Dirigent Hermann Scherchen
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Ständiger Dirigent des Leipziger Sinfonieorchesters 1925 bis 1929
Hermann Scherchen war schon zu Beginn der 1920er-Jahre mit dem Grotrian-Steinweg-Orchester verbunden und gab mit ihm in Leipzig regelmäßig Konzerte. Dieses Orchester war eines jener "Vorläufer", aus dessen Musikern sich unter anderem das spätere Leipziger Sinfonieorchester speiste.
Mitte der 1920er-Jahre baute Scherchen dann mit dem neugegründeten Leipziger Sinfonieorchester ein ambitioniertes Repertoire auf und setzte auch einige Uraufführungen auf das Programm. Er widmete sich als Ständiger Dirigent der intensiv der Orchestererziehung, sodass sich das junge Orchester im öffentlichen Konzertleben rasch profilieren konnte. Ein öffentlicher Brief dokumentiert Scherchens Dank an "sein" Leipziger Orchester für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Rundfunk-Pionier Hermann Scherchen
Zeit seines Lebens hatte Scherchen starkes Interesse am Medium Rundfunk, was Mitte der 1950er-Jahre zur Gründung eines Instituts für elektro-akustische Forschung in Tessin führte. Unter dem Protektorat der UNESCO fand 1954 eine erste Tagung mit führenden Wissenschaftlern, Elektrotechnikern und Musikern aus ganz Europa statt. Seine Forschungsprojekte finanzierte Scherchen durch die Gagen, die er als weltweit gefragter Dirigent erhielt.
Autodidakt Hermann Scherchen
Hermann Scherchen, von Hause aus Bratscher, war als Dirigent Autodidakt. Seine Erfahrungen hat er 1929 in seinem "Lehrbuch des Dirigierens" zusammengefasst, welches bis heute erhältlich ist und von seiner Haltung zum Dirigieren zeugt.
Neben seiner musikschriftstellerischen Tätigkeit betätigte er sich auch als Komponist, vorwiegend kammermusikalischer Werke, als Verleger, Bearbeiter und Übersetzer.
Förderer der Moderne
Hermann Scherchen war ein Bewunderer und Förderer Arnold Schönbergs, dirigierte viele seiner Werke und setzte sich sehr für zeitgenössische Musik ein. Über 200 Werke brachte er zur Uraufführung, was ihn damals zu einem der wichtigsten Dirigenten der musikalischen Moderne gemacht haben dürfte. Darunter waren das Violinkonzert von Alban Berg (1936), "Moses und Aron" von Schönberg (1959) sowie Werke von Edgar Varèse, Hans Werner Henze und Luigi Nono. Uraufführungen in seiner Leipziger Zeit stammten von Hermann Ambrosius, der auch Tonmeister der MIRAG war, von Ernst Krenek, Franz Schreker, Werner Hübschmann und Alexander Weprik.
Mit ähnlichem Feuer widmete er sich auch der Musik der Klassiker, zudem Bach, Mahler u. a., bei deren Interpretation er auf Werktreue und die genaue Beachtung des Notentextes größten Wert legte. Zu seinen Schülern gehörten Karl Amadeus Hartmann, Bruno Maderna, Rolf Liebermann und Harry Goldschmidt.
Steckbrief
- 1891 geboren am 21. Juni in Berlin
- 1898 erster Violinunterricht mit 7 Jahren, nach Abschluss der Realschule spielte er in mehreren Kaffeehaus-Kapellen
- 1907 Bratscher beim Blüthner-Orchester in Berlin, wenig später im Philharmonischen Orchester und an der Kroll-Oper, zu dieser Zeit autodidaktisches, intensives Partitur-Studium
- 1911 Mitwirkung bei den Vorbereitungen zur Uraufführung von Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" sowie Dirigenten-Debüt auf der Tournee, die sich an die Premiere anschloss
- 1914 Kapellmeister des Sinfonieorchesters Riga, vom Ausbruch des 1. Weltkrieges überrascht und interniert; in der Zeit seiner russischen Zivilgefangenschaft Komposition einiger Lieder sowie eines Streichquartetts, er lernte Russisch und vertiefte sich in sozialistische Literatur
- 1918 Rückkehr nach Berlin und umfangreiches Engagement für neue Musik: Er gründete die "Neue Musikgesellschaft Berlin" und 1920 die Zeitschrift "Melos", deren Schriftleitung er bis 1921 innehatte, er war als Musikschriftsteller aktiv und hielt Vorlesungen an der Musikhochschule
- 1922 Nachfolger Wilhelm Furtwänglers als Leiter der Sinfoniekonzerte der Frankfurter Museumsgesellschaft
- 1923–1950 andauernde Zusammenarbeit mit dem Musikkollegium Winterthur, dabei zahlreichen Uraufführungen und Profilierung zu einem Zentrum zeitgenössischer Musikpflege
- 1928–1931 Leitung der Musikabteilung am Königsberger Ostmarkenrundfunk und Organisation der "Arbeitstagungen" u. a. in Straßburg (1933) und Brüssel (1935) mit Konzerten und Dirigierkursen, unternehmerische Projekte, wie die 1935 gegründete Zeitschrift "Musica viva" und der Musikverlag "Ars Viva" in Brüssel bleiben erfolglos
- 1937 Übersiedlung in die Schweiz
- 1945 Chefdirigent des Studio-Orchesters Beromünster in Zürich
- 1950 Rücktritt von allen Ämtern in der Schweiz aufgrund des Verdachts auf kommunistische Tendenzen
- 1954 Gründung eines Tonstudios im Tessin (Gravesano), intensive Beschäftigung mit elektro-akustischen Fragen und neuen Wirkungsmöglichkeiten der Musik
- 1966 gestorben am 12. Juni in Florenz, wenige Tage zuvor schwere Herzattacke während eines Konzerts beim ältesten italienischen Musikfestival Maggio Musicale Fiorentino (gegr. 1933)