Dirigent Horst Neumann
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Leiter des Rundfunkchors Leipzig von 1967 bis 1977 sowie Chefdirigent des Großen Rundfunkorchesters Leipzig von 1977 bis 1991
Horst Neumann – das bedeutet eine Ära: 10 Jahre war er als Chor-Chef hinter den Kulissen tätig und arbeitete anderen Dirigenten zu. Anschließend stand er 15 Jahre selbst als Chef des Großen Rundfunkorchesters im Rampenlicht und übernahm die Position von Adolf Fritz Guhl, der plötzlich verstorben war.
Als vielseitiger Chorspezialist brachte er während dieser Zeit hohe Kontinuität und Präzision in die musikalische Arbeit mit ein, etwa bei der Erarbeitung von A-cappella-Literatur, der Einstudierungen chorsinfonischer Werke oder bei der Vorbereitung konzertanter Opernproduktionen.
Später schärfte er das Programm der verschiedenen instrumentalen Ensembles vor allem durch die Musik des 20. Jahrhunderts. Und er erschloss den Hörern eine "neue Welt" durch die Wiederaufführung vergessener Raritäten.
Eine Vielzahl an Schallplattenproduktionen machte ihn international bekannt. In England gelangte er in den 1980er-Jahren zu besonderen Ehren.
Horst Neumann: Jung, exakt und vielseitig
Horst Neumann, schon 1964 als Gastdirigent beim Sender verpflichtet, löste Armin Oeser in der Spielzeit 1967/68 als Chef des Rundfunkchores ab. Neumann hatte sein Dirigierstudium mit Auszeichnung abgeschlossen, war kurzzeitig Dirigent des Vogtlandorchesters in Reichenbach gewesen und zu Amtsantritt mit 33 noch recht jung.
Das hatte beim Rundfunkchor jedoch eine gewisse Tradition. Man setzte auf junge, ambitionierte Dirigenten mit besonderen Fähigkeiten. So begannen Herbert Kegel mit 29, Dietrich Knothe mit 24 und Armin Oeser mit 29 Jahren als Dirigenten des Rundfunkchores. Horst Neumann dann mit 33 Jahren. Schon zu Beginn hatte er den Ruf, sehr genau und exakt zu arbeiten. Hans Werner Henze, dessen Kantate "Novae de infinito laudes" Neumann in seiner Anfangszeit einstudierte, sagte: "Der Rundfunkchor Leipzig ist der beste, den ich je gehört habe."
Horst Neumann: Ein Mann für alle Fälle
Horst Neumann war früher einige Zeit Leiter eines Folklore-Ensembles gewesen, das schon 1960 für den Rundfunk Aufnahmen machte. Möglicherweise entstand hier sein Kontakt zum Sender in Leipzig. Auf alle Fälle hatte er sich schon während dieser Zeit breite Repertoire-Kenntnisse, Dirigierroutine und hohe Stilsicherheit in den verschiedensten Genres erarbeiten können. Und noch eine Fähigkeit hatte Horst Neumann in dieser Zeit entwickelt: Als "Mann für alle Fälle" konnte er sich sehr schnell und flexibel auf schwierige und unerwartete Situationen einstellen.
Die folgende Begebenheit gibt ein Beispiel davon: Bei den Mendelssohn-Festtagen in Leipzig stand im November 1972 Bachs Matthäus-Passion auf dem Programm. Der international gefragte Tenor Peter Schreier war als Evangelist vorgesehen. Bedauerlicherweise musste er krankheitsbedingt absagen, wie auch noch fast alle weiteren Vokal-Solisten und schließlich der Dirigent Herbert Kegel selbst, der noch die Generalprobe ohne Evangelisten leitete. Horst Neumann sprang ein: Mit den neuen Solisten führte er ohne jegliche Probe, lediglich mit einem kurzen Anspiel, bravourös und sicher durch die Matthäus-Passion. Er rettete die Aufführung und wurde zum Star des Abends!
Die Kraft im Hintergrund
"Ein Chefdirigent muss mit seinem Orchester identifiziert werden und sich selbst identifizieren. Das geht nur, wenn man 150 Tage im Jahr zusammenarbeitet. Man muss seine Musiker kennen, bereit sein, persönliche und private Verantwortung zu übernehmen. Kollegen, die drei oder vier Chefstellen gleichzeitig betreuen, sind unseriös."
Anfänglich stand Horst Neumann bei öffentlichen Aufführungen, bei denen sein Chor beteiligt war, eher selten am Pult. Das übernahmen andere, wie z. B. Herbert von Karajan, Karl Böhm, Wolfgang Sawallisch, Carlos Kleiber, Giuseppe Patanè, Kurt Masur oder Herbert Kegel. Ergebnis dieser Zusammenarbeit waren eine Vielzahl an Schallplattenproduktionen, die internationale Beachtung und Wertschätzung fanden.
