Schwarz-Weiß-Porträt des Dirigenten Daniel Nazareth
Daniel Nazareth Bildrechte: MDR/Gerhard Hopf

Dirigent Daniel Nazareth

Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters von 1992 bis 1996

Schwarz-Weiß-Porträt des lächelnden Dirigenten Daniel Nazareth.
Dirigent Daniel Nazareth. Bildrechte: Karla Schönebeck

Von Hause aus war Daniel Nazareth (1948 in Mumbai geboren) eigentlich Wirtschaftswissenschaftler und studierte Musik zunächst nebenher. Seine Studienabschlüsse (Commerce and Economics in Mumbai, Klavier in London, Dirigieren in Wien) absolvierte er mit Auszeichnung. In der Folgezeit gewann er eine Reihe von renommierten Wettbewerben und Stipendien, darunter die Leonard Bernstein Fellowship und den Koussevitzky Music Foundation Conductors Award und dirigierte zahlreiche namhafte europäische Orchester. Doch konnte er trotz seines beeindruckenden internationalen Lebenslaufes die an ihn gestellten Erwartungen als Chefdirigent in Leipzig nicht erfüllen.

Die große Repertoirebreite des Orchesters, sein orchestererzieherischer Auftrag schien ihn zu überfordern. Im Umgang mit dem Sinfonieorchester bewies er ebenso wenig eine glückliche Hand wie im Umgang mit der Presse, die ihn aufgrund seiner mal großspurigen, mal bescheidenen Auftritte als "Dirigent der Extreme" titulierte.

Am 20. Mai 1996 gab er sein letztes Konzert als MDR-Chefdirigent im Gewandhaus mit Bruckners Te deum und "Die Planeten" von Gustav Holst.

Das MDR-Sinfonieorchester und Dirigent Daniel Nazareth bei einer Aufnahme.
Das MDR-Sinfonieorchester und Dirigent Daniel Nazareth bei einer Aufnahme. Bildrechte: Peter Franke

Volles Programm

Foto des Dirigenten Daniel Nazareth.
Foto des Dirigenten Daniel Nazareth. Bildrechte: MDR/Gerhard Hopf

Mit seinem Amtsantritt 1992 hatte Daniel Nazareth ein enormes Arbeitspensum zu erfüllen. Man befand sich nach der Neukonstituierung des MDR in der Aufbruchphase. Da waren die Konzertreihen "Das große MDR-Abonnement", "Meisterwerke des 20. Jahrhunderts" und "Die Wiener Klassik und Gustav Mahler" neben den traditionellen Rundfunkkonzerten und der beliebten Reihe "Zauber der Musik". Zudem fanden Konzertreihen nun nicht mehr nur in Leipzig, sondern im ganzen Sendegebiet statt, also auch u. a. in Dresden, Magdeburg, Halle und Erfurt, darüber hinaus in Hamburg und Berlin. Zudem wurde 1992 der MDR-Musiksommer ins Leben gerufen. Daniel Nazareth dirigierte davon etwa die Hälfte der Anrechtskonzerte sowie verschiedene exklusive Gastspiele und Sonderkonzerte.

Ohne Vision

Nazareth favorisierte Werke von Mahler, Strauss und Ravel, zudem auch Werke von Mozart und Strauß. Eine wirkliche Vision für das Sinfonieorchester entwickelte er nicht. Auch neuen Kompositionen widmete er sich nur verhalten, die Uraufführung der Gemeinschaftskomposition "Laudatio pacis" von Sofia Gubaidulina, Marek Kopelent und Paul-Heinz Dittrich bei den Berliner Festwochen im September 1993 blieb eine seltene Ausnahme. Bei den Einspielungen blieben seine Interpretationen, von einigen Ausnahmen abgesehen, hinter den Erwartungen zurück. Großangelegte Produktionen erreichten oft nicht das gewünschte musikalische Niveau, Aufnahmen erwiesen sich als Ladenhüter oder kamen gar nicht erst zustande.

Es blieb nicht aus, dass Rettungsanker geworfen werden mussten: Justus Franz, Helmuth Rilling, Enoch zu Guttenberg, Neeme Järvi und andere namhafte Dirigenten wurden in den Spielzeiten von 1994/95 und 1996/97 vermehrt verpflichtet, um dauerhafte musikalische Qualitätsverluste zu vermeiden.

Beim Papst

Zu den Höhepunkten der Amtszeit von Daniel Nazareth zählte das Konzert des MDR-Sinfonieorchesters und des MDR-Rundfunkchores am 16. Oktober 1993 im Vatikan. In der Sala Nervi, der Audienzhalle des Papstes, kamen anlässlich des 15. Amtsjahres von Papst Johannes Paul II. fast 6500 Zuhörer aus aller Welt zusammen und erlebten Daniel Nazareth wie auch Chordirektor Gert Frischmuth, die Werke von Beethoven (C-Dur-Messe op. 86), Bruckner (Te deum) und Penderecki (Stabat mater) im Wechsel dirigierten und zudem eine neutextierte Fassung der päpstlichen Hymne präsentierten. Das Konzert wurde in die ganze Welt übertragen. Vor dem Papst zu musizieren – eine solche Ehre wurde vor Daniel Nazareth bislang nur Leonard Bernstein und Wolfgang Sawallisch zuteil.

Vatikan-Besuch von MDR-Rundfunkchor und MDR-Sinfonieorchester
Vatikan-Besuch von MDR-Rundfunkchor und MDR-Sinfonieorchester. Bildrechte: MDR/Frank Ossenbrink

Steckbrief

  • 1948 geboren in der früheren indischen Metropole Bombay, heute Mumbai, als Sohn eines Rhetorikprofessors
  • 1955 erster Geigenunterricht
  • 1964 Studium der Wirtschaftswissenschaften an der University of Bombay und Abschluss mit dem "Bachelor’s Degree" in Commerce und Economics 1968 mit Auszeichnung; danach Aufnahme des Klavier- und Musiktheoriestudiums und Abschluss mit dem "Lizentiat of the Royal School of Music London" im Fach Klavier 1969
  • 1972 Kompositions- und Dirigierstudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien, Diplom mit Auszeichnung im Orchesterdirigieren 1975; noch während des Studiums Preisträger des Malko-Dirigierwettbewerbes 1974 in Kopenhagen
  • 1975 Orchesterdirigentendiplom an der Wiener Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und Dirigentenassistenz im Wiener Musikverein
  • 1976 Einladung des Boston Symphony Orchestras in das Bershire Music Center in Massachusetts, hier ausgezeichnet mit dem "Leonard Bernstein Fellowship" und Gewinner des "Koussevitzky Music Foundation Conductors Award", hier Zusammenarbeit mit Leonard Bernstein, Colin Davis und Seiji Ozawa
  • 1977 Operndebüt beim Spoleto-Festival mit Mozarts "Così fan tutte", nachfolgend mehrere Produktionen in Kanda, Italien, Portugal
  • 1978 Preisträger des 1. Internationalen Ernest Ansermet Dirigierwettbewerbs in Genf
  • 1982–1985 Chefdirigent des Symphonischen Orchesters Berlin (West)
  • 1988–1990 Chefdirigent am Teatro San Carlo Neapel
  • 1990–1992 Musikdirektor des Ente Lirico Arena di Verona
  • 1992–1996 Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters
  • 1997 freischaffender Dirigent und als Gast für viele große europäische Orchester tätig
  • 2011 Chefdirigent des Orquesta Sinfónica Nacional de Costa Rica in San José, hier Uraufführungen von Nazareths eigenen Kompositionen
  • 2014 Tod wenige Wochen nach einer Lebertransplantation in Wien