Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Hermann Abendroth
Hermann Abendroth Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Dirigent Hermann Abendroth

Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters von 1949 bis 1956

Hermann Abendroth gehört zu den bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Er folgte 1949 als 66-jähriger international gefragter Dirigent und zugleich erfahrener Orchestermanager auf den aus dem Amt gedrängten Gerhart Wiesenhütter. Hermann Abendroth war damit der einzige Chefdirigent, der in dieser Position sowohl dem Gewandhausorchester (1934–1945) als auch dem Rundfunk-Sinfonieorchester vorstand.

Mit seiner Erfahrung brachte er dem Rundfunk-Sinfonieorchester in der Aufbauphase Kontinuität und Stabilität. In Zeitzeugnissen von Orchestermitgliedern werden ihm überdurchschnittliche künstlerische wie menschliche Fähigkeiten zugeschrieben. Seine Autorität, sein durchdringender Blick waren sprichwörtlich.

Durch seine frühe Mitgliedschaft im Allgemeinen Deutschen Musikverein (ADMV) war er mit vielen einflussreichen Persönlichkeiten der damaligen Musikwelt bestens verbunden. Sein künstlerisches Schaffen ist unbestritten und tadellos.

Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Hermann Abendroth.
Hermann Abendroth (1883–1956) in einem Portrait von 1953. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Dass er sich mit unterschiedlichen politischen Systemen in der Kriegs- und Nachkriegszeit arrangierte, haftet ihm bis heute als Makel an. Die Einschätzung seiner Persönlichkeit bleibt daher zwiespältig.

Das Ansehen Hermann Abendroths als Künstler

Historische Schwarz-weiß-Aufnahme von Hermann Abendroth beim Dirigieren
Hermann Abendroth beim Dirigieren. Bildrechte: MDR

Ein "gewaltiger Künstler, für den Leben und Musizieren in eins verschmolzen waren", so der berühmte Geiger David Oistrach in seinem Nachruf, auf den am 29. Mai 1956 in Jena plötzlich verstorbenen Abendroth. An Abendroths Frau Elisabeth schrieb er, was ihn bei seinem einmaligen Auftritt mit ihrem Mann faszinierte: "Kristallene Klarheit des Gedankens, ein besonderes Vorempfinden der Musik, was sich in knappen, doch energischen und stets begrenzten Gesten offenbarte, ein innerer eiserner Wille, der das Orchester hypnotisch disziplinierte."

Hermann Abendroth galt als absolut würdevolle Autorität und grundsolider Orchestererzieher: geradlinig, exakt, aufrichtig, als jemand, der seine breiten Aufführungserfahrungen gern mit den Musikern teilte, eher unspektakulär, ruhig und überaus souverän.

Traditionsbewusst, war er insbesondere den Werken der Klassik und Romantik verpflichtet. Er hatte einen hohen Anspruch an sich selbst: Nur, wenn er die Werke geistig völlig durchdrungen hatte, fanden sie Eingang in sein Programm. Das galt auch für Werke der Neuen Musik, für die er sich lebhaft einsetzte.

Hermann Abendroth: Der Workaholic

Vor seiner Verpflichtung beim Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig 1949 war Abendroth Gewandhauskapellmeister (1934–1945) und Generalmusikdirektor am Weimarer Nationaltheater seit Oktober 1945. Letztere Position hielt er auch neben seinem Leipziger Engagement aufrecht, und schließlich kam 1953 sein Ruf an das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester hinzu. Alle drei Verpflichtungen füllte der Rastlose bis zu seinem Tod gewissenhaft aus, mit einer hohen Anzahl an Konzerten, die seine Handschrift trugen.

In erster Linie pflegte Hermann Abendroth das klassisch-romantische Repertoire von Beethoven, Brahms und Bruckner, Haydn, Mozart, Schubert, Schumann und Tschaikowski. Unter den Zeitgenossen widmete er sich vor allem den Werken von Johann Nepomuk David, Wolfgang Fortner, Ottmar Gerster und Karl Höller.

Mit dem Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester entstanden zahlreiche Aufnahmen für Rundfunk und Schallplatte, etwa Werke von Brahms, Bruckner, Beethoven, Schubert, Schumann, Mendelssohn, Strauss, Wagner, Tschaikowski, Kalinnikow, Mozart und Haydn.

Hermann Abendroth in Leipzig

Nach seiner Entlassung als Kölner Generalmusikdirektor 1934 durch den nationalsozialistischen Bürgermeister, dem seine Kontakte und sein Ansehen in ganz Europa suspekt waren, ging Hermann Abendroth auf Reisen. Nach einer Reihe von Gastdirigaten übernahm er im gleichen Jahr die Position von Bruno Walter als Gewandhauskapellmeister. Schon früher hatte man Interesse an Abendroth bekundet, zog aber zunächst Wilhelm Furtwängler (1922–1928) vor; nun wählte man einen der versiertesten Dirigenten, den Deutschland damals zu bieten hatte.

Unerwarteter Beitritt Hermann Abendroths in die NSDAP

Am 1. Mai 1937 trat Hermann Abendroth schließlich doch der NSDAP bei. Zwei Jahre zuvor war er bereits künstlerischer Leiter des Orchesters der kulturpolitischen Abteilung der NSDAP-Kreisleitung Leipzig. Der von den Nationalsozialisten eingesetzte, linientreue Leipziger Oberbürgermeister machte Hermann Abendroth klar, dass er sein Amt als Gewandhauskapellmeister nur behalten würde, wenn er der NSDAP beiträte.

