Dirigent Herbert Kegel
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Dirigent des Rundfunkchores von 1949 bis 1967, Dirigent des Großen Rundfunkorchesters von 1956 bis 1958, Dirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig von 1958 bis 1960, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig von 1960 bis 1978
Herbert Kegel war neben Kurt Masur der bedeutendste Dirigent in der DDR und einer der unkonventionellsten und mutigsten jener Zeit. Sein Wirken begründete eine Ära. Während fast dreier Jahrzehnte leitete er alle großen Rundfunk-Klangkörper beim Leipziger Sender. Sein außergewöhnliches Gespür für Musik ist in zahlreichen Rundfunk- und Schallplatteneinspielungen noch heute zu erleben.
Er leistete nach dem Krieg wertvolle Aufbauarbeit und profilierte Rundfunkchor, Großes Rundfunkorchester und Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig nach 1949 vor allem mit Werken des 20. Jahrhunderts, darunter viele Uraufführungen von zeitgenössischen Tonkünstlern. Das Publikum forderte er mit unkonventionellen Programmen. Er förderte viele junge DDR-Komponisten, indem er ihnen ein öffentliches Podium bot.
Zudem war er als Operndirigent und Honorarprofessor tätig, als Gastdirigent international geschätzt und in Japan ausgesprochen beliebt. 1977 wurde er Chefdirigent der Dresdner Philharmonie und kehrte damit in seine Geburtsstadt zurück.
Herbert Kegels folgenschwere Kriegsverletzung
Herbert Kegel studierte im Hauptfach Klavier und Cello. Ursprünglich wollte er Pianist werden. Doch sein Plan zerschlug sich, weil er während seines Kriegsdienstes zweimal an Hand und Arm verletzt wurde. Herbert Kegel in seinen autobiografischen Skizzen:
Der Pianist starb vor Kiew durch Granatsplitter, der Cellist bald darauf. Was hatten die beiden in der Sowjetunion zu suchen? Der Dirigent lebt.
Herbert Kegel nahm nach seiner Rückkehr bei Staatskapellmeister Kurt Striegler privaten Dirigierunterricht. Seine ersten Erfahrungen als Dirigent machte er bei einem kleinen Opernensemble, mit dem er durch das östliche Sachsen "tingelte". Schon während des Studiums zeigte sich sein Talent in der Chorleitung. Die Prüfung dazu absolvierte er mit "sehr gut".
Herbert Kegel: Durch und durch "Chormann"
Während des Studiums hospitierte Herbert Kegel wiederholt bei Karl Böhm, der damals Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden war. Böhm bescheinigte ihm eine "vorzüglich technische und musikalische Veranlagung" sowie "schlagtechnische Gewandtheit und sicheres Auftreten vor Chor und Orchester". Alles zusammengenommen beste Voraussetzungen, um 1949 als Leiter des wiederaufzubauenden Rundfunkchores in Leipzig zu beginnen, bemerkenswerterweise mit erst 29 Jahren.
Er kam auf Empfehlung des Rostocker Generalmusikdirektors Gerhard Pflüger nach Leipzig und arbeitete später eng mit den Chorleitern Dietrich Knothe, Armin Oeser und Horst Neumann zusammen. Auf den Spielplan setzte er zunehmend zeitgenössische Chorwerke – von Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Rudolf Wagner-Régeny und anderen.
Streiter für junge DDR-Komponisten
Herbert Kegel knüpfte in der Folge der Leipziger Rundfunkdirigenten am stärksten an Hermann Scherchen an, indem er in ungewöhnlichen Programmen die Musik des 20. Jahrhunderts mit jener der Klassik und Romantik in Verbindung brachte:
Deswegen bin ich bewusst etwas von der gewohnten Linie abgegangen, habe viel Modernes und, wie man so sagt, Ausgrabungen gemacht. Noch dazu konnte man sich bei der modernen Musik als junger Dirigent manuell sehr vervollkommnen.
Kegel machte Leipzig zu einem Zentrum der DDR-Musik-Avantgarde – stets unter scharfer Beobachtung der DDR-Behörden, die argwöhnisch prüften, ob das "Neue" ideologischen Maßgaben entsprach. Doch Werke von künstlerischer Qualität setzten sich durch, auch wenn sie verboten waren. Dafür hatte Kegel den richtigen Spürsinn:
Ich hatte einen fantastischen Kompositionslehrer: Boris Blacher. Der hat mich in meiner Studienzeit mit all dem bekannt gemacht, was verboten, auch ihm verboten war.
Unter Herbert Kegels Leitung sind viele Werke des 20. Jahrhunderts uraufgeführt worden, vor allem auch von jungen DDR-Komponisten wie u. a. Reiner Bredemeyer, Max Butting, Paul Dessau, Paul-Heinz Dittrich, Peter Dorn, Hanns Eisler, Fritz Geißler, Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Günter Kochan, Fred Lohse, Siegfried Matthus, Ernst Hermann Meyer, Friedrich Schenker, Kurt Schwaen, Rudolf Wagner-Régeny, Helmut Zapf und Udo Zimmermann.
