Portrait: Daniela Schmidt leidet an Retinitis Pigmentosa Tunnelblick Krankheit
Daniela Schmidt aus Burg ist seit neun Jahren fast vollständig blind. Laut Landesverwaltungsamt hat sie dennoch keinen Anspruch auf Blindengeld, entsprechende Zeichen und einen Grad der Behinderung. Bildrechte: Janett Scheibe

Behördenärger Kein Blindengeld für sehbehinderte Frau: "Für mich würde es die Welt bedeuten"

27. September 2024, 15:41 Uhr

Daniela Schmidt aus Burg ist vor neun Jahren erkrankt. Mit der Folge, dass sie ihre Sehfähigtkeit fast komplett verloren hat. Einen Anspruch auf Blindengeld und einen Grad der Behinderung habe sie dennoch nicht, heißt es vom Landesverwaltungsamt. Daniela Schmidt will sich damit nicht zufrieden geben.

In einer fremden Umgebung die Straße überqueren oder eine Treppe hinaufgehen, wird für Daniela Schmidt zu einer Herausforderung. Die 53 Jahre alte Mutter ist fast blind, aber nicht von Geburt an. Die Frau aus Burg im Jerichower Land leidet seit 2015 an Retinitis Pigmentosa (RP), dem sogenannten Tunnelblick. Das ist eine unheilbare Augenerkrankung, die erblich bedingt in unterschiedlichen Verläufen zur Erblindung führen kann.

Bei Daniela Schmidt ist das so: Auf dem linken Auge ist keine Sehfähigkeit mehr nachweisbar, auf dem rechten Auge liegt die Sehstärke unter fünf Prozent. "Sie müssen sich das so vorstellen, als wenn Sie durch eine Küchenrolle schauen und davor noch so ein schwarzes Netz hängen, so ungefähr nehme ich meine Umgebung wahr", schildert Schmidt. "Ich kann nicht mehr alles im Gesamten fokussieren, immer nur so einen Teil, wo man eben hinguckt." Hinzu kämen schwarze Flecken im Gesichtsfeld, die sie beim Laufen immer sehe, erklärt die ehemalige Pflegekraft.

Daniela Schmidt (l.) und Denise Kelling (r.), Rehabilitationslehrerin für Blinde und Sehbehinderte
Die sehbehinderte Daniela Schmidt (links) läuft mit ihrer Rehabilitationslehrerin Denise Kelling (rechts) durch Burg. Bildrechte: Janett Scheibe

Verwaltungsamt: Nicht blind genug für Blindengeld

Festentschlossen, ihr Leben auch mit der unheilbaren Augenkrankheit zu meistern, begann für Daniela Schmidt noch ein weiterer Kampf – der gegen die Behörden. Denn das Landesverwaltungsamt vertritt seit Jahren den Standpunkt, Daniela Schmidt sei nicht blind genug, um Anspruch auf Blindengeld zu haben und nach Lesart der Behörde ein "begehrtes" Merkzeichen zu bekommen. Merkzeichen sind spezielle Kennungen, die Schwerbehinderte je nach Grad ihrer Behinderung erhalten, um beispielsweise kostenlos öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können oder Anspruch auf eine Begleitperson zu haben.

In der Begründung des Amtes heißt es: "Im Ergebnis aller augenfachärztlichen Gutachten, die in unseren Verwaltungsverfahren für Frau Daniela Schmidt eingebracht wurden, war eine Erblindung nicht nachzuweisen." Daher seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung von Blindheit im Sinne des Schwerbehindertenrechts und des Landesblinden- und Gehörlosengeldgesetzes nicht erfüllt. Genauso wenig wie der damit verbundene Grad der Behinderung von 100 und entsprechende Merkzeichen.

Gutachten aus Berliner Klinik wird ignoriert

Für Daniela Schmidt, die durch ihre Sehbehinderung stark eingeschränkt ist, wirkt diese Begründung wie Hohn. Inzwischen füllen Anträge, Gutachten und Atteste ganze Ordner. Nicht genug, dass die Patientin erst einmal selbst mit ihrer Einschränkung zurechtkommen musste, warf man ihr sogar Simulieren vor. Das wollte Daniela Schmidt so nicht stehen lassen und ließ sich in der Berliner Charité erneut untersuchen – mit dem Ergebnis, dass man ihr eine 100-prozentige Sehbehinderung attestierte. Doch auch das ignorierte das Landesverwaltungsamt mit der Begründung, das Gutachten nicht beauftragt zu haben.

