Ein Arzt hört die Lunge seiner Patientin mit Hilfe eines Stethoskops ab
In Sachsen gibt es einen starken Anstieg von Infektionen mit Bakterien, die eine spezielle Lungenentzündung auslösen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / dpa Themendienst | Christin Klose

Herbsterkrankungen Mykoplasmen breiten sich aus – Mehr Lungenentzündungen in Sachsen

27. September 2024, 12:00 Uhr

Die Hustenzeit geht wieder los und die Zahl der Lungenentzündungen steigt. In diesem Jahr ist ein Bakterium auf dem Vormarsch, das eine besondere Form der Pneumonie auslösen kann. Die Rede ist von Mykoplasmen. Gerade Kinder und Jugendliche sind davon betroffen, aber es kann jede Altersgruppe treffen. Wie ist die Infektionslage in Sachsen? Wie bewerten Ärzte diese Erkrankung und welche Maßnahmen empfiehlt das Sozialministerium?

In Sachsen ist die Zahl der Lungenentzündungen, die durch Mykoplasmen verursacht werden, sprunghaft angestiegen. Das geht aus aktuellen Zahlen des Sozialministeriums hervor. Demnach sind in diesem Jahr bisher 11.605 Infektionen zu verzeichnen. Das ist elf Mal mehr als 2023, als 1.024 Infektionen gemeldet wurden.

Gründe sind die aktuell fehlende Herdenimmunität und ein "Nachholeffekt" der Corona-Pandemie, wie der Chefarzt der Infektiologie am St. Georg Klinikum in Leipzig, Professor Christoph Lübbert, im Gespräch mit MDR SACHSEN bestätigt. Eine medizinische Erklärung, warum in diesem Jahr gerade die Zahl der Mykoplasmen-Pneumonien so hoch ist, hat er nicht. Im vergangenen seien vor allem RSV bei Kindern und Kleinkindern und die Grippe kursiert, in diesem Jahr sei es dieser Erreger.

Wie das Sozialministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN zudem mitteilte, liegt ein weiterer möglicher Grund in den atypischen Merkmalen des Erregers, die zu einem längeren Zeitintervall bei der Wiederausbreitung führen könnten. Außerdem spiele auch die Verfügbarkeit neuer Untersuchungsmethoden eine Rolle, die zum Auffinden von mehr Fällen führe.

Laut Ministerium hatte es die letzte Infektionswelle in mehreren europäischen Ländern Ende 2019 und Anfang 2020 gegeben. In Sachsen gab es zuletzt in den Jahren zwischen 2016 und 2018 Krankheitswellen mit jeweils rund 1.500 Fällen pro Jahr.

Was sind Mykoplasmen? (zum Ausklappen)

Die Spezies Mykoplasmen sind Bakterien, die keine Zellwand besitzen. Die Mykoplasmen, die die Lunge befallen und auch Mycoplasma pneunomiae genannt werden, rufen vor allem bei Kindern und Jugendlichen spezielle Atemwegsinfektionen hervor. Wegen ihrer langsamen Vermehrung kann es zwischen einer und drei Wochen dauern, bis Beschwerden ausgelöst werden. Nicht selten bleibt die daraus resultierende atypische Lungenentzündung unerkannt. Der Freistaat ist jedoch das einzige Bundesland, in dem eine Mykoplasmen-Infektion meldepflichtig ist und entsprechend statistisch belegbar ist.

Es gibt auch sexuell übertragbare Mykoplasmen. Diese können Harnröhrenentzündung oder Entzündungen am Gebärmutterhals und an der Prostata auslösen.

Menscheliches Herz mit Herzkranzgefäßen, Lungen, Bronchien und Schnitt durch den Brustkorb
Bei einer Mykoplasmen-Pneumonie werden verschiedene Bereiche der Lunge befallen. (Symbolbild) Bildrechte: imago images / Panthermedia

Ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen?