Auch setzte er sich dafür ein, dass in der DDR die Werke namhafter internationaler Komponisten aufgeführt werden konnten, etwa von Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Bohuslav Martinu, Olivier Messiaen, Luigi Nono, Krysztof Penderecki und Arnold Schönberg. Zudem hatte sich Kegel mit den Jahren den Ruf eines Carl-Orff-Spezialisten erarbeitet.
1980 dirigierte Herbert Kegel, damals schon Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, Brittens War Requiem in der Katholischen Hofkirche in Dresden: ein internationales symbolträchtiges Ereignis und eine Kooperation des DDR-Fernsehens mit der BBC London zur Erinnerung an die Zerstörung der Coventry Cathedral bei Luftangriffen im November 1940 und der Dresdner Hofkirche im Februar 1945.
Konzertreisen – ein Novum
Herbert Kegel baute nach dem Krieg die Tournee-Tätigkeit des Rundfunk-Sinfonieorchesters auf. Das war ein Novum. Größere Klangkörper gingen vor dem Krieg im allgemeinen in der deutschen Orchesterlandschaft nur selten auf Reisen. Diese Entwicklung zeichnete sich, wenn auch zunächst zögerlich, erstmals in den 1920er-Jahren ab. Daneben gab es zwar schon eintägige Gastspiele, sogenannte Abstecher, bei denen Spielstätten im näheren Umfeld der Orchester bespielt wurden, aber diese zählten im eigentlichen Sinn nicht zum Tournee-Geschehen.
Der Rundfunkchor ging unter Leitung von Herbert Kegel beinahe zeitgleich zu einer Konzertreise des Großen Rundfunkorchesters mit einem A-cappella-Programm durch Skandinavien auf Tournee. Chor und Dirigent feierten in Dänemark, Schweden und Finnland – unter anderem mit Orffs "Catulli Carmina", fulminante Erfolge. Der Chor wurde im Vorfeld von Dietrich Knothe einstudiert, der 1953 bis 1962 regelmäßig mit dem Ensemble arbeitete.
Es folgten 1958 eine Reise nach Polen (Warschau, Krakau, Poznan), 1959 in die ehemalige ČSSR, später auch mit dem Rundfunk Sinfonieorchester und dem Rundfunkchor gemeinsam; 1965 ging es nach Westdeutschland. 1967 und in den Folgejahren verstärkte sich die Reisetätigkeit. Es wurden Bulgarien, der Nahe Osten, die UdSSR, Italien, Frankreich und Japan bereist. Durch die Reisen wurden die künstlerische Qualität und die Profile der Leipziger Rundfunk-Klangkörper nach und nach international bekannt und geschätzt. Kulturpolitisch wurden sie zudem zu positiv besetzten Botschaftern der DDR.
Herbert Kegel war nicht nur in der Musikwelt sehr bekannt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Er war daher nicht nur ein Erfolgsgarant für große Konzertproduktionen und ein "Magnet", um internationale Instrumental- und Vokalsolisten nach Leipzig zu holen, sondern er wirkte auch als Kulturbotschafter bei musikfremden Veranstaltungen und natürlich bei seinen Auslandsreisen.
Steckbrief
- 1920 geboren am 29. Juli in Großzschachwitz bei Dresden
- 1927–1935 Besuch der Volksschule sowie evangelisch-lutherischer Jugendchor der Stephanuskirche in Kleinzschachwitz; erster Klavierunterricht, dann an der Akademie für Musik und Theater Dresden, zudem auch Cello-Unterricht
- 1935–1940 Studium am Dresdner Konservatorium: Klavier, Dirigieren, Chorleitung, Gesang (Tenor) sowie Komposition und Kontrapunkt als der letzte Schüler von Boris Blacher
- 1940 Kriegsdienst, Ausbildung zum Funker, bis 1945 in der 56. Infanterie-Division, teils im Ostfeldzug, seine Pianistenkarriere musste er aufgrund einer Schussverletzung an der linken Hand aufgeben
- 1945 nach dem Krieg Dirigierunterricht, kurz darauf Dirigent am Operettentheater Pirna
- 1946 Chorleiter und zweiter Kapellmeister am Stadttheater Rostock
- 1949–1978 künstlerischer Leiter des Rundfunkchors Leipzig, von 1949 bis 1953 zusätzlich Chefdirigent des Großen Rundfunkorchesters, 1958 erster Dirigent, 1960 Chefdirigent des Rundfunk Sinfonieorchesters Leipzig, später dessen Ehrendirigent
- 1975–1978 zusätzlich Honorarprofessor für Dirigieren an der Hochschule für Musik Leipzig
- 1977–1985 Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, danach bis 1990 ständiger Gastdirigent, ab 1978 regelmäßig bei den internationalen Dresdner Musikfestspielen, Auslandskonzerte mit Leipziger und Dresdner Orchestern führten ihn in die ehemalige Sowjetunion, die Schweiz, nach Westdeutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Skandinavien, Osteuropa, Japan und in den Nahen Osten
- 1990 gestorben am 20. November 1990 nach langer Depression durch Suizid, begraben in Dresden-Meußlitz