Kurze Zeit nach ihrer Erkrankung musste Daniela Schmidt ihren Führerschein abgeben und konnte nicht mehr in ihrem alten Beruf als Altenpflegerin arbeiten. Der Rentenversicherungsträger erkannte ihre Blindheit an, sodass sie wenig später im Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte in Halle eine Umschulung machen konnte. Zudem erhielt sie eine Grund-Reha, in deren Rahmen sie die Blindenschrift erlernte und Kurse zur Bewältigung des Alltags für Blinde absolvierte. Ihren Abschluss als medizinische Schreibkraft bestand sie mit Bravour.

Hin und her mit den Behörden dauert schon neun Jahre

Das Antrags- und Ablehnungsprozedere mit dem Landesverwaltungsamt dauert inzwischen schon länger als neun Jahre. Mit ihrer Anwältin ist Daniela Schmidt durch alle juristischen Instanzen gegangen, aber keinen Schritt weiter gekommen: Das monatliche Blindengeld für Hilfsmittel in Höhe von 440 Euro und die entsprechenden Merkzeichen bleiben ihr bis heute verwehrt.

2023 dann ein weiterer gesundheitlicher Tiefschlag: Daniela Schmidt erhält die Diagnose Brustkrebs. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der gesamte Vorgang durch das Landesverwaltungsamt noch einmal neu bewertet werden müssen. Doch offenbar ist das nicht passiert, denn die Behörde attestierte ihr ohne neuerliche Prüfung ihrer Augen, und nur aufgrund ihrer Krebsdiagnose eine 80-prozentige Schwerbehinderung. Die Augenerkrankung wurde dabei lediglich mit 20 Prozent bewertet.

Daniela Schmidt und Bianca Hoffmann (l.) und eine psychoonkologische Beraterin an einem Tisch im Gespräch
Nach ihrer Diagnose hat Daniela Schmidt (links) Hilfe bei Bianca Hoffmann (rechts) von der Krebsgesellschaft gesucht. Bildrechte: Janett Scheibe

Krebsgesellschaft rät zur Klage

"Das ist völlig unverständlich angesichts meines Zustands", sagt Schmidt. In ihrer Verzweiflung wendet sich die 53-Jährige an die Beratungshilfe der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft (SAKG): Dort ist man fassungslos. "Ich war geschockt", sagt Bianca Hoffmann, psychoonkologische Beraterin bei der Gesellschaft. Sie habe Daniela Schmidt in einem gesundheitlichen Zustand kennengelernt, in dem aufgrund der Augenerkrankung nicht einmal der Grad der Behinderung vorgelegen habe. "So einen Fall in dieser Konstellation haben wir bis jetzt noch nicht gehabt", sagt Hoffmann weiter.

Sven Weise, Geschäftsführer der SAKG, wird zu dem Fall noch einmal konkreter. "Ich gehe davon aus, das ist von langer Hand geplant." Zurzeit gebe es diese Situation nur in Sachsen-Anhalt. "Ich gehe davon aus, dass hier systematisch der Grad der Behinderung nicht so anerkannt wird, wie es in jedem anderen Bundesland üblich wäre", sagt Weise weiter. "Und wir kennen vergleichbare Fälle in anderen Bundesländer, wo ohne Beanstandungen das Blindengeld und die Merkzeichen anerkannt wurden."

Sven Weise, Geschäftsführer der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft e. V.
Sven Weise von der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft kennt Fälle wie den von Daniela Schmidt nicht aus anderen Bundesländern. Bildrechte: Janett Scheibe

"Für mich würde es die Welt bedeuten"

Die Krebgesellschaft legt Daniela Schmidt nahe, ein Klageverfahren mit einem Fachanwalt für Sozialrecht anzustreben, um doch noch zu ihrem Recht zu kommen. "Für mich würde es die Welt bedeuten, weil gerade durch die Merkzeichen könnte ich natürlich kostenlos fahren", sagt sie. Momentan bekomme sie durch ihre Krebserkrankung eine Erwerbsminderungsrente, die nicht besonders hoch sei. "Da macht sich das schon bemerkbar, wenn ich zehn Euro für eine Zugfahrt ausgeben muss", erklärt Schmidt. "Finanziell wäre das schon hilfreich, wenn ich diese Merkzeichen hätte."

Daniela Schmidt ist fest entschlossen, sich nicht von ihrer Krankheit isolieren zu lassen und in der Auseinandersetzung mit den Behörden nicht klein beizugeben.

MDR (Janett Scheibe, Fabienne von der Eltz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 27. September 2024 | 19:00 Uhr

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