familie ist, die für prägende Gemeinschaftserlebnisse, nachhaltige Emotionen, Werte und Freundschaften steht.
Erste Stationen des Rundfunk-Kinderchores
- Herbst 1948 Erste Rundfunkaufnahme mit dem "Weltjugendlied"
- Herbst 1950 Zwei Tourneen nach Westdeutschland: Hannover, Braunschweig, Lüneburg, Buxtehude, Oldenburg, Wilhelmshaven, Osnabrück, Bochum und München
- 1951 Filmaufnahmen; Teilnahme an den Weltfestspielen in Berlin, Sandig erhält den Nationalpreis; Gründung einer "Tanzgruppe des Jugendchores" unter Leitung von Ruth Berghaus; Auftritte in "Getanzten Konzerten"
- 1952 Szenische Aufführung von Bachs "Bauernkantate"
- 1955 Aufnahme des Schlusschores der Neunten Symphonie von Beethoven in der Kongresshalle Leipzig unter Leitung von Hermann Abendroth, Choreinstudierung Herbert Kegel
- Juli 1956 Teilnahme am Zweiten Internationalen Festival der Volkschöre in Straßbourg
- Oktober 1956 Teilnahme an einem Chorfestival in Dänemark
- 1958 Repertoire-Erweiterung bis hin zur leichten Muse: Jugendlieder, Volkslieder in anspruchsvollen Sätzen, repräsentative Chor- und chorsinfonische Werke, Tanz- und Unterhaltungsmusik; Aufnahme der Erkennungsmelodie "Unser Sandmännchen"; 10-jähriges Chorjubiläum