1924–1931 Die Leipziger Oratorienvereinigung
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Alfred Szendrei, Erster Dirigent des Leipziger Sinfonieorchesters, erweiterte seine künstlerischen Pläne umgehend nach der Übernahme des Orchesters durch die MIRAG. Er wollte sich keineswegs auf das Senden von Instrumentalmusik beschränken und plante Übertragungen von Opern und Oratorien. Hierfür brauchte er einen Chor. Seinen künstlerischen Ansprüchen konnten nur professionelle Sänger genügen und er benötigte ihre Professionalität im Umgang mit der jungen, sich ständig weiterentwickelnden Aufnahmetechnik. Er wollte den Beweis antreten, dass es sehr wohl möglich sei, chorsinfonisches Repertoire im Rundfunk zu übertragen.
Szendrei hatte nicht die Zeit, durch Vorsingen aus den Kreisen der großen Leipziger Chorlandschaft seinen permanenten Chor zu bilden. Deshalb wandte er sich dem Gewandhauschor zu:
Ich habe mir einen ständigen Chor von 32 Sängern zusammengestellt, alle Mitglieder des Gewandhauschores, mit ausgezeichneten Stimmen und alle perfekte Blattleser. Mit nur 1-2 Klavierproben und einer Generalprobe konnte ich mit diesem Chor einwandfreie künstlerische Leistungen erzielen. Ich habe den Chor zu 'funkischem' Singen trainiert, d. h. den Sängern diejenigen Stärkegrade beigebracht, welche die damalige Mikrophontechnik erlaubt hat. Außerdem sind mehrere Mikrophone so aufgestellt worden, dass die vier verschiedenen Chorgruppen sich klar voneinander abhoben und keinen dicken Brei in der Sendung ergaben. So ist auch dieses Vorurteil überwunden worden, und im Laufe der Jahre konnte die Technik der Chorübertragung immer weiter vervollkommnet werden.
Die erste Sendung von LSO und dem nun "Oratorienvereinigung" genannten Chor war Haydns 'Schöpfung', am 14. Dezember 1924. Es folgten im ersten Jahr der Arbeit Szendreis zwei Aufführungen von Mendelssohns 'Elias', Händels 'Messias', Schumanns 'Das Paradies und die Peri' und Haydns 'Jahreszeiten'. Der Grundstein für die chorsinfonische Tradition der mitteldeutschen Rundfunkklangkörper war gelegt.
Die Zahl von 32 Choristen war durch die technischen Möglichkeiten bestimmt worden. Schon zwei Jahre später hat die nun auch "Rundfunkchor" genannte "Oratorienvereinigung" bereits 58 Mitglieder.
Ende der 20er-Jahre nahm die Anzahl der Übertragungen mit der Oratorienvereinigung ab. Ökonomische Gründe mögen hierfür Grund gewesen sein, aber auch die Tatsache, dass man mit der verbesserten Übertragungstechnik nicht mehr in dem Maße auf sendereigene Ensembles angewiesen war, sondern auch in der Region Opern und chorsinfonisches Repertoire aufnehmen konnte.
Mit der (politisch bedingten) Entlassung von Alfred Szendrei durch die Sendeleitung 1931 endete die Epoche des Aufbruchs. Der Name „Oratorienvereinigung“ verschwand aus den Programmen, vermutlich auch, um alle Assoziationen mit Szendrei zu verbannen.