Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Carl Schuricht
Carl Schuricht Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Dirigent Carl Schuricht

Chefdirigent des Leipziger Sinfonieorchesters von 1931 bis 1933

Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Carl Schuricht.
Carl Schuricht Anfang der 1930er-Jahre. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Carl Schuricht war ausgesprochen Rundfunk-affin. Anfang der 1930er-Jahre entwickelte sich das Leipziger Sinfonieorchester unter seiner Leitung zum besten Rundfunkorchester in Deutschland. Später arbeitete er noch mit vielen anderen Klangkörpern und Sendehäusern des deutschen Rundfunks zusammen.

Als Carl Schuricht nach Leipzig kam, konkurrierte er anfänglich mit Günther Ramin, dem späteren Leipziger Thomaskantor, um den kürzlich frei gewordenen Posten. Alfred Szendrei wurde, nach dem politischen Machtwechsel in Deutschland, aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus dem Amt gedrängt. Schließlich verpflichtete die Intendanz Carl Schuricht zum neuen Chefdirigenten.

Carl Schuricht wurde auch als zukünftiger Gewandhaus-Kapellmeister gehandelt. Denn hier ereilte den weltberühmten Bruno Walter das gleiche Schicksal wie Alfred Szendrei. Das Gewandhaus-Direktorium entschied sich im Falle seiner Nachfolge jedoch 1934 für Hermann Abendroth.

Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Carl Schuricht in der Leipziger Alberthalle.
Carl Schuricht in der rund 3000 Sitzplätze fassenden Leipziger Alberthalle Anfang der 1930er-Jahre. Bildrechte: Walter Wilhelm

Von Wiesbaden über Leipzig an die Weltspitze

Carl Schuricht gehört zu den bedeutendsten Orchesterleitern des 20. Jahrhunderts. Die internationale Presse nannte ihn in einem Atemzug mit Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler, Arturo Toscanini, Clemens Krauss oder Otto Klemperer. Doch bevor Schuricht im Dirigenten-Olymp ankam, erarbeitete er sich in seinen Lehr- und Wanderjahren in überwiegend kleineren Theatern, Chören und Orchestern ein enormes Repertoire. Als er 1912 nach Wiesbaden kam, prägte er das dortige Musikleben für mehr als 30 Jahre. Nach weiteren Stationen, u. a. in Leipzig, Dresden, Berlin, Wien und Frankfurt, startete er in den 1950er- und 1960er-Jahren eine internationale Karriere, durch die er zu Weltruhm gelangte.

Schwarz-Weiß-Foto des Dirigenten Carl Schuricht und des Leipziger Sinfonieorchesters im Leipziger Gewandhaus.
Carl Schuricht mit dem Leipziger Sinfonieorchester im Großen Konzertsaal des Gewandhauses bei einer Probe Anfang der 1930er-Jahre. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Carl Schuricht auf der Flucht

Durch Hitler wurde Carl Schuricht in die sogenannte "Gottbegnadeten"-Liste aufgenommen, was ihn vor dem Kriegseinsatz und Dienst an der Heimatfront bewahrte. Die Differenzen mit dem Nazi-Regime nahmen für Schuricht jedoch zu. Grund dafür war unter anderem die Unterstützung seiner jüdischen Ex-Frau, von der er sich im September 1933 auf politischen Druck hin hatte scheiden lassen. Nachdem ihn ein Gestapo-Soldat warnte, dass er demnächst in einem Lager interniert werden solle, gelang ihm im November 1944 die Flucht in die Schweiz, wo er sich im Kanton Wallis niederließ.

Von der Schweiz aus arbeitete er nun in den 1950er-und 1960er-Jahren mit renommierten Orchestern, wie den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem Concertgebouw-Orchester, dem Orchestre de la Suisse Romande, dem London, Chicago und dem Boston Symphony Orchestra, zusammen.