Erkrankungen wie die Mykoplasmen-Pneumonie treten vorrangig in Wellen auf. Vor allem in der Herbst- und Winterzeit steige die Zahl an Virus- und bakteriellen Erkrankungen generell, berichtet der Lungenarzt Professor Christian Geßner aus Leipzig. In Bezug auf die Zahlen aus dem Sozialministerium zeigt er sich erschrocken: "Die Zahl ist schon sehr, sehr hoch", sagte er MDR SACHSEN. Dass die Zahlen von Jahr zu Jahr wechseln, sei typisch. Zudem sei bekannt, dass Corona das Infektionsgeschehen "durcheinandergebracht" habe.

In dem Zusammenhang seien bakterielle Infektionen, verglichen mit den Zahlen viraler Infekte, gar nicht so häufig. "Aber über 11.000 - das ist eine Hausnummer. Das muss man echt sagen", so Geßner.

Nachrichten Bilder Audios 8 min
Bildrechte: MDR/Grafik MDR SACHSEN
8 min

MDR SACHSEN – Das Sachsenradio

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio 08:01 min

https://www.mdr.de/sachsenradio/nachhoeren/nachrichten/audio-2756068.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Infektiologe Lübbert: Mykoplasma pneunomiae kein "Killer-Bakterium"

Auch Lübbert spricht von einer "kräftigen Welle", beruhigt aber, dass es sich nicht um ein "Killer-Bakterium" handele. "Mykoplasmen sind nicht hochansteckend und haben eine lange Inkubationszeit", so Lübbert. Die aktuelle Welle könne nicht gebrochen werden, würde aber in den nächsten Monaten flacher.

Generell rechnet Lübbert mit keinem vergleichbaren Anstieg von Atemwegserkrankungen wie nach Ende der Corona-Beschränkungen vor zwei Jahren und im vergangenen Jahr.

Mykoplasmen sind nicht hochansteckend und haben eine lange Inkubationszeit.

Professor Dr. med. habil. Christoph Lübbert Chefarzt der Klinik für Infektiologie/Tropenmedizin am Klinikum St. Georg Leipzig

Symbolbild: ein älterer Sportler macht Dehnübungen auf einer Treppe
Laut Ärzten müssen sich vor der Mykoplasmen-Pneumonie vor allem sehr junge und ältere Menschen in Acht nehmen. Doch es kann auch Männer und Frauen mittleren Alters treffen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Wie gefährlich ist diese Lungenerkrankung?

Die Krankheit beginnt eher schleichend und wird nicht unbedingt sofort erkannt. Dazu sagt Lungenarzt Geßner: "Pneumokokken ist immer noch die häufigste Pneumonie, die wir haben." Knapp zehn Prozent aller Lungenentzündungen seien auf Mykoplasmen zurückzuführen, heißt es von den Experten.

Pneumokokken ist immer noch die häufigste Pneumonie, die wir haben.

Prof. Christian Geßner Lungenarzt in Leipzig

Schwere Verläufe möglich

"Mykoplasmen gehören zu den Erregern, die aus lungenärztlicher Erfahrung her sehr schwere Lungenentzündungen verursachen, die meistens nicht auf einen Lungenlappen begrenzt bleiben und sich über mehrere Bereiche erstrecken", sagt Arne Drews, Lungenarzt und Arbeitsmediziner in Grimma im Landkreis Leipzig, im Gespräch mit MDR SACHSEN. Sie können einen schweren Verlauf mit Sauerstoffmangel haben, der eine Beatmung notwendig mache.

Der Lungenarzt schildert auch Fälle von zwei Männern im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, die im Sommer bei ihm in Behandlung gewesen seien. Beide habe er zur Weiterbehandlung ins Krankenhaus schicken müssen, damit sie Sauerstoff bekommen. "Einer musste sogar auf der Intensivstation beamtet werden - ein Mann mit 40 Jahren. Beide haben es zum Glück überstanden", resümiert Drews.