Hermann Abendroth trat bei sogenannten "Kraft-durch-Freude"-Konzerten und bei einigen Konzerten in den von den Deutschen besetzen Gebieten auf. Gegen Ende des Krieges (1944) wurde er auf Hitlers "Gottbegnadeten"-Liste gesetzt, was ihn als unverzichtbaren Dirigenten auswies und vor einem Kriegseinsatz schützte. Im November 1945 wurde er aufgrund seiner Parteizugehörigkeit entlassen.

Hermann Abendroths Statement zur NSDAP

"Ich habe nie ein Parteibuch gehabt, habe nie an Parteiversammlungen teilgenommen, mich auch sonst in der Partei in keiner Weise betätigt und habe nie außer den üblichen, den Mitgliedern auferlegte Spenden, der NSDAP einen Sonderbetrag zukommen lassen. Ich bin also nur 'nominelles' zahlendes Mitglied und habe zu der Weltanschauung des Dritten Reiches mich immer nur ablehnend verhalten. Mein ganzes Interesse hat stets und einzig und allein meinen beruflichen und künstlerischen Aufgaben gegolten."

Während der DDR

Übrig bleibt aus der Zeit des Nationalsozialismus eine zwiespältige Bilanz, die allerdings durch Hermann Abendroths Kurs während der DDR-Anfänge weniger geklärt, sondern vielmehr bekräftigt wird. Er weigerte sich zwar, der SED beizutreten, wurde aber 1949 Mitglied der Blockpartei NDPD, die ein Jahr zuvor in der Sowjetischen Besatzungszone gegründet worden war und die Politik der SED unterstützte. Er wurde in den Deutschen Volkskongress gewählt, gehörte bis 1950 der Provisorischen Volkskammer und dann bis 1954 dem Kulturbund in der Ersten Volkskammer der DDR an.

Zudem wurde Hermann Abendroth 1951 in das Beratergremium der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten aufgenommen, das zusammen mit dem dazugehörigen Staatssekretariat später im Ministerium für Kultur der DDR aufging, und die Steuerung des künstlerischen Schaffens in der DDR zur Aufgabe hatte.

Eine abschließende Würdigung bleibt schwierig

Hermann Abendroths Brief-Nachlass, sein gemeinnütziges Engagement, die Förderung verschiedenster Persönlichkeiten zeichnen ein menschliches und absolut integres Bild. Zeitzeugen schätzten seinen noblen Umgang und hohen Einsatz "mit und für" die Musiker der verschiedensten Orchester. Allerdings waren Hermann Abendroths Äußerungen im politischen Kontext nicht so klar und abgewogen wie im künstlerischen Umfeld.

Zeitungsartikel über den Dirigenten Hermann Abendroth.
Zeitungsartikel zum 70. Geburtstag von Hermann Abendroth. Bildrechte: Archiv MDR-Sinfonieorchester

Steckbrief

  • 1883 geboren am 19. Januar in Frankfurt am Main
  • 1888–1900 Besuch des Wöhler-Realgymnasiums und der Handelsschule in Frankfurt
  • 1901–1904 Studium an der Königlichen Akademie für Tonkunst in München: Musiktheorie, Komposition, Klavier und Dirigieren, letzteres bei Direktor Felix Mottl, zudem Besuch von Philosophie-Vorlesungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 1903 Mitglied im Allgemeinen deutschen Musikverein (ADMV), ab 1910 im Musikausschuss des ADMV und damit Vorstandsmitglied
  • 1903–1904 Dirigent des Münchener Orchestervereins und des Orchestervereins Wilde Gungl in München
  • 1905–1911 Kapellmeister des Vereins für Musikfreunde Lübeck, ab 1907 1. Kapellmeister am Lübecker Stadttheater und ab 1910 Leiter des Philharmonischen Chores Lübeck, daneben Assistenzen im Prinzregententheater und in Bayreuth bei seinem Lehrer Felix Mottl
  • 1911–1914 Städtischer Musikdirektor in Essen und bis 1916 Dirigent der Essener Philharmoniker, Programmreform durch vermehrt zeitgenössische Komponisten   
  • 1914–1934 Leiter des Gürzenich-Orchesters und des Gürzenich-Chores in Köln
  • 1918 Städtischer Generalmusikdirektor von Köln, ernannt von Oberbürgermeister Konrad Adenauer
  • 1919 Professor für Dirigieren an der Kölner Musikhochschule, ab 1925 Hochschuldirektion gemeinsam mit Walter Braunfels
  • 1922 Leiter des Niederrheinischen Musikfestes
  • 1922–1923 auch Dirigent der Sinfoniekonzerte der Berliner Staatsoper, in Köln ferner Dirigent der Concert-Gesellschaft und der Musikalischen Gesellschaft
  • 1934–1945 Gewandhauskapellmeister in Leipzig, gleichzeitig am Konservatorium und als Leiter der Fachschaft Musikerzieher in der Reichsmusikkammer tätig
  • 1945 Musikalischer Leiter des Deutschen Nationaltheaters und der Weimarischen Staatskapelle, Professor an der Hochschule für Musik in Weimar
  • 1949 zudem auch Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters in Leipzig
  • 1953 zudem auch des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters
  • 1956 verstorben im Jenaer Universitätsklinikum