Später stand er jedoch immer häufiger im Rampenlicht, sowohl bei A-cappella-Konzerten wie auch bei der Zusammenarbeit des Rundfunkchores mit anderen Ensembles des Leipziger Senders. In der Regel waren dies das Rundfunk-Kammerorchester oder das Große Rundfunkorchester Leipzig, dessen Chefdirigent er ab 1977 war, und natürlich immer wieder das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig.
Horst Neumanns Erfahrung war geschätzt und gefragt. Karajan nahm vor seinen DDR-Gastspielen immer mit Horst Neumann Verbindung auf, ebenso Wolfgang Sawallisch. Und viele namhafte Dirigenten ließen sich seiner Zeit bei Schallplattenproduktionen mit Chorbeteiligung die Einstudierung der Chöre durch Horst Neumann vertraglich zusichern.
"Aus" beim MDR
"Ein Vierteljahrhundert war Leipzig meine musikalische Heimat. Die hat man mir genommen. Das hinterläßt tiefe Narben", so Horst Neumann 1999 rückblickend an seinem 65. Geburtstag. Nach dem sich der MDR zur Wendezeit konstituiert hatte, signalisierte ihm der Sender, dass man ihm zukünftig keinen neuen Vertrag als Chefdirigent der Radio Philharmonie, also des vormaligen Großen Rundfunkorchesters, anbieten werde. Persönlich war das eine große Enttäuschung für Horst Neumann. Ein langjähriges gerichtliches Nachspiel endete schließlich mit einem Vergleich. Seinem Nachfolger hinterließ Neumann ein Orchester mit 96 Musikerinnen und Musikern, die er konsequent zu Spitzenniveau geführt hat.
Internationales Renommee
Den künstlerischen Erfolg des Orchesters erzielte Horst Neumann dadurch, dass er neben viel Traditionellem auch viele Uraufführungen dirigierte, die die Musikerinnen und Musiker künstlerisch wie technisch forderten. Er arbeitete dabei unmittelbar mit den bedeutenden Komponisten der Zeit zusammen, wie z. B. mit Hans Werner Henze, Luigi Dallapiccola, Luigi Nono, Benjamin Britten, Krzysztof Penderecki, Witold Lutosławski, György Ligeti, Paul Dessau, Hanns Eisler, Siegfried Matthus, Udo Zimmermann.
Horst Neumanns Ruf war weltweit glänzend, nicht nur wegen seiner vielen Schallplattenproduktionen, sondern auch aufgrund seiner intensiven beruflichen Reisetätigkeit u. a. nach Mexiko, Argentinien, Kolumbien, Peru, Kuba, Norwegen, in die ehemalige Tschechoslowakei, die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, China, Griechenland, Luxemburg und Frankreich. So wurde er 1984 zum Artistic Director des Philharmonia Chorus und 1988 zum Professor an der Royal Academy of Music in London berufen sowie 1989 zu deren "Honory Member" ernannt.
Von seinen Reisen ist er immer wieder in die DDR zurückgekehrt, organisierte dennoch in den Wendewirren die Teilnahme der Orchestermitglieder bei den Montagsdemonstrationen. Später hätte er mehr gastieren und reisen können, hatte aber keinen Agenten und dirigierte stattdessen regelmäßig die Philharmonie Halle. Er verfügte über einen großen Freundeskreis, war, obwohl er institutionell nicht mehr fest eingebunden war, mit der Musikwelt bestens vernetzt und blieb von seinem Haus im Leipziger Stadtteil Schleußig aus akiv.
Steckbrief
- 1934 geboren am 1. August in Böhmisch Leipa
- 1953–1959 Studium an der Hochschule für Musik in Berlin
- 1959 Abschluss seines Studiums in den Fächern Dirigieren, Klavier, Orchester- und Chorleitung an der Hochschule für Musik in Berlin mit Auszeichnung
- 1964 Ständiger Gastdirigent beim Rundfunk in Leipzig
- 1965–1967 Leiter des Staatlichen Vogtlandorchesters Reichenbach
- 1967–1978 Chefdirigent des Rundfunkchores Leipzig und ab 1971 Leiter des Rundfunk-Kammerorchesters Leipzig
- 1974–1977 stellvertretender Chefdirigent des Großen Rundfunkorchesters Leipzig
- 1977–1992 Chefdirigent des Großen Rundfunkorchesters Leipzig (seit 1990: Radio Philharmonie Leipzig)
- 1984–1992 Artistic Director of Philharmonia Chorus und Professor an der Royal Academy of Music in London, 1988 Berufung zum Professor und "Director of Choral and Choralsymphonic Studies" an die Royal Academy of Music in London und 1989 Ernennung zum "Honory Member" der Royal Academy London
- 1996–1998 Chefdirigent der Westsächsischen Philharmonie Borna, danach Professor für Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig
- 2013 gestorben am 22. August in Leipzig