Patient wird künstlich beatmet: Blick auf liegenden Patienten, seitlich links oben. Patient ist an einen Schlauch sowie kleinere Schläuche oder Kabel angeschlossen. 1 min
Bildrechte: imago/Jochen Tack
1 min

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Do 26.09.2024 12:19Uhr 00:57 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/audio-2754950.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Welche Symptome gibt es?

Eine Mykoplasmen-Pneumonie lasse sich beim Röntgen der Lunge diagnostizieren, so Drews. Laut Geßner sind diese atypischen Erreger jedoch schwieriger zu erkennen als beispielsweise eine Infektion mit Pneumokokken. Die Beschwerden können leichtes Fieber, Müdigkeit, Halsschmerzen, lang andauernder trockener Husten und auch Kopfschmerzen sein und ähneln daher einer Erkältung. Bei Jüngeren können Durchfall, Erbrechen oder Keuchen auftreten.

"Wer mehr als fünf Tage mit Husten zu kämpfen hat, soll auf jeden Fall den Hausarzt aufsuchen", rät der Leipziger Infektiologe Lübbert.

Frau schnaubt sich die Nase 1 min
Bildrechte: Colourbox.de
1 min

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Do 26.09.2024 15:42Uhr 01:13 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/audio-2755194.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Gibt es Engpässe bei Antibiotika?

Die Erreger unterscheiden sich von anderen Bakterien darin, dass sie keine Zellwände haben und daher nicht mit weit verbreiteten Antibiotika wie Penicillin bekämpft werden können. Der Erreger wurde bereits 1938 beobachtet und löst eine Lungenentzündung aus, die mit einem speziellen Antibiotikum behandelt werden muss. Wie das sächsische Sozialministerium mitteilt, ist die entsprechende Versorgungslage sowohl bei Doxycyclin und Azithromycin seit dem Sommer angespannt. "Der Großhandel kann im Moment (noch) liefern, hält zukünftige Engpässe jedoch für wahrscheinlich", hieß es auf Anfrage.

Lungenarzt Geßner macht sich aktuell keine Sorgen um Engpässe und sagt, dass bisher keiner seiner Patienten berichtet habe, sein Medikament nicht bekommen zu haben. Grundsätzlich argumentiert er dafür, bei den Mykoplasmen gezielt hinzuschauen und darauf zu testen. Denn: "Bei den Mykoplasmen kann man mit einer gezielten Antibiotikatherapie den Verlauf deutlich abkürzen", so Geßner. "Das Problem dieser atyptischen Pneumonien ist: Man hört sie schlecht und man sieht sie schlecht". Deshalb würden sie oft verkannt.

Wie kann man sich schützen? Gibt es eine Impfung?

Zu Ansteckungen kommt es laut Sozialministerium vor allem bei engeren Kontakten innerhalb eines Haushaltes oder in Kindergärten und Schulen. Wie andere Atemwegserkrankungen wird auch die Mykoplasmen-Pneumonie über Tröpfchen übertragen. Für die Infektion sind aber deutlich engere Kontakte erforderlich als dies zum Beispiel bei den Corona-Erregern der Fall ist. Das Ministerium empfiehlt vor allem auch eine gute Händehygiene sowie Husten- und Niesetikette, um sich vor Mykoplasmen zu schützen.

Gegen Mykoplasmen gibt es keine Impfung.

Sächsisches Ministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

"Gegen Mykoplasmen gibt es keine Impfung. Gegen Influenza, eine Erkrankung, die gerade bei kleineren Kindern oftmals schwerer verläuft als eine Mykoplasmen-Pneumonie, hingegen schon", teilte das Ministerium weiter mit. Dem pflichten auch die Ärzte Drews und Geßner bei und empfehlen die Influenza-Impfung in diesem Herbst. Auch eine Auffrischung der Keuchhusten-Impfung und die Pneumokokken-Impfung sollten in Erwägung gezogen werden.

MDR (sme)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Radioreport | 27. September 2024 | 13:00 Uhr

Mehr aus Sachsen