Ein Herz für zeitgenössische Musik

Legendär waren Carl Schurichts Bruckner-Interpretationen. Sein Faible für Mahler, Brahms, Komponisten der Klassik und vor allem aber für jene der Jetzt-Zeit zeichnete sich früh ab. Deshalb waren z. B. Werke von Alban Berg, Boris Blacher, Claude Debussy, Paul Hindemith, Maurice Ravel, Max Reger, Frederik Delius, Arnold Schönberg, Igor Strawinski und andere fester Bestandteil seiner Programme.

Eines seiner bedeutendsten Konzerte war die deutsche Erstaufführung von Mahlers 8. Sinfonie unter seinem Dirigat. Die sogenannte "Sinfonie der Tausend", an deren Uraufführung 1030 Mitwirkendende beteiligt waren, benötigt acht Gesangssolisten, zwei große gemischte Chöre, Kinderchor und ein stark erweitertes Orchester.

Steckbrief

  • 1880 geboren am 3. Juli in Danzig als Sohn eines Orgelbauers und einer Sängerin
  • 1886 Besuch des Friedrichs-Realgymnasiums in Berlin, erster Violin- und Klavierunterricht, ab 1892 Königliches Realgymnasium in Wiesbaden, erste Kompositionen
  • 1895 Dirigierstunden bei Franz Mannstädt, Hofkapellmeister in Wiesbaden
  • 1901–1903 Student des Stern’schen Konservatoriums in Berlin, Schüler von Ernst Rudorff (Klavier), Engelbert Humperdinck und Heinrich van Eyken (Komposition), zudem Studien bei Max Reger in Leipzig, enger Kontakt zu Geiger Henri Marteau, Volontariat als Korrepetitor am Staatstheater Mainz in der Saison 1901/02, 1902 Kompositionspreis der Kuszynski-Stiftung und Stipendium
  • 1906 Dirigiertätigkeit bei den Dortmunder Philharmonikern
  • 1907–1908 Operettenkapellmeister Stadttheater Zwickau, danach Kurorchester Bad Kreuznach, Leitung des Oratorien- und Männerchores Goslar
  • 1909 Chorleiter des Rühl’schen Oratorienvereins in Frankfurt  
  • 1912 Musikdirektor, ab 1922 bis 1944 Generalmusikdirektor in Wiesbaden; zwischen 1930 und 1939 leitete er auch die Sinfoniekonzerte des Städtischen Orchesters im Kurhaus Wiesbaden
  • 1921 erstmals Gastdirigent bei den Berliner Philharmonikern, ab 1925 Verpflichtung für die Abonnementkonzerte zusammen mit Bruno Walter, weitere Gastspiele in den USA, England, Italien, Niederlande
  • 1931–1933 Chefdirigent des Leipziger Rundfunk Sinfonieorchesters
  • 1933–1934 Künstlerischer Leiter des Philharmonischen Chores Berlin, als Nachfolger von Otto Klemperer, Uraufführungen von Poots und Boris Blacher
  • 1934 erstmals Gast bei den Wiener Philharmonikern, mit denen er später eng zusammenarbeitete
  • 1937–1944 Gast des Radio Sinfonieorchesters Frankfurt
  • 1941 Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, Aufnahme in die sog. "Gottbegnadeten"-Liste Hitlers, 1944 Flucht in die Schweiz, wo er erneut heiratete; mit dem Orchestre de la Suisse Romande arbeitete er mehrere Jahre bei über 60 Konzerten zusammen, wobei ihm sein Engagement für Bruckner und Mahler auch Kritik konservativer Musikakteure einbrachte
  • 1946 Wiedereröffnung der Salzburger Festspiele und Auftritt mit den Wiener Philharmonikern
  • 1950er Gastdirigate beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, NDR Sinfonieorchester, Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sowie beim Chicago und Boston Symphony Orchestra
  • 1960er regelmäßiger Gast der Salzburger Festspiele, zudem internationale Tourneen mit den Wiener Philharmonikern in die USA und nach Kanada, Gastspiele in der Schweiz, Frankreich, Österreich und Spanien, Gastdirigate beim London Symphony Orchestra
  • 1967 gestorben am 7. Januar in Corseaux-sur-Vevey am Genfersee, Kanton Waadt

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